Süddeutsche Zeitung

Architektur:Was die "Alte Akademie" so besonders macht

Der Freistaat liefert die geschichtsträchtigen Gemäuer in der Fußgängerzone dem Gewinnstreben eines Investors aus. Doch die Aura ist schon lange weg.

Von Wolfgang Görl

Da und dort bröckelt der Putz von der Fassade, was anderen Gebäuden eine romantische Aura verleiht, und vielleicht wäre es auch hier so, würde der Blick nicht unweigerlich auf die große Leuchtreklame fallen, die neben dem Portal prangt. "Urban Outfitters" steht da zu lesen, und es ist, als hätte die schöne neue Businesswelt ihr Hoheitszeichen auf das Bauwerk gesetzt, dessen Geschichte zurückreicht bis ins 16. Jahrhundert - ein leuchtendes Signal der Shopping-Kultur, welches besagt: Das gehört jetzt uns! Dabei ist der schlicht eingerichtete Modeladen, in dem vor allem jungen Leute nach coolen Klamotten Ausschau halten, ja nur ein Vorgeschmack auf das, was da kommen wird.

Den weitläufigen Gebäudekomplex an der Neuhauser Straße, den die Münchner unter dem Namen "Alte Akademie" kennen, hat der Freistaat für 230 Millionen Euro dem österreichischen Immobilienkonzern Signa, hinter dem der Investor René Benko steht, auf 65 Jahre im Erbbaurecht überlassen. Investoren, das ist ihre Natur, möchten Rendite sehen, und so wird die Alte Akademie, die zu den wichtigsten Monumenten der Münchner Geistes- und Gesellschaftsgeschichte zählt, zu einem Objekt des Gelderwerbs im großen Stil.

Das muss nicht zwangsläufig in ein kulturelles oder städtebauliches Desaster führen, es mag sogar sein, dass die geplante Mixtur aus Einzelhandel, Gastronomie, Büros und Wohnungen dem Ensemble der Münchner Premium-Shopping-Paläste eine weitere Attraktion hinzufügt, zumal ja auch im Innenhof, wie es heißt, "attraktive Rückzugzonen" entstehen sollen. Und dennoch darf man fragen, ob den verantwortlichen Politikern nichts Besseres einfällt, als ein derart geschichtsträchtiges Gemäuer dem privaten Gewinnstreben auszuliefern.

Worin aber liegt die historische Bedeutung der Alten Akademie? Dies zu ergründen, bedarf es eines Blicks in die Luther-Zeit, in die Jahre um 1520, als die Lehre des Reformators auch in München immer mehr Anhänger fand. 1522 stellten sich die bayerischen Herzöge in Opposition zu Luther auf die Seite der römischen Kirche, einige Münchner Protestanten wurden sogar hingerichtet.

Allmählich aber dämmerte es den bayerischen Herrschern, dass mit drakonischen Zwangsmaßnahmen allein dem katholischen Glauben, als dessen Schutzherren sie sich verstanden, nicht gedient ist. Die römische Lehre bedurfte der Auffrischung, sie musste sich wieder ausbreiten in den Köpfen der Untertanen, und dafür waren die Jesuiten die richtigen Leute. Bereits 1549 unterrichten die ersten jesuitischen Gelehrten an der Universität Ingolstadt, zehn Jahre später holte Herzog Albrecht V. einige Patres nach München, die in einem Flügel des Augustinerklosters unterkamen und wenig später den Lehrbetrieb aufnahmen.

Unter Albrechts Sohn Wilhelm V., der seit 1579 regierte, kam der Jesuitenorden in den Genuss, seine geistige und geistliche Vorherrschaft in fürstlicher Weise zum Ausdruck zu bringen. 1583 legte der Herzog den Grundstein zum Bau der von ihm gestifteten St. Michaelskirche, auf deren Schaufassade sich die Wittelsbacher als Verteidiger des rechten, mithin katholischen Glaubens feiern. Zwei Jahre später begannen die Arbeiten für das benachbarte Jesuitenkolleg, das "Wilhelminum", das heute unter "Alte Akademie" firmiert.

Federführend war wohl der niederländische Baumeister Friedrich Sustris, aber auch der Künstler Wendel Dietrich und der Steinmetz Wolfgang Müller wirkten maßgeblich mit. Für den gewaltigen Renaissancekomplex, der als Manifestion der Gegenreformation unübersehbar war, wurden 34 Bürgerhäuser abgerissen, was in der Stadt erheblichen Unmut hervorrief.

Kolleg, Kloster und Kirche erstreckten sich auf einem riesigen Geviert zwischen der heutigen Ett-, Maxburg- und Kapellenstraße sowie der Neuhauser Straße. Ein Zeitgenosse schrieb: "Das Jesuitische Collegium belangend, hat solches eine überaus große Weitin, das der Größe halber wohl ein König darin Hof halten kundte, mit unterschiedlich großen Höfen und Gärten, groß und kleinen Zimmern in starker Anzahl, hübschen Refectoriis, Speiszstuben, Schulen, Sälen mit Tafln geziert, darin die Jugend alle Tag Meß, bisweilen auch Predigt höret. Hat dieses Collegium 800 Kreuzfenster, und wie mir der Rector sagt, so ist dieses nach dem Escurial in Spagna das furnembste Collegium in ganz Europa, darumben diese Patres alle allein Ihrer Durchl. dem Herzog Wilhelm zu danken haben."

Das Jesuitengymnasium hatte sofort großen Zulauf, im Jahr 1597 zählte man bereits 900 Schüler. Gut 30 Jahre später waren es knapp 1500. In der Stadt, die damals etwa 20 000 Einwohner hatte, waren die Jesuitenzöglinge weit mehr als nur ein verlorenes Häuflein. Und zweifellos war das Kolleg eine Kaderschmiede, an der, gewiss auch im Geist der Gegenreformation, über Jahrhunderte hinweg die bayerische Elite ausgebildet wurde. Die verbreitete Vorstellung, die Jesuiten wären, anders als die Lutheraner, zu jener Zeit von Haus aus rückwärtsgewandt und verstaubten Traditionen verpflichtet gewesen, verkennt, dass es ihnen ja gerade darum ging, die katholische Erneuerung voranzutreiben.

In seinem Buch "Geschichte Münchens" schreibt Richard Bauer, der ehemalige Leiter des Stadtarchivs: "Wer an den Schulen und an der Landesuniversität die nicht nur auf Wissensvermittlung, sondern auch auf Wertvorstellungen und Disziplin angelegte Ausbildung der Gesellschaft Jesu durchlaufen hatte, verfügte über Sachverstand, Bildung und ein hohes Maß an sozialer Verantwortung." Bauer fügt aber hinzu, dass das jesuitische Erziehungsideal "auf einem geschlossenen, religiös zentrierten Weltbild und einer landesväterlichen Herrscherautorität gründete", was dem fürstlichen Absolutismus Fundament und Rahmen lieferte.

Nachdem die Jesuiten im 18. Jahrhundert diversen europäischen Mächten lästig geworden waren, hob Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 den Orden auf. Damit war auch das Münchner Kolleg am Ende. Wie es mit dem Gebäude weiterging, ist auf einer der beiden Steintafeln aus dem Jahr 1890 zu lesen, welche heute die Fassade an der Neuhauser Straße zieren. Demnach nutzten nach dem Auszug der Jesuiten - Kurfürst Max III. Joseph hatte das betreffende päpstliche Breve am 21. Juli 1773 offiziell verkündet - etliche Hof- und Staatsanstalten den Gebäudekomplex, unter ihnen die Staatsbibliothek (1774-1843), das Kadettenkorps (1775-1826), das Landesarchiv (1784-1844), die Kurfürstliche Maler-, Bildhauer- und Zeichenschule (1781-1809) und das Bayerische Handelsministerium (1842-1866). Überdies beherbergte das Anwesen im 19. Jahrhundert verschiedene Gerichte, das Geheime Staatsarchiv sowie eine Postfiliale.

Auch die Ludwig-Maximilians-Universität hat ihre Münchner Wurzeln im Wilhelminum. Im Jahr 1826 verlegte König Ludwig I. die Universität von Landshut in die Säle des ehemaligen Jesuitenkollegs, wo der Lehrbetrieb bis zum Umzug in die Ludwigstraße anno 1840 ablief. Die Königliche Akademie der Bildenden Künste, die aus der kurfürstlichen Zeichenschule hervorgegangen war, hatte ihren Sitz ebenfalls im Wilhelminum. Der heutige Name "Alte Akademie" mag daher rühren, vermutlich aber hat er noch mehr mit der Kurfürstlichen und später Königlichen (heute Bayerischen) Akademie der Wissenschaften zu tun, die von 1783 bis zum Zweiten Weltkrieg an der Neuhauser Straße ihre Heimat hatte.

In der Nacht zum 25. April 1944 wurden bei einem Großangriff der 5. Bomberflotte der Royal Air Force große Teile der Altstadt sowie anderer Viertel zerstört, bedeutende historische Bauten versanken in Schutt und Asche. Auch von der Alten Akademie blieben nur Teile der Fassade stehen. Die St. Michaelskirche erlitt bei dieser Attacke geringere Schäden, sie wurde bei späteren Bombenangriffen verwüstet.

Nach den Plänen des Architekten Josef Wiedemann erfolgte in den Fünfzigerjahren der Wiederaufbau der Alten Akademie. Was die Fassade zur Neuhauser Straße betrifft, folgte Wiedemann dem Original; der Neubau für das Kaufhaus Hettlage erhielt allerdings eine moderne Anmutung. Über dem Portal des Wilhelminums steht die Inschrift "Bayerisches Statistisches Landesamt" - die Behörde residierte hier bis ins Jahr 2012.

Es mag ein subjektiver Eindruck sein, aber im ersten Moment freut man sich immer, die schöne Renaissancefassade in Verbindung mit der Michaelskirche zu sehen. Und doch fehlt etwas. Wo ist die Aura einer geistigen Wirkungsstätte? Sie ist fort. Erwin Schleich hatte recht, als er 1978 in seinem Buch "Die zweite Zerstörung Münchens" schrieb: "Die Neubauten, die an die Stelle der Alten Akademie getreten sind, sind nicht schlecht, aber eine Gottesburg der Renaissance bilden sie nicht mehr."

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SZ vom 03.02.2018/imei
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