Architektur:München baut im Zweifel Zweckbauten statt Wahrzeichen

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  • Ein hochrangiger Stadtrat findet den Chipperfield-Entwurf für die neue BVK-Zentrale "furchtbar langweilig". Tatsächlich wirken die Entwürfe rational.
  • Die Stadtbaurätin Elisabeth Merk denkt darüber nach, ob man die Wettbewerbsausschreibungen ändern sollte, zum Beispiel mehr Spielraum bei der Ausnutzung der Fläche und der Höhe gewähren könnte.
  • Unter Architekten gibt es viel Wertschätzung für den Chipperfield-Entwurf.

Von Sebastian Krass

David Chipperfield kann auch anders. In Hamburg zum Beispiel plant sein Büro gerade ein Hochhaus, das nicht nur wegen der Höhe von 245 Metern spektakulär ist. Die Fassade ist gewölbt und leicht verdreht. Der "Elbtower" solle "etwas Besonderes, etwas Ikonografisches werden", sagte der Architekt Christoph Felger, der das Projekt leitet, kürzlich der Zeit Hamburg. Kein Geschoss sei wie das andere, das sei "nicht unbedingt das wirtschaftlichste Konzept". Bauherr ist der Signa-Konzern des österreichischen Milliardärs René Benko. Wenn das Gebäude gebaut wird, und danach sieht es aus, wird es ein Wahrzeichen Hamburgs.

Auch in München hat das Büro Chipperfield ein Hochhaus entworfen: für die künftige Zentrale der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) an der Richard-Strauss-Straße 76. Es ist einer von zwei derzeit geplanten Hochpunkten, die an die in München immer noch maßgebliche 100-Meter-Grenze gehen und damit zu den zehn höchsten Häusern der Stadt gehören werden, wenn sie wie geplant in fünf bis sechs Jahren fertig sind. Das andere entsteht auf dem Gelände der Knorr-Bremse an der Moosacher Straße 80, der Entwurf stammt vom Büro Müller Reimann Architekten.

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Der BMW-Vierzylinder und das Hypo-Hochhaus sind Wahrzeichen der Stadt. Neue Hochhaus-Projekte wirken dagegen eher rational.

Aber werden sie auch zu Wahrzeichen Münchens? Eher nicht. Zu rational wirken die Entwürfe. Sind das vergebene Chancen? Schließlich gibt es selbst in München Hochhäuser, die Wahrzeichen geworden sind, den "Vierzylinder" von BMW etwa und das Hypo-Hochhaus. Sie entstammen einer anderen Zeit, aber auch einer anderen Ambition. Bei BMW und der Hypo-Bank ging es damals um "Marketing-Architektur", wie der Architektur-Professor Ludwig Wappner sagt. Also darum, das eigene Unternehmen in der Stadtsilhouette zu verewigen, was auch insofern gelungen ist, weil beide Gebäude heute unter Denkmalschutz stehen. Baukosten spielten eine nachgeordnete Rolle.

Was hielten wohl Ärzte, Ingenieure, Beamte und im übrigen auch Architekten davon, wenn ihre Altersversorgung künftig aus einer ikonografischen, aber damit auch deutlich teureren BVK-Zentrale heraus verwaltet würde? Und die Geschichte hinter dem Hochhaus auf dem Knorr-Gelände ist noch einmal eine andere: Da baut ein Investor als Geldanlage.

Aus dem Stadtrat ist Grummeln zu hören, wenn man fragt, was von dem Chipperfield-Entwurf zu halten ist, der aus drei Gebäudeteilen besteht: zwei Türmen à 100 und 60 Meter, die mit einem 50 Meter hohen Riegel verbunden sind. "Furchtbar langweilig", urteilt ein hochrangiger Stadtrat: "Wenn man an so prominenter Stelle Baurecht mit so einer Höhe bekommt, dann sollte man der Stadt etwas zurückgeben." Sprechen wollen manche nur hinter vorgehaltener Hand, weil Fraktionskollegen in der Jury vertreten waren.

Anna Hanusch (Grüne) sagt: "Es ist ganz ordentlich gemacht, aber auch sehr schlicht, es gibt Hochhäuser mit mehr Wiedererkennungswert." Sie betont aber, eine Jury könne nur mit den Entwürfen arbeiten, die vorliegen, und sie müsse neben dem Städtebau auch die Raumkonzepte im Innern beurteilen. Ein anderer Stadtrat sagt: "Wenn ich in der Jury gewesen wäre, hätte ich für den letztlich Zweitplatzierten gestimmt." Das war ein gewagter Entwurf von Hadi Teherani, mit einer steilen kristallförmigen Fassade auf einem Grundriss, der an einen vierarmigen Seestern erinnert.

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Stadtbaurätin Elisabeth Merk, die ebenfalls zum Preisgericht gehörte, sagt, ihr habe der Teherani-Entwurf sehr gut gefallen: "Das wäre ein absoluter Solitär, eine Primadonna, durchaus auch egozentrisch. Für das Hauptquartier einer Firma an sich eine gute Wahl." Aber die BVK habe eben nicht mit einem "spektakulären Stadtzeichen" auftreten wollen, "das muss man akzeptieren". Letztlich habe sie auch für Chipperfield gestimmt, "weil bei Teherani noch einige Fragen offen gewesen wären". Dazu zählten auch die Baukosten. Der Entwurf von Chipperfield hingegen sei "von funktionalen Parametern getrieben, aber auch sehr durchdacht und gut gelöst", findet Merk. Zudem stehe das Büro für "hervorragende Gebäude, ich kenne keines, dass sich nicht ins Stadtbild einfügt".

Wenn es um die Verantwortung des Bauherrn für das Stadtbild geht, spricht Merk auch über das Hochhaus, das der Knorr-Mehrheitseigner Heinz Hermann Thiele mit seiner privaten Immobiliengesellschaft Opes baut. Den Wettbewerb gewonnen hatte das Büro Hilmer Sattler mit einem Konzept, "das nicht auf einem einfacheren rechteckigen Grundriss basiert und das die Fassade stark modelliert hätte". Die Opes entschied sich aber für den Zweitplatzierten, er sei "gestalterisch und funktional besser". Was die Gestalt angeht, ist Merk anderer Ansicht. Auch dieser Entwurf sei gut, sagt sie, "aber der Baukörper nicht so gut wie beim Erstplatzierten. Dafür hat er einen simpleren Grundriss, ist effizienter zu bauen. Es gibt einen starken Trend zur Vereinfachung".

Aber wie bringt man Bauherren dazu, sich im Zweifel für ein gewagteres Konzept zu entscheiden? Beim BVK-Wettbewerb war Merk aufgefallen, dass die meisten Einreichnungen "rechteckige Türme mit mal etwas größerem, mal etwas kleinerem Sockel vorsahen". Nun denkt sie darüber nach, ob man die Wettbewerbsausschreibungen ändern sollte: "Ob man zum Beispiel mehr Spielraum bei der Ausnutzung der Fläche oder bei der Höhe gibt."

Damit allerdings ist man bei der Frage, die die Hochhaus-Debatte in München seit Jahren prägt und - wie viele finden - auch blockiert: Darf man höher bauen als die Frauenkirche mit ihren 99 Metern? Nein, entschied eine knappe Mehrheit in einem Bürgerentscheid 2004. Rechtlich bindend war das Ergebnis für ein Jahr. Politisch wirkt es bis heute. Die Bauherren hätten sowohl bei Knorr als auch an der Richard-Strauss-Straße gern höher gebaut, was möglicherweise zu eleganteren Gebäuden geführt hätte. Aber sie scheuten langwierige politische Debatten um die Genehmigung. Derzeit entsteht im Auftrag des Stadtrats eine Studie, die eruieren soll, wo in München neue Hochhäuser, womöglich auch "Cluster" von mehreren Hochhäuser entstehen könnten. "Es geht um die Frage, welche Postkartenansichten wir ohne weitere Hochhäuser erhalten wollen", sagt Elisabeth Merk, "aber auch darum, dass die Stadt neue gute Postkartenansichten produzieren kann."

Hört man sich unter Architekten um, was sie vom Chipperfield-Hochhaus für München halten, dann ist viel Wertschätzung zu hören. "Das wird ein sehr gutes Gebäude werden", sagt einer, der sich oft mit Hochhäusern beschäftigt. Einige klagen auch, die öffentliche Debatte sei zu oft auf den Effekt fixiert. Nur weil ein Hochhaus auffalle, sei es noch lang kein gutes Hochhaus. Aus städtebaulicher Sicht ist Chipperfield zugute zu halten, dass er in der Mitte des Ensembles einen breiten öffentlichen Durchgang von der Richard-Strauss-Straße zur Parkanlage des Denninger Angers schafft. Interessant ist auch, dass die Stützen nicht nur aus Beton, sondern teils aus Holz sein werden.

Für die Akzeptanz aber dürfte die Fassade entscheidend sein. "Es geht jetzt darum, die versprochene Transparenz einzulösen", sagt Ludwig Wappner, der in München das Architekturbüro Allmann Sattler Wappner betreibt und eine Professur für Baukonstruktion in Karlsruhe innehat. Damit das Gerüst durchscheine wie in der Simulation, "müsse man bei der Auswahl des Glases Geld in die Hand nehmen". Ansonsten könne eine abweisende Glashaut entstehen. Aber, so glaubt er, Chipperfield habe den Ehrgeiz und dank seines Renommees auch die Durchsetzungskraft, das Bestmögliche rauszuholen. "Dann wird es ein Haus, das die Menschen mögen."

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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