Süddeutsche Zeitung

Kunst und Architektur:Florenz liegt an der Isar

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Seit Jahrhunderten kopiert München die italienische Großstadt in der Toskana: Erst importierte man Künstler, dann wurden ganze Straßenzüge nachgebaut. Die Folgen sind bis heute zu bewundern.

Von Martin Bernstein

Zu Zehntausenden strömen die Münchner derzeit in die Ausstellung "Florenz und seine Maler", die wegen der Besucherschlangen vor und in der Alten Pinakothek bis zum 3. Februar verlängert worden ist. Florenz und München, das ist eine Verbindung mit Geschichte: Vor etwa 300 Jahren wäre eine Münchner Prinzessin beinahe Großherzogin der Toskana geworden - und damit Hausherrin über all die Kunstschätze, die schon manche Florenz-Besucher in einen rauschhaften Zustand kultureller Verzückung versetzt haben.

Violante Beatrix von Bayern hieß der hoffnungsfrohe Münchner Adelsspross, der dazu bestimmt war, dem ebenso kunstsinnigen wie katholischen Haus derer von Medici einen Thronerben zu schenken. Nun, wie so oft, wenn Bayerns Fürstenhaus nach Höherem strebte, klappte es am Ende nicht ganz. Violantes Ehe mit dem Erbprinzen Ferdinando de' Medici blieb kinderlos, was unter anderem daran lag, dass der musikalische Italiener mit Frauen nicht allzu viel anzufangen wusste. Als Ferdinando vor der Zeit - also vor seinem regierenden Vater Cosimo III. - starb, hätte Violante Beatrix eigentlich ihre Sachen packen und mit ein paar schönen Kunstwerken im Koffer die Heimreise nach München antreten können. Sie tat es nicht, wurde Gouverneurin von Siena und erfand das berühmte Pferderennen "Palio" in der Form, in der Touristen es heute kennen.

Die Liaison München-Florenz blieb eine Episode, aber freilich nur auf dynastischer Ebene. Im kulturellen Bereich hingegen waren und sind die Bande eng und vielfältig - von am Arno geschulten Künstlern der Renaissance bis hin zum Versuch Ludwigs I. und Leo von Klenzes, aus München ein Isar-Florenz (und eben kein Athen) zu machen. Die Madonna auf dem Marienplatz, die Feldherrnhalle, die Ludwigstraße, selbst der Candidplatz haben alle etwas mit Florenz zu tun. Wer mag, kann - vor oder nach einem Besuch der Ausstellung in der Alten Pinakothek - in München ein Stück Florenz erleben. Ganz ohne in die Toskana zu reisen - und ohne Italienischkenntnisse.

Kopie auf Befehl seiner Majestät

Wer den Palazzo Pitti in Florenz erdacht hat, ist bis heute umstritten. Wahrscheinlich hatte der Goldschmied und geniale Architekt Filippo Brunelleschi seine Hand im Spiel. Allerdings wurde an dem riesigen Bau rund 150 Jahre lang herumgebastelt, vor allem, nachdem 1549 die Familie de' Medici eingezogen war. Die Münchner Kopie ist fast 400 Jahre nach dem Florentiner Original entstanden. Dass der Königsbau der Residenz so aussieht, geht auf eine eigenhändige Anweisung Ludwigs I. an seinen Architekten Leo von Klenze zurück: Als dieser einen Kompromissentwurf vorlegte, der in den Obergeschossen mehr nach Rom als nach Florenz aussah, schreibt die Buchautorin Daniela Crescenzio ("Italienische Spaziergänge in München"), habe der König auf der "Beibehaltung der Fensterzahl und aller Verhältniße" bestanden.

Landsknechte und Feldherren

Drei Bögen über einem Sockel, darüber ein gerader Abschluss, eine Treppe, die hinauf in das stolze Gewölbe führt, fertig ist: Ja, was denn? Die Loggia dei Lanzi, würde ein stolzer Einwohner von Florenz sofort sagen. Die Feldherrnhalle, hieße die ebenso prompte Antwort in München. Auch hier steht das Original natürlich am Arno, erbaut bereits im späten 14. Jahrhundert, also etwa zur selben Zeit wie der Alte Peter. Als Baumeister gelten Benci di Cione und Simone Talenti. Das Münchner Gegenstück hat der Architekt Friedrich von Gärtner (1791-1847) entworfen. Während die italienische Loggia zunächst als Repräsentationsraum diente, später deutsche Landsknechte (daher der Name) beherbergte und noch später prächtige Skulpturen der Renaissance, war die bajuwarische Halle von Anfang an den Feldherren gewidmet - und zwischendurch noch Schlimmerem.

Der Keiler mit der langen Ahnenreihe

Achtung, jetzt wird es kompliziert: In München steht, nein: sitzt die zweite Fassung einer modernen Interpretation einer manieristischen Replik einer römischen Kopie eines griechischen Originals. Der Reihe nach: Vor dem Jagd- und Fischereimuseum in der Fußgängerzone ist die Bronzefigur eines sitzenden Keilers ein beliebtes Fotomotiv. Der Bildhauer Martin Mayer hat die Skulptur 1960 geschaffen - für die Wohnanlage Borstei in Moosach. Der Keiler an der Kaufingerstraße ist ein Guss aus dem Jahr 1960. Das Vorbild stammt jedoch aus Florenz. Der Giambologna-Schüler Pietro Tacca schuf es 1612 im Auftrag der Medici für deren Residenz im Palazzo Pitti, aufgestellt wurde "Il Porcellino" aber in einem Brunnen am Mercato Nuovo. Die römische Marmorskulptur, auf die das Werk zurückgeht, steht heute in den Uffizien. Sie ist die Kopie des griechischen Originals.

Säulen der Geschichte

Filippo Brunelleschi (1377-1446) und Leo von Klenze (1784-1864): Rund 400 Jahre trennen die beiden herausragenden Architekten. Der eine erfand quasi im Alleingang in Florenz die Renaissance, der andere machte München zu einem Florenz an der Isar. Zahlreiche Gebäude an der von Klenze konzipierten Ludwigstraße atmen florentinischen Geist. Von 1825 an baute Klenze an das Palais Törring-Jettenbach, die spätere Residenzpost am Max-Joseph-Platz, eine Fassade an, die ihr Florentiner Vorbild weder verleugnen kann noch will: Brunelleschis sogenanntes Findelhaus (Ospedale degli Innocenti), das erste im Renaissance-Stil erbaute Gebäude der Architekturgeschichte. Beim Vergleich der beiden Säulenhallen und Fassaden gerät der Betrachter schnell hinein in das beliebte Zeitschriften-Rätselspiel: Finden Sie die Unterschiede.

Gestohlener Götterbote

Von unten bläst ein Zephyr, eine Windgottheit, darüber schwebt Merkur, der Götterbote mit den Flügeln an Schuhen und Helm und dem Hermesstab. Mehrmals hat der Hofbildhauer Giambologna (eigentlich Jean de Boulogne) Mitte des 16. Jahrhunderts solche Statuen im Auftrag der Medici geschaffen (hier: Skulptur aus dem Bargello in Florenz). Ein Schüler Giambolognas, Hubert Gerhard, lebte später in München und schuf dort zahlreiche bedeutende Bronzen, die heute in der Michaelskirche, in und an der Residenz und auf der Mariensäule vor dem Rathaus stehen. Die Merkurstatue auf einem Brunnen im Tal stammt freilich weder von Giambologna noch von Hubert Gerhard. Friedrich von Thiersch und Hugo Kaufmann haben sie 1911 geschaffen. Die heutige Figur ist aber selbst ein Neuguss - das Original wurde 1993 gestohlen.

Falscher David zwischen Blumenbeeten

Der eine trägt eine Schleuder, der andere einen klobigen Dreizack. Der eine ist ein biblischer Held, der andere ein antiker Meeresgott. Der eine galt als Symbol stolzer, freier Bürger. Der andere ist eine Auftragsarbeit aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Unterschiedlicher können zwei Statuen kaum sein. Dennoch ist kaum bestreitbar, was München-Kennerin Daniela Crescenzio in einem ihrer Bücher schreibt: Im Alten Botanischen Garten könne man "eine etwas eigenwillige Interpretation des David von Michelangelo bewundern". Den Neptunbrunnen schuf Oswald Bieber 1937 im Auftrag der Nazis, die Brunnenfigur des Neptun mit Dreizack und Tunika stammt von Josef Wackerle. Michelangelo schuf seinen David zwischen 1501 und 1504. Das Werk gilt als berühmteste Skulptur der Renaissance, wenn nicht sogar der gesamten Kunstgeschichte.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2019
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