Architektur in München:Wohnen im Trafohäuschen

Architektur in München: Vom Obst - und Gemüseladen zum Architektenbüro: Thomas Pscherer an seinem Arbeitsplatz im Westend.

Vom Obst - und Gemüseladen zum Architektenbüro: Thomas Pscherer an seinem Arbeitsplatz im Westend.

(Foto: Stephan Rumpf)

60 Quadratmeter mitten in einem Münchner Villenviertel: Der Architekt Thomas Pscherer hat ein ganz besonderes Häuschen in Harlaching entworfen.

Von Alfred Dürr

Eine Kate, das ist gewöhnlicherweise ein kleines, vielleicht sogar ärmliches Haus, ein schlichter Behelfsbau. Der Münchner Architekt Thomas Pscherer, 53, hat für den Schriftsteller Stefan Mühldorfer in Harlaching eine ganz besondere "Hütte" entworfen - ein "Wohn- und Arbeitsmodul", inmitten eines großzügigen Gartengrundstücks mit alten Bäumen. Ein imposanter Stahlwürfel mit einer Seitenlänge von sieben Metern ist hier entstanden.

Fast 300 Bauprojekte in ganz Bayern öffneten bei den diesjährigen Architektouren Ende Juni ihre Türen für die interessierte Öffentlichkeit. Die "Kate für einen Schriftsteller" war einer der Publikumsrenner. Es kamen weit mehr Besucher, als die Anmeldeliste aufnehmen konnte.

Geplant hat Pscherer dieses spezielle Bauwerk in seinem Ladenbüro im Herzen des Münchner Westends. Das frühere Obst- und Gemüsegeschäft verfügt über zwei große Schaufensterfronten im Eckhaus an der Kreuzung Angler- und Heimeranstraße. Die Tür steht weit offen. Man hat von außen einen ungehinderten Blick auf zwei Schreibtische und auf Regale, die dicht mit Aktenordnen und Fachbüchern belegt sind. Schlicht und zweckmäßig ist der Raum eingerichtet. Hier und da stapeln sich Papiere etwas ungeordnet, es sieht nach kreativem Chaos aus.

Wer arbeitet eigentlich hier? Schaut man genauer hin, entdeckt man im Schaufenster ein kleines Pappmodell eines Wohnhauses, und an der Glasscheibe lehnt ein Schild aus Emaille: "Th. Pscherer Architekt". Das habe ihm ein Bauherr nach dem Abschluss eines Projekts vermacht, erklärt der freundliche Ladenmieter nicht ohne Stolz.

Das Ambiente passt zu Scherers Grundeinstellung. Er arbeite bewusst in "kleinster Bürostruktur" in einem lebendigen Innenstadtquartier. So habe er die Freiheit und Unabhängigkeit, unkonventionelle Projekte zu realisieren. Wie eben auch die Kate für einen Schriftsteller. Das Haus ist auf die wesentlichen Funktionen des Wohnens und Arbeitens reduziert. "Es ist alles drin, was man braucht, aber speziell gelöst", erklärt Pscherer.

Kleine Tricks zur Platzgewinnung

Zum Beispiel ist die Badewanne in den Boden eingelassen. Man kann sie mit einem Deckel verschließen, wenn sie nicht gebraucht wird. Das schafft Platz. Schubladen und andere Einbauten sind so geschickt konstruiert, dass der 60-Quadratmeter-Raum nicht beengt wirkt. Ein Ofen und ein paar Solarzellen genügen, um das Haus zu heizen und mit Warmwasser zu versorgen.

Dem Bauherrn kam es darauf an, das Grundstück in einem der attraktivsten Münchner Wohngegenden nicht vollständig zuzubetonieren. Die alten Bäume sollten nicht weichen. Inmitten von repräsentativen Villen und anderen herrschaftlichen Häusern ist die Kate ein eigenwilliger Nachbar. Da würden schon mal Passanten stehen bleiben, hat Pscherer beobachtet, und etwas verwundert den Kopf schütteln: "Ist das überhaupt ein Wohnhaus, oder nicht doch eine Trafostation?"

Außen beeindruckend, innen minimalistisch

Architektur in München: Die Musterfassade für den Neubau eines Bürohauses im Zentrum Münchens´.

Die Musterfassade für den Neubau eines Bürohauses im Zentrum Münchens´.

(Foto: privat)

Innen minimal, klar und reduziert - von außen eine beeindruckende Skulptur. Nach diesem Prinzip ist Pscherer auch bei einem anderen seiner Projekte verfahren, einem Wohnhaus in Königsmoos, im oberbayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Auf einer sumpfigen Wiese stellte er auf Bohrpfählen zwei schmale Riegel spitzwinklig zueinander und legte einen weiteren Riegel verbindend darüber. Der gebürtige Amberger erhielt für diesen ungewöhnlichen Entwurf unter anderem auch den German Design Award 2016.

"Ich mag solche individuellen Arbeiten, das sind keine Serienproduktionen", sagt der Architekt. Ein Gebäude, das ihm sehr am Herzen liegt, ist ein kleines Atelier zum Wohnen und Arbeiten für einen Bildhauer im Allgäu. Der Hintergrund der Entstehungsgeschichte ist nicht alltäglich. Beim Vorbeifahren an einem gerade entstehenden Bürokomplex in der Münchner Innenstadt ist Pscherer ein Gerüst mit der Musterfassade für den Komplex aufgefallen.

Er habe gefragt, ob man das Musterhaus abbauen dürfe, bevor es entsorgt werde. Das hat geklappt, sämtliche Materialien wurden wiederverwendet. Für 20 000 Euro entstand das Atelier. Das Haus bekam den Kemptner Baupreis. Gerade in der Baubranche werde noch brauchbares Material "in Massen mit einem hohen Energieaufwand" entsorgt, kritisiert Pscherer. Da sei ein Umdenken dringend nötig.

Das Alte erhalten, es angemessen mit Neuem verbinden, respektvoll mit Denkmälern umgehen: Das ist ein weiteres Prinzip, das die Arbeit des Architekten prägt. In Eurasburg hat er ein uraltes Bauernhaus in ein Restaurant mit Gästezimmern umgebaut. Dabei verzichtete er auf jeden unnötigen Zierrat, dafür sollte die Schönheit des Bauwerks voll zur Geltung kommen. Ähnlich sensibel waren die Eingriffe in die Fassade und in die Struktur eines Wohnhauses in der sogenannten Amerikanersiedlung in Obergiesing.

Man spürt die Leidenschaft, mit der Pscherer solche Herausforderungen bewältigt. Dabei wollte er ursprünglich gar nicht Architekt werden. Sein Lebenstraum sei die Musik gewesen, sagt er. Zunächst hat er drei Jahre lang klassisches Saxofon studiert. Mit seinem Lehrer habe er oft mehr über Architektur als über die Musik gesprochen und sich immer stärker zum Planen und Bauen hingezogen gefühlt. Schließlich hat er im traditionsreichen Gebäude an der Karlstraße in München Architektur studiert: "Ein Jahr lang liefen beide Bereiche parallel." Mathematisch genaue Konstruktionen, der Aufbau, die Intervalle, Proportionen... Musik und Architektur kämen sich in vielem sehr nahe.

Für Pscherer waren große Architekturbüros nie attraktiv: "Da mischen so viele mit, bei den Projekten muss man oft Kompromisse eingehen." Er sei doch lieber ein Einzelkämpfer. In einem großen Büroapparat verliere man schnell die persönliche Freiheit. Wenn es ihm mitunter mit der Architektur zu viel wird, hat er zum Ausgleich immer noch sein Saxofon, mit dem er dann auf andere Art aufspielen kann.

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