Architektur in der Altstadt:Wie sich Münchens Silhouette verändert

Von oben sieht die Altstadt aus wie ein Herz. Durch neue Bauprojekte könnte das Bild nachhaltig zerstört werden.

Von Alfred Dürr

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Quelle: Imago Stock&People

Die Umrisse eines Herzens, allerdings mit einem Durchmesser von einem Kilometer: Der Blick von oben auf die Form der Münchner Altstadt erweckt die Assoziation an dieses zentralste aller Körperorgane. Der scheidende Stadtheimatpfleger Gert F. Goergens fragt: Ist München dabei, seine unverwechselbare Silhouette zu zerstören? Wie soll die Stadt mit dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Wandel umgehen?

Goergens hat deshalb Leitlinien verfasst, die Hauseigentümern und Investoren eine Orientierung in wesentlichen Punkten der Gestaltung geben sollen. Der Maßstab und das besondere Gefüge der Münchner Altstadt sollen durch Neubauten nicht gesprengt werden. "Wir sollten gut hinsehen", heißt es in den Leitlinien, "was wir möglicherweise aufzugeben bereit sind und was an dessen Stelle tritt". Für die Altstadt bieten sich große Chancen durch moderne Projekte, die gerade anstehen.

Parkhäuser sollen neuen Gebäuden mit Geschäften und Wohnungen weichen. Die Liste der künftigen Altstadt-Projekte, bei denen die Leitlinien greifen sollen, ist lang. Sie reicht vom Neubau des Hauptbahnhofs über die Alte Akademie bis zur Umgestaltung des Max-Joseph-Platzes vor der Oper.

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Arkaden

Alte Akademie in München, 2015

Quelle: Stephan Rumpf

Hier wird es 2017 spannend: Im Mai wurden die Ergebnisse des Architektenwettbewerbs zur Neugestaltung der Alten Akademie im Zentrum der Fußgängerzone vorgelegt (hier gibt es mehr Infos dazu). Der Komplex gehört zu den bedeutendsten Bauwerken des späten 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen. Er war ein wichtiger Ort der Kultur, Wissenschaft und Religion in München.

Nach dem Krieg wurde das schwer zerstörte Gebäude nach historischem Vorbild wieder aufgebaut. Nun soll aus ihm ein modernes Geschäfts-, Büro- und Wohnprojekt werden: die Neuzeit im alten Gewand gewissermaßen. Ein wesentlicher Punkt dabei: bleiben die Arkaden erhalten oder nicht? In der Wiederaufbauzeit, sagt der Stadtheimatpfleger, seien diese offenen Durchgänge in verschiedenen Bereichen der Altstadt errichtet worden. Sie bieten für Passanten ein spezielles Raumerlebnis sowie Schutz vor Regen und Sonne. Der öffentliche Raum wird attraktiver.

Doch der kommerzielle Druck ist enorm, die Arkadenflächen in Verkaufsräume umzuwandeln. Heimatpfleger Gert Goergens mahnt Standhaftigkeit an. Die Arkaden in ihrer überlieferten Form seien ein wichtiges Ziel des Ensembleschutzes.

Der Stadtrat muss in den kommenden Monaten über die neuen Pläne entscheiden.

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Dachlandschaft

Ansicht der Münchner Altstadt, 2015

Quelle: Alessandra Schellnegger

Die Debatte um den für das Jahr 2021 geplanten Erweiterungsbau für das Hotel Mandarin Oriental auf dem Areal des Fina-Parkhauses an der Neuturmstraße zeigt den Konflikt sehr deutlich auf. Gewonnen hatte den Wettbewerb das spanische Architektenbüro Nieto Sobejano.

Entstehen sollte neben dem prächtigen Altbau des Hotels ein hoch aufragender Komplex mit moderner Stahl-Glas-Fassade und einer terrassenartigen Abstufung der Bauteile. Realisiert wird dieses Konzept aber nicht. Der Widerstand vor allem der Denkmalschützer war zu stark. Zum Zug kommt deshalb nun das Büro Hild und K. mit einem Entwurf, der sich eher an traditionellen Fassaden und Dachlandschaften orientiert.

Das vertraute Bild aus ziegelgedeckten Sattel- und Walmdachformen soll bewahrt werden. Alles andere sprenge schnell die Struktur der Altstadt, sagt der Stadtheimatpfleger. Seit den Siebzigerjahren tauchen immer mehr Flachdächer im Ensemble auf, klagt er. Als "zunehmend beunruhigende Komponente" fielen die technischen Dachaufbauten - dazu gehören etwa auch Solaranlagen - und Terrassennutzungen auf Flachdächern ins Gewicht.

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Werbung

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Quelle: Rumpf

Die Innenstadt ist auch ein Einkaufszentrum. Werbung gehört dazu. Aber wie weit darf man es treiben mit Tafeln und den immer häufiger werdenden Videos in den Schaufenstern? In der ensemblegeschützten Altstadt wird eine besondere Rücksichtnahme, Zurückhaltung und die maßstäbliche Einfügung bezüglich des unmittelbaren Umfeldes zum öffentlichen Raum erwartet, heißt es in den Leitlinien. Bewegte Bilder oder Werbung durch Videos seien generell zu vermeiden, denn sie könnten den öffentlichen Raum noch stärker überfrachten.

Konventionelle Schilder mit Einzelbuchstaben, dezent und unaufdringlich in die Fassade eingefügt - das genügt aber vielen nicht mehr. Wie erzielt man die größtmögliche Aufmerksamkeit? Über diese Frage diskutierten beispielsweise Vertreter der Stadt und des kalifornischen Modelabels Hollister in der Hofstatt. Eine flächendeckende Videowand füllt über zwei Stockwerke hinweg das Schaufenster am Färbergraben. Darauf ist das Livebild des kalifornischen Huntington Beach zu sehen. Der sanfte Wellenschlag und das ruhige Strandfeeling seien keine starke Beeinträchtigung des Stadtbilds, stellte die Stadt schließlich fest.

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Monumentalbauten

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Quelle: SZ

Am Stachus soll demnächst ein spektakulärer Neubau entstehen. Am künftigen Hotel Königshof scheiden sich aber die Geister. Die einen können mit dieser Form moderner Architektur nichts anfangen, die anderen freuen sich: endlich ein Ausbruch aus konventionellen Mustern. Stadtheimatpfleger Gert Goergens sperrt sich nicht.

Der Neubau steht zwischen zwei wichtigen Baudenkmälern, dem historischen Justizpalast und dem Kaufhof-Gebäude aus den Fünfzigerjahren. Es ergibt sich ein spannungsreicher Dreiklang. Alt und Neu - an dieser Stelle hat die Kombination eine Chance.

Grundsätzlich, so heißt es in den Leitlinien, haben sich Neubauten den "Identität stiftenden Monumentalbauten" unterzuordnen. Altes und Neues Rathaus, die Kirchen, die Residenz, auch das historische Hochhaus an der Blumenstraße, dominieren auch mit ihrer Turmsilhouette das Bild der Altstadt und bestimmen das städtebauliche Prinzip. Dieser Maßstab soll eine Verpflichtung sein. Das bedeutet Zurückhaltung bei der Höhe. Sogenannte profilüberragende Bauwerke sollen nur möglich sein, wenn es sich um kulturelle, sakrale oder städtische Sonderbauten handelt.

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Beletage

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Quelle: Stephan Rumpf

Typisch für Häuser an bestimmten Straßenzügen in der Altstadt ist die sogenannte Beletage, also eine spezielle Ausprägung des ersten Obergeschosses. Optisch bestimmt werden diese jeweiligen Stockwerke über den Läden meist mit großflächigen Schaufenstern, in denen mehr oder weniger dezent für die Geschäfte geworben wird. Bei einer Neuinterpretation der Beletage sei die formale und typologische Zugehörigkeit zur Gesamtfassadengestaltung unverzichtbar, fordert Stadtheimatpfleger Gert Goergens.

Als vor gut zehn Jahren durchsickerte, dass Apple in der Rosenstraße seinen ersten deutschen Flagship-Store eröffnen werde, war die Begeisterung nicht nur bei den Kunden groß. Die Stadt akzeptierte eine Glasfassade - vom Erdgeschoss bis hinauf zur Beletage. Das weckte sofort Begehrlichkeiten bei anderen Bauherrn, zum Beispiel für ein Projekt am Marienplatz. Dieses wurde abgelehnt.

Alt-OB Christian Ude warnte vor einem "Missbrauch des Platzes für Werbezwecke" und vor einer "Sprengung des Maßstabs". Die Architektur beim Apple-Haus ist gut, aber in das Gefüge der Altstadt passt sie nicht. Ob sie heute in dieser Form genehmigt würde, ist fraglich.

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Fassaden

Sport Scheck-Baustelle im Joseph-Pschorr-Haus in München, 2013

Quelle: Alessandra Schellnegger

In der Wiederaufbauphase habe sich, abgeleitet von den bis dahin überlieferten Gestaltungsprinzipien, das System von gleichmäßig geordneten, hochformatigen Rechteckfenstern in den bisher vertrauten Dimensionen erhalten, stellt der Stadtheimatpfleger fest. Allerdings zeigten bestimmte Bauten, wie etwa beim Stadtmuseum oder bei der Maxburg, ein sehr eigenständiges Erscheinungsbild bei den Fassaden, das bewusst einen Kontrast zur historischen Nachbarschaft darstellt.

Für Diskussionen sorgte in jüngster Zeit die Fassade des Joseph-Pschorr-Hauses, das prominent inmitten der Fußgängerzone liegt. Einst war hier eine Brauerei, dann kam ein Karstadt-Kaufhaus, jetzt soll der Nachfolgebau ein Zeichen für die Moderne mit einer zeitgemäßen Formensprache setzen. Das Berliner Büro Kuehn Malvezzi hat den riesigen Block abwechslungsreich gegliedert. Aber die gefaltete Fassade hin zur Fußgängerzone musste modifiziert werden, weil sie zu stark spiegelte. Dennoch gilt der Komplex als gelungene Neuinterpretation eines Blocks in der Innenstadt. Das Problem ist jedoch, dass die Werbung an der Fassade dominiert.

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Öffentlicher Raum

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Quelle: Catherina Hess

Es geht nicht nur um das Bauen in der Altstadt, sondern auch um den Platz zwischen den Gebäuden. Dieser sogenannte öffentliche Raum ist die städtische Bühne für das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben und bedarf deshalb ganz besonderer Aufmerksamkeit, sagt der Stadtheimatpfleger Gert Goergens. Die Menschen müssen in der Innenstadt verweilen können, ohne dass gleich wieder Konsumzwang oder Hektik herrscht.

Lange Zeit galt der Marstallplatz zwischen Maximilianstraße, Oper und Residenz als unattraktiver Hinterhof. Ein hässliche Baulücke prägte das Erscheinungsbild an der Maximilianstraße. Mitte der Neunzigerjahre kam Bewegung in die Frage, wie es mit diesem Brachland in Bestlage weitergehen soll. Nach dem Plan der Staatsregierung sollte ein privater Investor das dringend benötigte Probengebäude für die Oper errichten.

Dafür stünden dann die restlichen Flächen für eine kommerzielle Nutzung zur Verfügung. Die modernen Bauten der "Maximilianhöfe" entstanden. Bis heute ist es jedoch nicht gelungen, den Marstallplatz zu einer attraktiven und lebendigen innerstädtischen Piazza zu machen.

© SZ/hmai, axi
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