Architektur:Die Schulgeister müssen umziehen

Ein Kunstwerk von Friedensreich Hundertwasser an der Fassade der Willy-Brandt-Gesamtschule im Hasenbergl soll den Abriss des Gebäudes überstehen und in den Neubau integriert werden

Von Simon Schramm, Hasenbergl

Wer im Vorbeigehen nicht darauf achtet, der könnte fast übersehen, welches besondere Schmuckstück an der Willy-Brandt-Gesamtschule angebracht ist. Und wem der Urheber dieses Werkes an der Freudstraße nicht bekannt ist, der wird auch nicht wissen, welchen Wert die Gebäudefassade eigentlich hat. Auf der mausgrauen Betonwand der Schule ist nämlich ein Werk des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser angebracht: bunte, mosaikartig angeordnete Fliesen, zusammengefasst in sich schlängelnden Linien, die die Wände links und rechts des Schuleingangs flankieren, mal schmal, mal breiter mit kunstvollen Zacken und Knoten. Im kommenden Jahr muss die Stadt Vorbereitungen treffen, damit Hundertwassers Fliesen auch in Zukunft die Fassade der Schule zieren.

Denn die im September 1973 eröffnete Gesamtschule muss abgerissen werden. Das Gebäude lediglich zu sanieren, hält die Stadt für nicht wirtschaftlich. Dafür entsteht ein Neubau, der noch um eine Fachoberschule für Sozialwesen erweitert wird. Im Sommer 2019 sollen die Bauarbeiten beginnen, das Bildungsreferat erwartet, dass die neue Gesamtschule bis 2022 errichtet wird. Die Fachschule soll bis 2025 stehen. Die Schüler werden in dieser Zeit in Schulpavillons unterrichtet, die auf dem Sportplatz der Schule stehen sollen. Das Baureferat ist noch in der Vorplanung. Untersucht werden soll dabei auch, wie die Hundertwasser-Mosaike in den Neubau integriert werden. "Es ist beabsichtigt, einen Experten hinzuzuziehen, der klärt, wie das Kunstwerk abgenommen werden könnte", sagt eine Sprecherin des Baureferates.

Architektur: "Traut euch", sagte Hundertwasser den Zwölfjährigen, die mit ihm das Mosaik schufen. Die Lebendigkeit entstehe im Machen.

"Traut euch", sagte Hundertwasser den Zwölfjährigen, die mit ihm das Mosaik schufen. Die Lebendigkeit entstehe im Machen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass im südlichen Hasenbergl ein Werk von Friedensreich Hundertwasser zu sehen ist, ist nicht der Stadt oder einer anderen Institution zu verdanken, sondern tatsächlich dem Engagement einer einzelnen Schülerin. Das Kunstwerk entstand im Oktober 1988. Die Schülerin aus der Oberstufe hatte zuvor Hundertwasser angeschrieben und gefragt, wie das fade Schulgebäude schöner gestaltet werden könnte. Prompt entschied sich Hundertwasser, die Neugestaltung gemeinsam mit den Schülern anzugehen. Für einen Tag war der Künstler in München zu Besuch. Anne Wiegand, 41, erinnert sich noch, wie sie damals als Zwölfjährige an der vorderen Fassade mitgearbeitet hat. "Hundertwasser hat uns von seiner Einstellung erzählt: Wir sollten uns einfach trauen, das Kunstwerk und seine Lebendigkeit entstünden im Machen", sagt Wiegand. Wiegands Vater hat sich jüngst bei der Lokalpolitik für den Erhalt des Kunstwerks eingesetzt.

Der Besuch des Künstlers sei für die Schüler etwas ganz Besonderes gewesen, erzählt Anne Wiegand. Hundertwasser sei sehr authentisch gewesen, "so nahbar, wie eine gewöhnliche Person, für jedes Gespräch bereit, sehr offen". Nach dem kurzen Besuch hätten die Schüler die Fliesen-Linien ohne den Wiener Künstler weitergeführt und auch im Treppenhaus der Schule geklebt. Wie es gelingen kann, das Kunstwerk zu erhalten? Anne Wiegand vermutet, dass dazu auch ein Teil der Fassadenmauer selber abgenommen werden muss.

Friedensreich Hundertwasser, 1996

Friedensreich Hundertwasser, der im Jahr 2000 starb, wollte, dass der Geist eines alten Hauses im Nachfolger-Bau fortlebt.

(Foto: Heinz Peter Bader/Reuters)

Das Vorgehen, das bestehende Kunstwerk in einen neuen Bau einzufügen, könnte durchaus zu den Ideen und Haltungen des im Jahr 2000 verstorbenen Hundertwasser passen. "Hundertwasser hat immer bei seinen Architekturprojekten, wenn ein altes Gebäude abgerissen wurde, einen Teil des alten Gebäudes, zum Beispiel die Fassade, in das neue integriert", sagt Joram Harel, Vorstand der privaten Hundertwasser Stiftung aus Wien. "Er glaubte, dass die Geister des alten Hauses in das neue miteinziehen sollten." Eine Übertragung stelle kein Problem dar, sagt Harel, wenn sie professionell, sach- und fachgerecht ausgeführt werde. Außer der Fassade der Gesamtschule ist der Stiftung an architektonischen Werken von Hundertwasser in München sonst nur das "Hochwiesenhaus" im Westpark bekannt.

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