Es gab schon manchen erstaunlichen Plan für das Haus der Kunst: Das Gebäude sollte gesprengt werden, ein Entwurf aus den Sechzigerjahren ließ nur die Treppe stehen, die früher auf ganzer Breite hinaufführte. Ein anderer sah vor, sämtliche Säulen zu entfernen und nur das Kerngebäude übrig zu lassen, wie einen amputierten Rumpf. Sein Inneres wurde "architektonisch entnazifiziert", sprich das unliebsame Erbe wurde verschalt, abgehängt und so zu einer Art Leiche, die auf allen Stockwerken lag, nicht nur im Keller.
Mit dem gewandelten Bewusstsein begann in den Neunzigerjahren dann wieder der "kritische Rückbau". Im Inneren wurden die Ursprünge des Kunsttempels, wie die Nationalsozialisten ihn konzipiert hatten, wieder freigelegt. Die Weichen für eine offene Auseinandersetzung mit der Geschichte des Hauses waren gestellt. Im Kern.
Jetzt ist David Chipperfield dazu angetreten, diesen Prozess auch im Äußeren zu vollenden. Lange sagten Okwui Enwezor und er nur relativ vage, man wolle das Haus der Kunst "wieder an die Stadt anbinden". Und auch als plötzlich der Termin im Abendprogramm des Hauses der Kunst mit David Chipperfield auftauchte, stand dieser noch eher unscheinbar im Museumsprogramm. David Chipperfield, so hieß es, wolle von seinen bisherigen Projekten erzählen. Also etwa über seine Arbeit am Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel, das Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar oder das Turner Contemporary im Margate.
Jedem war klar, dass man daraus würde Schlüsse ziehen können auf Chipperfields Pläne fürs Haus der Kunst selbst. Aber dass der britische Architekt an diesem Abend schon erste Ideenskizzen an die Wand projizieren würde, war dann doch ein Knaller für die Zuhörer. Unter ihnen: Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Der hatte einen Vorsprung. Aber nur einen kleinen.
Erst am Vormittag desselben Tages hatte Chipperfield Spaenle seine Skizzen vorgestellt. Spontan begeistert, ermutigte der Minister den Architekten, schon am Abend die Katze aus dem Sack lassen. Und Spaenle selbst entschied, ein paar einführende Worte zu sprechen. Schließlich weiß er, dass Zündstoff liegt in Chipperfields Quintessenz: "Der grüne Vorhang muss weg", sagt der Architekt.
Und er meint alles, wohinter die Münchner das Haus der Kunst seit Jahrzehnten versteckt haben. Das sind vor allem die Bäume, die in den Sechzigerjahren in der Prinzregentenstraße vor die Häuserfront gepflanzt wurden. Das betrifft aber auch die Rückseite und den Englischen Garten. Derzeit ist sowohl die Sichtachse auf das Haus vom Park aus verstellt, als auch der Ausblick in den Park vom Museum aus. Dafür schirmt ein unansehnlicher Parkplatz das Haus gewissermaßen zusätzlich vom Englischen Garten ab, als wäre das Haus eine No-go-Zone.
"Chipperfield will die Vergangenheit des Gebäudes offengelegen. Für mich ist das der Inbegriff eines sehr demokratischen Umgangs mit der Geschichte", sagt Ludwig Spaenle, selbst promovierter Historiker. "Man muss jetzt die intellektuelle und die emotionale Bereitschaft finden, den Vorhang wegzuziehen. Denken Sie, wie lange wir in München gebraucht haben, um den passenden Ort für das NS-Dokumentationszentrum zu finden, diese scheinbar so zwingende Lösung."
Mit seiner Tour zu den anderen Entscheidern - von denen sich mancher nun doch arg überrumpelt fühlt - hat der Minister in dieser Woche schon begonnen. "Es wird nun natürlich eine Güterabwägung geben. Schließlich ist öffentliches Grün in einer Stadt wertvoll. Aber wenn der Vorhang weg soll, werden die Bäume weichen müssen", sagt Spaenle.