Süddeutsche Zeitung

Archäologie:So lebten Pasings Urväter

  • Drei Monate lang haben sich Archäologen durch ein rund 1000 Quadratmeter großes Areal an der Josef-Retzer-Straße gegraben, auf dem Wohnungen gebaut werden sollen.
  • Bei der Freilegung eines der größten Reihengräberfelder stoßen die Experten auf fast 140 Bestattungen.
  • Möglicherweise entdeckten sie dabei sogar die Knochen des legendären Pasinger Gründervaters "Paoso" - und die seines Schlachtrosses.

Von Martin Bernstein

Wie sind die Bayern eigentlich zu Bayern geworden? Der Lösung dieses alten Rätsels sind Archäologen in Pasing ein gutes Stück näher gekommen. Bei der Freilegung eines der größten Reihengräberfelder im Großraum München konnten die Ausgräber wie im Zeitraffer dabei zuschauen, wie sich vor 1600 Jahren der Stamm der Bajuwaren gebildet hat.

Möglicherweise entdeckten sie dabei sogar die Knochen des legendären Pasinger Gründervaters "Paoso" - und die seines Schlachtrosses. Generalkonservator Mathias Pfeil, der Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, nennt die Pasinger Funde schon jetzt "spektakulär".

Drei Monate lang haben sich Mario Hölzl von der Münchner Grabungsfirma "X-Cavate Archaeology" und sein Team durch das rund 1000 Quadratmeter große Areal an der Josef-Retzer-Straße gegraben. Die Heimstättenbaugenossenschaft Pasing mit ihren 500 Mitgliedern will an der Stelle neue Wohnungen errichten. Weil aber zwischen 1916 und 1966 in der Nachbarschaft bei Bauarbeiten immer wieder menschliche Knochen zu Tage gefördert worden waren, mussten vor den Baggern erst einmal die Archäologen anrücken.

Ausgräber Hölzl rechnete zu Beginn der Grabungen damit, auf zehn, vielleicht zwölf Gräber zu stoßen - und erlebte mehr als eine Überraschung. Sein Team setzt klassische Methoden der Archäologie ebenso ein wie modernste Technik: Eine Drohne kreist über dem Grabungsareal und dokumentiert die Entdeckungen aus der Luft, 3-D-Aufnahmen konservieren die Fundsituation und die freigelegten Gegenstände virtuell für eine weltweite Forschergemeinschaft.

Die Archäologen arbeiten bereits auf der Grabungsstelle mit Restauratoren und Anthropologen zusammen. Und als wäre all das nicht schon anspruchsvoll genug, funkt auch noch das Wetter dazwischen. Immer wieder müssen im Dauerregen die Grabungen kurzzeitig unterbrochen werden. "Das Wetter war eine Katastrophe", sagt Hölzl.

Funde sind wohl nur ein kleiner Ausschnitt

Die Funde jedoch sind umso beeindruckender. Die Archäologen stoßen auf immer neue Gräber, fast 140 Bestattungen werden es am Ende sein. Und sie sind vermutlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Friedhof der ersten Pasinger. Möglicherweise bis zu 1000 Tote wurden zwischen dem Ende des fünften und dem Ende des siebten Jahrhunderts in dem Areal zur letzten Ruhen gebettet, schätzt Generalkonservator Pfeil. Er ist sich sicher: "Hier ist Pasing entstanden."

Die Bestatteten waren wohl schon Christen, darauf deutet die Ost-West-Ausrichtung der Gräber hin. Doch ihre alten Sitten hatten sie beibehalten: Die Ur-Pasinger gaben ihren Toten Gegenstände des täglichen Lebens mit ins Grab. Die reichen Beigaben lockten schon im siebten Jahrhundert Grabräuber an. Einem vor 1500 Jahren gestorbenen Kind wurden römischer Bronzeschmuck und bunte Glasperlen von den trauernden Eltern ins Grab gelegt.

Die Ausgräber tauften das Kind "die kleine Prinzessin". Ein großer Prinz, zumindest aber ein angesehener Krieger, lag mit all seinen Waffen in einem anderen Grab. Gleich daneben eine Pferdebestattung. So etwas kennt man aus Bayern fast gar nicht, es ist typisch für den thüringischen oder alemannischen Raum. Ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Bajuwaren aus verschiedensten Stammessplittern, Germanen wie Römern, formiert haben.

Eine Ur-Multi-Kulti-Gesellschaft

Das war keine Einwanderung eines neuen Volkes, das war "eine Multi-Kulti-Gesellschaft", wie Ausgräber Hölzl sagt. Näheres werden Anthropologen noch herausfinden, wenn sie den Zahnschmelz der Toten untersuchen. Seine Zusammensetzung verrät nämlich, wo ein Mensch aufgewachsen ist.

War der mit so viel Pomp beerdigte Reiterkrieger der legendäre Paoso? Archäologen schmunzeln bei solchen Fragen. Hölzl schmunzelt aber, weil er schon mehr weiß: Mit seiner Drohnenkamera hat er einen Kreisgraben entdeckt - sicherer Hinweis auf einen Grabhügel, ein Fürstengrab als vermutlichen Ursprung des spätantiken Pasinger Friedhofs. Die Grabkammer liegt tief im Boden ein paar Meter jenseits der aktuellen Fundstelle, an der am Montag die Bagger anrollen. Paoso darf weiter in Frieden ruhen - geschützt durch den Asphalt einer modernen Straße.

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SZ vom 17.06.2016/vewo
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