Arbeitssucht und Burnout:Arbeit kann tödlich sein

Erst tüchtig, dann süchtig: Workaholics arbeiten bis zur Erschöpfung, im schlimmsten Fall endet die Arbeitssucht tödlich. Die meisten Betroffenen verbergen ihre Störung - aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Doch das macht es noch schlimmer.

Beate Wild

Plötzlich fand sich Diana Ritter (Name von der Redaktion geändert) in einer Klinik wieder. Sie war zusammengebrochen. Körperlich ausgelaugt, emotional erschöpft, nichts ging mehr. Diagnose: Burnout. "Ich wusste nicht einmal, dass ich arbeitssüchtig bin", sagt die heute 51-Jährige. Ein typischer Satz für Workaholics, denn die meisten Betroffenen sind sich gar nicht im Klaren, dass ihr überhöhter Arbeitseinsatz schon lange nicht mehr im Bereich des Normalen liegt. Die Grenze zwischen tüchtig und süchtig ist schnell überschritten.

Sozialer Jetlag: Müdigkeit durch ungünstigen Arbeitsrhythmus

Im Büro bis spät in die Nacht: Workaholics können einfach nicht mehr aufhören zu arbeiten. Doch viele werden dadurch körperlich krank, auch die sozialen Beziehungen leiden wegen der Störung.

(Foto: iStock)

"Man ist arbeitssüchtig, wenn man mehr arbeitet als die Jobbeschreibung verlangt, und dazu noch eine zwanghafte, exzessive Komponente kommt", definiert Jürgen Glaser, Diplom-Psychologe am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der LMU, das Krankheitsbild. Arbeitssüchtige seien Menschen, die nur "widerwillig von der Arbeit ablassen", sagt er. Perfektionisten, Idealisten. Dieses Verhalten hätte dann negative Konsequenzen auf Gesundheit, Freunde und Familie. "Bei einem Burnout ist die Ursache ausschließlich in der Arbeitswelt zu suchen", sagt Glaser.

Auch Diana Ritters Arbeitssucht endete so. Zu dem Burnout kam das Ende ihrer Ehe. Der Zusammenbruch vor drei Jahren führte die Managerin zur Selbsthilfegruppe Anonyme Arbeitssüchtige. Im Selbsthilfezentrum München in der Westendstraße 68 treffen sich etwa zwei Dutzend Betroffene, es gibt zwei verschiedene Gruppen, die eine kommt samstags zusammen, die andere donnerstags.

Ritter ist eine zierliche, blonde Frau mit wachen Augen und ruhiger Stimme. Wenn sie spricht, merkt man, dass sie schon viel über ihr Problem nachgedacht hat. In den Selbsthilfegruppen im Westend erfahren die Workaholics soziale Unterstützung. Sie sind ähnlich strukturiert wie die Gruppen der Anonymen Alkoholiker, nur dass der Suchtstoff nicht Alkohol heißt, sondern Arbeit.

Eine genaue Zahl, wie viele Menschen arbeitssüchtig sind, gibt es nicht. Zum einen, weil es sich bei Burnout nicht um eine klinische Diagnose handelt, zum anderen weil es eine hohe Dunkelziffer gibt. Schätzungen sprechen deutschlandweit etwa von 200.000 bis 400.000 Betroffenen. "Im schlimmsten Fall kann Arbeitssucht tödlich enden", sagt Glaser. Herzinfarkt oder Schlaganfall sind die häufigsten Todesursachen. In Japan, wo Workaholismus ein weit verbreitetes Problem ist, hat man sogar ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung: Karōshi.

Herzinfarkt oder Schlaganfall als Folge

Jede Sitzung der Anonymen Arbeitssüchtigen läuft gleich ab. Es wird ein Schwerpunktthema herausgegriffen und dazu Fachliteratur verlesen - beispielsweise zur Problematik, dass man sich unter fadenscheinigen Ausreden immer mehr von seinen Freunden abkapselt. Das Vorlesen ist Teil des Rituals. Im Anschluss daran berichtet jeder Teilnehmer seine Erfahrungen zu diesem Aspekt. "Das sind Monologe, jeder darf erzählen soviel er will, er wird nicht unterbrochen und erhält ungefragt auch keine klugen Ratschläge der anderen", sagt Ritter. Das sind die Regeln. Sie sind wichtig, um ein Klima der Wertschätzung zu etablieren.

Stress im Job

Menschen in kreativen Berufen leiden häufiger unter Stress als andere.

(Foto: ddp)

Die Treffen sind, wie der Name schon sagt, anonym. Deshalb dürfen nur Betroffene teilnehmen, keine Neugierigen und erst recht keine Presse. Das Gespräch zwischen der Autorin und den Mitglieder der Selbsthilfegruppe muss aus diesem Grund zu einem extra verabredeten Termin stattfinden. Es wird immer wieder betont, dass man nicht in der Öffentlichkeit erkannt werden will, weshalb die Namen der Betroffenen geändert wurden.

"In den Gruppen wird vor allem Selbstreflexion betrieben", sagt Gregor Wolf, der im echten Leben auch anders heißt. Der 50-Jährige ist seit elf Jahren dabei. Seine Arbeitssucht trieb ihn damals in eine Depression. Er ist im Bildungsbereicht tätig, mehr will er nicht verraten. Daneben ist er als Blogger aktiv. Er steigerte sich so sehr in die Arbeit, besonders in seine publizistische Tätigkeit im Internet, dass er nur noch mit Hilfe einer Therapie und der Selbsthilfegruppe zurück in sein "normales" Leben fand.

Wolf erzählt sehr reflektiert, wählt seine Worte sorgsam. Er ist ein ernster Mann, der schon auf den ersten Blick ehrgeizig und zielstrebig wirkt. Er hat fast rund um die Uhr gearbeitet, und in seinem Urlaub noch Sprach- und Studienreisen unternommen. Hauptsache immer etwas zu tun. Durch seine Arbeitssucht zerbrach auch seine Beziehung. Die Gruppe im Westend braucht er auch nach so vielen Jahren immer noch. Sie gibt ihm Halt, hier hat er jemandem zum Reden, hier fühlt er sich verstanden.

Den Teufelskreis durchbrechen

In der Gruppe sind auch die einzigen Menschen, mit denen er offen sprechen kann, denn das Wichtigste ist für ihn, seine krankhafte Arbeitswut vor anderen Menschen in seinem Umfeld geheim zu halten. Genauso geht es Diana Ritter. "Ich würde das nie zugeben, da ich in einer leitenden Funktion arbeite", sagt sie. "Was würden denn meine Kollegen denken?" Dazu kommt die Angst vor dem Verlust der Position oder sogar des Arbeitsplatzes. Aus diesen Befürchtungen heraus, gibt die anonyme Selbsthilfegruppe den Betroffenen Schutz und Rückhalt. "Wir kennen hier nur unsere Vornamen", sagt Ritter. Auch eine Münchnerin, die in der Öffentlichkeit steht und sehr bekannt ist, ist Mitglied der Gruppe. Gerade so jemand möchte natürlich unerkannt bleiben.

Doch genau dieses Nicht-Offenlegen hält Psychologe Glaser für fatal. "Der erste Schritt zur Besserung ist, dass man dazu steht." Vor allem blühe es jedem Betroffenen, irgendwann wieder zurückzukehren in den Job, der so viel Unheil gebracht hat. "Man muss genau da zurück, wo die Sucht ihren Anfang hatte. Das ist oft sehr schwierig", erklärt Glaser.

Man müsse unbedingt an der Arbeitssituation etwas verändern. Dazu komme therapeutische Hilfe und das Erlernen von Entspannungstechniken. "Im Idealfall spricht man mit seinem Vorgesetzten und reduziert sein Arbeitspensum beziehungsweise übernimmt einen anderen Arbeitsbereich." Sonst habe man schlechte Chancen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

Übereifriges Arbeitsverhalten kann übrigens nicht genetisch vererbt werden, sondern entwickelt sich in der frühkindlichen Sozialisation. Ist also Charaktereigenschaft plus Erziehung. Krankhaft wird es dann, wenn die Work-Life-Balance nicht mehr stimmt.

Bei den Selbsthilfegruppen im Westend ist jeder willkommen, der denkt, dass er ein Problem mit Arbeitssucht hat. Erfahrungsgemäß sind vor allem Menschen, die im Dienstleistungsbereich arbeiten, betroffen. Beispielsweise Lehrer, Polizisten, Therapeuten, Krankenschwestern. "Aber ohne konkreten Leidensdruck ist noch keiner gekommen", sagt Ritter, und meint damit, dass sich in den meisten Fällen erst ein Burnout oder eine Depression ereignen muss, ehe der Workaholic merkt, dass er etwas dagegen tun muss.

Eine komplette Heilung von der Arbeitssucht ist sehr schwierig, aber man kann lernen, besser damit umzugehen. Ritter und Wolf versuchen es.

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