Arbeitsmarkt:"Was wäre denn Ihr Traumjob?"

Arbeitsmarkt: Mit 27 Jahren ist Andrea Hölzl die jüngste Teamleiterin in einem Münchner Jobcenter: 2016 brachte sie von 330 Kunden 250 in Arbeit.

Mit 27 Jahren ist Andrea Hölzl die jüngste Teamleiterin in einem Münchner Jobcenter: 2016 brachte sie von 330 Kunden 250 in Arbeit.

(Foto: Stephan Rumpf)

In München gibt es weit mehr freie Stellen als Arbeitssuchende. Das liegt nicht zuletzt an einem kreativen Konzept und sogenannten "Intensivvermittlern" wie Andrea Hölzl. Ein Besuch.

Von Jasmin Siebert

Herr S. hat einen Eintrag im Führungszeugnis, würde aber dennoch gerne wieder als Sicherheitskraft arbeiten. "Ich könnte mir Sie gut als Security vorstellen", sagt Andrea Hölzl und redet ihm den Berufswunsch dennoch aus. Es ist Montagmorgen, halb neun, im Jobcenter beim Olympia-Einkaufszentrum.

Die Arbeitsvermittlerin Andrea Hölzl hat gerade gut gelaunt ihren ersten Kunden begrüßt: Herr S., 29 Jahre alt, hat zwei Ausbildungen abgebrochen und sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Er war schon Security, Paketfahrer und hat sich als Maschinenführer versucht. "Das war nichts für mich", sagt er.

Hölzl versucht nun, ihn als Fahrer für Rewe zu gewinnen. 345 freie Fahrerstellen in München zeigt ihr System an. "Da werden wir was finden", sagt sie. "Das ist jetzt kein Traumjob", wendet Herr S. ein. "Was wäre denn Ihr Traumjob?" Da muss Herr S. eine Weile überlegen. "Vielleicht mal wieder im Büro", sagt er. Die Jobbörse spuckt 504 freie Helferstellen im Büro aus.

"Rufen wir doch gleich mal an", sagt Hölzl und greift zum Hörer. Herr S. schaut sie ungläubig an: Macht sie das jetzt wirklich? Da spricht Hölzl schon ins Telefon: "Ich habe hier einen Kunden, der sucht dringend Arbeit. Er ist jung, hat keine gesundheitlichen Einschränkungen und sogar schon als Rettungsschwimmer gearbeitet."

Es ist naheliegend, dennoch gleicht es einer Revolution, dass ein Jobvermittler selbst einen Arbeitgeber anruft und sich für einen Arbeitslosen einsetzt. Andrea Hölzl tut dies ohne Scheu, sie hat sich ein eigenes Netzwerk an Arbeitgebern aufgebaut. 55 Visitenkarten von Firmen hat sie in ihrem Büro im Jobcenter Neuhausen-Moosach an die Wand gepinnt. Ihr Anspruch: Ein Jobvermittler soll nicht nur nah am Arbeitslosen, sondern auch nah an den Arbeitgebern dran sein. Und: Die Kunden werden nicht nach Qualifikationen unterschieden, sondern allein nach ihrer Motivation.

An diesem Dienstag werden die neuen Arbeitsmarkt-Zahlen vorgestellt - der Trend, so viel schon mal vorab, ist weiterhin ungebrochen positiv. Dass es in München so wenige Arbeitslose gibt, liegt auch daran, dass sie sich etwas einfallen lassen in den Jobcentern - wie das Projekt "Aktivierungsansatz Intensivvermittlung". Hölzl übernahm es vor zwei Jahren und entwickelte es weiter.

Es gibt nur wenige Stellen für Hochqualifizierte

Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich ein schlüssiges Konzept, das so erfolgreich ist, dass es inzwischen alle zwölf Münchner Sozialbürgerhäuser anwenden. Während ein normaler Vermittler 200 bis 300 Arbeitslose betreut, ist ein Intensivvermittler nur für 100 Kunden zuständig: 50 motivierte Arbeitssuchende und 50, die Hölzl "zu aktivierende Kunden" nennt. Diese Menschen lädt Hölzl alle eineinhalb Wochen ein und lässt sie nie ohne kleine Aufgabe wieder gehen.

Andrea Hölzls zweiter Kunde ist ein Mann um die 50. Nachdem sein IT-Unternehmen Insolvenz angemeldet hatte, traute sich Herr Sch. die Selbständigkeit nicht mehr zu. Er, der Ex-Chef, arbeitete in Callcentern. Doch so sehr er sich bemühte, sich anzupassen, sein Geschäftsführer-Ich konnte er nicht ganz ablegen. Herr Sch. spricht reflektiert, er hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie es mit ihm weitergehen könnte. Hölzl lässt ihn lange reden, hin und wieder stimmt sie ihm zu, schlägt Brücken.

Sie erzählt, dass ihre Eltern auch selbständig sind, vom Chef zum Befehlsausführer, das sei schwierig. Hölzl blickt während des Gesprächs nicht in ihren PC, sondern ins Gesicht ihres Gegenübers. Sie hat ihren Bürostuhl zum Kunden gedreht, vor ihr liegt ein Block, in der Hand hält sie einen Stift. "Herr Sch., was mache ich jetzt mit Ihnen?", fragt sie schließlich. "Was ist Ihr Ziel?", fragt er zurück.

"Dass Sie hier gut verarztet rausgehen", sagt Hölzl. "Sie sind absolut stressresistent, flexibel und noch dazu ein Organisationstalent", macht sie ihm Mut und schlägt Sch. vor, einen privaten Jobvermittler einzuschalten, da das Jobcenter nur wenige Stellen für Hochqualifizierte hat.

Weil der nächste Kunde auf sich warten lässt, fragt Andrea Hölzl eine Wartende auf dem Flur: "Suchen Sie Arbeit? Da könnte ich Ihnen kurzfristig helfen." Sie meint die Frage ernst. Sie hat Luft und möchte die Zeit nutzen, um jemandem zu helfen.

"Die Arbeitslosen gehen uns nicht aus"

Die Arbeit macht Andrea Hölzl großen Spaß. Mit 27 Jahren ist sie die jüngste Teamleiterin in einem Münchner Jobcenter und für 18 Mitarbeiter zuständig. Ihre graue Stoffhose hat sie unten umgekrempelt, ihre Füße stecken in Stöckelschuhen, die langen braunen Haare trägt sie offen. Unverkennbar ist ihre Sprachfärbung, sie stammt aus dem Bayerischen Wald.

Nach dem Realschulabschluss absolvierte sie eine Banklehre, mit 21 holte sie ihr Abitur nach und studierte Arbeitsmarktmanagement. 2014 ließ sie sich nach München versetzen. Den Umzug in die Großstadt hat sie nicht bereut, sie schätzt das "vielfältige Maßnahmenangebot", das München seinen Arbeitslosen bietet. Auch wenn sie sich den Behördensprech angeeignet hat, ihr herzliches Wesen hat sie dabei nicht verloren.

Vielleicht liegt es daran, dass der Job als Arbeitsvermittler in einer reichen Stadt wie München einfacher ist als an einem Ort mit hoher Arbeitslosigkeit. Es gibt hier weitaus mehr freie Stellen als arbeitslose Menschen. Nur 19 000 Münchner bezogen im Juni 2017 Arbeitslosengeld II, bekannt als Hartz IV. Dennoch sagt Hölzl: "Die Arbeitslosen gehen uns nicht aus."

Auch wenn die Zahl noch so niedrig sei, steckten dahinter doch Menschen mit ihren Lebensgeschichten. Und die interessieren Hölzl. "Ich könnte mir keinen besseren Job vorstellen", sagt sie. Nie würde sie schlecht über Hartz-IV-Bezieher sprechen. "Das sind alles nette Leute, denen nur ein Stupser in die richtige Richtung fehlt."

Ihre nächste Kundin findet Hölzl nicht nur nett, sondern "richtig süß". "Wie geht es Ihnen?", fragt Hölzl und lobt ausgiebig das Outfit von Frau Z. Die trägt rote Perlenketten, dazu passende Ohrringe mit je neun roten Tropfen, die grauen Haare hat sie ordentlich geföhnt.

Die gelernte Friseurin hat in den vergangenen Jahren in mehreren Salons gearbeitet. Seit einem Bandscheibenvorfall darf sie nicht mehr längere Zeit nach unten blicken, es ist just die Kopfhaltung, die eine Friseurin einnehmen muss. Zwei, drei Tage die Woche ginge es schon, meint sie. Sie hat einen Trolley mitgebracht, darin ein Ordner voller Bewerbungen und Absagen.

Weil Frau Z. auch gerne Kunden berät, hat sie sich bei Baumärkten, Einrichtungshäusern und anderen Fachgeschäften beworben - ohne Erfolg. Sie erzählt, dass sie auch technisch interessiert sei, gern alte Handys repariere. Dann überreicht sie Hölzl noch eine Liste, auf der sie ihre persönlichen Stärken aufgelistet hat.

"Ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, warum Sie keine Arbeit haben", sagt Hölzl. "Am liebsten würde ich bei Fressnapf arbeiten. Das wäre mein Traumjob schlechthin", entgegnet Z. Hölzl googelt nach einem Ansprechpartner bei dem Zoo-Fachgeschäft und greift zum Telefonhörer.

Herr S. wird gleich zum Vorstellungsgespräch eingeladen

Eine Studie, die Andrea Hölzl im Konzeptpapier zu ihrem Projekt erwähnt, zeigt, dass persönliche Empfehlungen ein Unternehmen eher motivieren, einen Hartz-IV-Bezieher einzustellen als ein Lohnzuschuss vom Jobcenter. Diese Erfahrung hat sie selbst oft gemacht: Von 330 Kunden, die sie im vergangenen Jahr betreute, brachte sie 250 in Arbeit, das ist eine Vermittlungsquote von 76 Prozent. Manchmal ging sie mit zum Vorstellungsgespräch, meist griff sie einfach nur zum Telefonhörer und pries ihre Kunden an.

Auch Langzeitarbeitslosen hat sie so schon Jobs verschafft. Wie dem Mann, Mitte 50, der seit 15 Jahren Leistungen bezog und nur ein paar Stunden in der Woche Regale in einem Supermarkt auffüllte. Hölzl organisierte ein Vorstellungsgespräch in einem Warenlager. Auf dem Rückweg rief der Mann Hölzl an, fast ungläubig sagte er: "Jetzt habe ich einen Arbeitsvertrag. Ich bin neun Euro die Stunde wert." Seine Geschichte erzählt er regelmäßig im Jobcafé, zu dem Hölzl und ihre Kollegen alle paar Wochen Arbeitslose einladen.

Andrea Hölzl sieht sich auch als Dienstleister für Arbeitgeber. Wenn zum Beispiel die Post 15 Briefträger braucht, klemmt sie sich schon mal bis abends um acht hinters Telefon und versucht Arbeitssuchende für den Job zu gewinnen. Nicht ohne vorher gute Konditionen ausgehandelt zu haben. "Für 9,40 Euro die Stunde wollte einmal eine Sicherheitsfirma Eier legende Wollmilchsäue", sagt sie. Für das Geld könne sie niemanden finden, erklärte sie, und handelte 13,40 Euro raus.

Herr S., der junge Mann mit den Gelegenheitsjobs, wird gleich am nächsten Tag zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Herr Sch., der Ex-Geschäftsführer, möchte einen Neuanfang im Eventmanagement wagen. Frau Z., die gelernte Friseurin, hat leider keinen Job bei Fressnapf bekommen. Dafür hat Andrea Hölzl ihr ein Praktikum in einem anderen Zoogeschäft organisiert, wo sie vielleicht sogar bald fest anfangen darf.

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