Süddeutsche Zeitung

Arbeitsforscher Stefan Rief:"Wenn die Münchner das durchziehen, sind sie in Deutschland weit vorne"

Neue Büroformen können viele Vorteile mit sich bringen, sagt der Forscher Stefan Rief. Doch Selbstläufer seien die Konzepte nicht. Er verstehe die Angst vor Veränderung vieler Angestellter

Interview von Heiner Effern

Wie arbeiten die Menschen in Zukunft? Von zu Hause aus, im Zellen-Büro wie bisher oft oder in ganz anderen Räumen? Was müssen Arbeitsplätze bieten, um attraktiv zu sein? Und was macht eine Veränderung des gewohnten Umfelds mit den Beschäftigten? Diese Fragen untersucht das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Institutsdirektor Stefan Rief, erklärt, warum Multispace gerade beliebt ist und unter welchen Voraussetzungen auch die öffentliche Verwaltung diesen Schritt wagen kann.

SZ: Welche Bürotypen unterscheiden Sie in der Wissenschaft?

Stefan Rief: Das Ein-Personen-Büro, klar. Dann das Zwei-Personen-Zellen-Büro sowie Mehr-Personen-Büros von drei bis fünf Personen. In den Achtigerjahren kam das Kombibüro aus Skandinavien zu uns. Das bedeutet, dass jeder Mitarbeiter in einer kleinen, mehr oder weniger gläsernen Zelle an der Fassade sitzt und es eine breite Mittelzone gibt, in der Treffen, Kommunikation, aber auch Aktenablage oder Kopieren stattfinden. Dann gibt es das Gruppen- oder Teambüro für sechs bis zu 20 Mitarbeiter. Optimalerweise sind die Flächen so gegliedert, dass genau ein Team darin Platz findet. Als nächste Stufe kommt das Großraumbüro, das bei 20 Mitarbeitern anfängt und in der Regel 400 Quadratmeter und größere Flächen umfasst. Was man heute viel macht, ist das sogenannte Multispace-Büro, eine Vielfalt an unterschiedlichen Arbeitssituationen: Ein-Personen-Büro, Rückzugsräume, Projekträume, offene Flächen, die ohne feste Arbeitsplatzzuordnung genutzt werden.

Dafür hat sich auch die Stadt München entschieden. Macht sie ihre Verwaltung damit fit für die Zukunft?

Man muss schauen, wie es umgesetzt wird. Man kann das gut oder schlecht machen, etwa zu eng, zu wenig vielfältig, zu wenig Rückzug und so weiter. Wenn ein Multispace einen ordentlich hohen Anteil an Rückzugs-, an Kommunikations- und Besprechungsflächen hat, schneidet er in Untersuchungen mit Betroffenen gut ab.

Was bewirkt diese Büroform?

Ein Vorteil ist sicherlich der Informationsfluss. Man sitzt immer mal wieder jemand anderem gegenüber, lernt von dem was, bekommt was mit. Teams und Organisation kann man in Echtzeit abbilden und man kann sehr viel Individualität bieten: Es gibt wärmere Seiten von Gebäuden und kühlere, unterschiedliche Ausblicke, hellere und dunklere Umgebungen. Es gibt Phasen, da will man eher bei Leuten sein, aber auch Zeiten, in denen man eher Rückzug will. Von der Theorie her macht man das aktivitätsbasiert: Wann muss man zum Beispiel etwas konzentriert machen, in der Gruppe arbeiten oder von den anderen etwas mitbekommen.

Moderne Bürowelten sieht man oft bei hippen Unternehmen. Passt so etwas auch zur öffentlichen Verwaltung?

Da verändert sich gerade so viel so schnell, da passt das grundsätzlich. Was anders ist und was man sich überlegen muss, ist die Kundeneinbindung. Wie organisiert man den Bürgerkontakt, wie tief kommen die Kunden rein, wo trifft man sie? Man braucht eine gewisse Diskretion, auf der anderen Seite erhöht es auch das Sicherheitsgefühl, wenn noch zwei oder drei Kollegen um einen rum sind. Das hängt auch davon ab, an welcher Stelle man in welchem Referat arbeitet.

Die Niederlande scheinen hier einen Schritt weiter zu sein. Auf der Suche nach einem Anschauungsobjekt musste der Stadtrat nach Utrecht und Venlo reisen.

Wenn die Münchner das durchziehen, sind sie in Deutschland weit vorne dabei. Es wird in Verwaltungen gerade diskutiert, es gibt auch Beschlüsse, aber kaum eine ist weiter. Utrecht ist insofern schon sehenswert. Die sind im E-Government deutlich weiter. Die Stadt hat Multispace durchdacht und liebevoll gemacht und nicht zu hoch verdichtet. Dazu kommen eine hohe Vielfältigkeit und tolle Umgebungen.

Wenn München nun den Beschluss gefasst hat und Ende 2019 einen Pilotversuch startet, was muss die Stadt dann beachten?

Ich würde das am Anfang in jedem Fall extern begleiten. Die Mitarbeiter müssen das üben, man muss sie mitnehmen und betreuen. Wenn man ein paar solcher Umgebungen realisiert hat, muss man sie evaluieren: Was kann man besser machen, was muss man adaptieren und wie anders muss man führen lernen? Wie hat man sein Team im Blick, auch aus der Distanz? Das ist kein Selbstläufer, nur die räumliche Struktur reicht nicht.

Viele Arbeitgeber freuen sich darüber, dass sie weniger Arbeitsplätze für mehr Mitarbeiter benötigen.

Man muss schauen, dass sie die Schraube nicht zu eng andrehen, damit sie diese qualitative Vielfältigkeit an die Mitarbeiter zurückgeben können. Zehn bis 20 Prozent kann man sicher einsparen, wenn man bei der Qualität nicht spart. Das hängt aber von der Situation und der Arbeitsweise ab. Das Multispace-Konzept erlebt gerade so einen Schub wegen des Trends zum mobilen Arbeiten. Wenn man als Arbeitgeber diese Freiheit zugesteht, hat man noch eine geringere Arbeitsplatzausnutzung im Haus.

Gibt es fixe Voraussetzungen für das Multispace-Konzept?

Man braucht eine sehr digitale, papierarme Arbeitsweise. Das ist Erfolgsvoraussetzung.

Warum haben viele Beschäftigte so große Angst vor der Veränderung?

Die Angst ist berechtigt und vollkommen normal und natürlich. Nur wenn das Konzept gut gemacht ist, wird es akzeptiert. Man muss schauen, wie man seine Individualität lebt. Die Anordnung von Arbeitsplätzen muss superschnell funktionieren: die Maus anschließen, die Bildschirmeinstellung, die Höheneinstellung von Tischen. Die IT muss friktionsfrei funktionieren. Das andere regelt sich. Man sucht sich normalerweise auch nicht irgendwo einen Platz im zweiten oder fünften Stock, sondern organisiert sich in Nachbarschaften. Dann hat man auch seinen Arbeitsbereich. Sein eigenes Bild aufstellen, die ganz persönliche individuelle Umgebung schaffen, das funktioniert nicht mehr. Aber man muss auch sehen, man geht zur Arbeit, um was voranzutreiben und nicht nur zum Wohlfühlen.

Steigert ein modernes Bürokonzept die Attraktivität des Arbeitgebers?

Man kann wahrnehmen, dass Bewerber mehr wert auf das Arbeitsumfeld legen. Auf die Gestaltung, das Von-wo-anders-arbeiten-Können. Das heißt nicht zwangsläufig, dass sie deshalb eine langweilige Aufgabe einer interessanten vorziehen würden. Der öffentliche Dienst hat teilweise noch Nachholbedarf, um da attraktiv zu sein und gute Leute zu bekommen. Da darf er ruhig investieren.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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