Arbeiten in München:Aus Zufall Straßenkünstler

Lebende Statue Aleksander Kwiatkowski, der einen Goldgräber darstellt in der Fußgängerzone.

Früher stand er nur reglos da, das führte zu Rückenproblemen. Inzwischen hat Aleksander Kwiatkowski ein paar Aktionen in sein Programm integriert.

(Foto: Florian Peljak)

Seit acht Jahren pendelt Aleksander Kwiatkowski zwischen München und seiner Heimat Polen. Hier arbeitet er als lebende Statue in der Innenstadt, dort will er mal eine Kneipe führen.

Von Franziska Gerlach

Um 12.15 Uhr ist Aleksander Kwiatkowski plötzlich weg. Physisch ist er zwar noch immer an Ort und Stelle. Der Strom der Shoppenden hat ihn nicht hinfortgerissen, die Fußgängerzone hat den Mann nicht verschluckt. Doch in der Minute, als Kwiatkowkis Arbeitstag beginnt, ist der Mensch verschwunden. Und die Statue da.

"Als Statue muss man stark im Kopf sein", hat der Straßenkünstler eben noch gesagt und mit den Händen einen unsichtbaren Schutzhelm geformt. Belastbar. Dann hat sich der Mann, der seit acht Jahren zwischen München und seiner polnischen Heimatstadt Nowy Sącz pendelt, auf sein Podest gesetzt, den Hintern in Position geruckelt, das linke Bein über das rechte gelegt - nichts bewegt sich, nichts regt sich mehr.

Würden seine Augäpfel nicht hin und wieder hinter den goldenen Wimpern zucken, man könnte den 40-Jährigen tatsächlich für eine Statue halten. Im Nu hat sich eine Traube an Schaulustigen gebildet, immer dichter drängen sie sich um Kwiatkowski, und mit ihnen kommen die Blicke. Ein kleiner Junge bückt sich und versucht, ihm unter die Hutkrempe zu linsen, als offenbarte sich dort die wahre Identität der Statue, dieses wunderschönen, gold schimmernden Schatzsuchers.

Zwei Teenager tuscheln, eine Touristin zückt die Kamera, die meisten Leute begnügen sich damit, Kwiatkowski anzustarren, ihn von den Schuhsohlen bis zur Nasenspitze zu mustern. "Ist der echt?", fragt ein Mädchen seine Mutter und tut dabei etwas, das sich eigentlich nicht gehört: Sie zeigt mit dem nackten Finger auf einen angezogenen Menschen.

Solche Gesten und Blicke sind anstrengend, sie zehren, das weiß jeder, der schon einmal ein Referat vor einer Gruppe gehalten hat. Erst recht, wenn die Fußgängerzone ihre volle Wucht entfaltet. Wie ein dichter Teppich breiten sich die Geräusche zwischen den Häuserschluchten aus. Das Kreischen übermüdeter Kleinkinder, Stimmen von Frauen, die in Handys flöten, das Rascheln grellbunter Einkaufstüten, die ständig hin- und herschaukeln.

Manchmal fühlt er sich nicht stark genug für diese Reizüberflutung, dann ist selbst Kwiatkowski, einem fröhlichen Mann, der viel lacht und munter darauf losplaudert, alles zu viel. An solchen Tagen zieht er erst gar nicht los, dann sucht er lieber einen Ausgleich in den Bergen oder an der Isar. Bloß weg vom Marienplatz, von der Kaufingerstraße, raus.

Meistens ist er aber guter Dinge, so wie jetzt. Obwohl er zum Zeitpunkt der Verwandlung um 12.15 Uhr - früher dürfen sich die Statuen nicht aufstellen - bereits mehr als sechs Stunden auf den Beinen ist. Damit er rechtzeitig bei der Stadtinformation im Rathaus ankommt, ist er um halb sechs Uhr aufgestanden.

Dann ist er vom Harthof, wo er sich für die lukrativen Sommermonate und die Wiesnzeit ein Zimmer genommen hat, an den Marienplatz gefahren. Pro Tag werden schließlich nur drei Genehmigungen an Statuen vergeben. "Gott sei dank war ich der Zweite", sagt Kwiatkowski. Er klingt erleichtert, der Samstag ist der Lieblingstag für die lebenden Statuen.

Wegen der Rückenschmerzen änderte er sein Programm

Es verspricht ein guter Tag zu werden. Mit vielen Touristen. Am späten Vormittag schieben sich etliche Stadtführungen über den Marienplatz, die Sonne brennt herunter. Kwiatkowski hat sich vorsorglich ein Plätzchen in der Kaufingerstraße gesucht, sorgfältig rollt er eine schwarze Plane auf den Pflastersteinen aus, schließt Kabel an, montiert die Schaufel, über die er später einen kleinen Springbrunnen regulieren wird. "Um 13 Uhr kommt hier der Schatten", sagt Kwiatkowski.

Eigentlich ist er Technikmechaniker, deswegen schraubt und bastelt er auch unentwegt an seiner Kulisse herum. Er will seinen Arbeitsplatz verbessern, mit einer Lehne für sein Podest zum Beispiel. Warum er Straßenkünstler wurde? "Zufall", sagt Kwiatkowski. Er beobachtete eines Tages in Polen einen Pantomime-Künstler. Inspiriert von der Freiheit, die er in diesem Tun vermutete, versuchte er es auch und gab daraufhin eine Zeitlang einen polnischen Bergmann. Genau das Richtige für München, fand ein Kollege, der dort gute Erfahrungen mit spendablen Wiesnbesuchern gemacht hatte.

"Schau mal, dein Kostüm sieht aus wie eine bayerische Tracht", sagte er zu Kwiatkowski, "das klappt bestimmt." Es klappte dann auch. Allerdings habe er früher, erzählt Kwiatkowski, einfach nur reglos da gestanden. Die Folge: Rückenschmerzen. Vor einem Jahr kam ihm dann die Idee mit der Brunnen-Nummer, bei der er sitzt und sich auch ab und an bewegt. "Es ist viel besser, wenn man selbst etwas machen kann", sagt er. Und meint damit, dass er die Leute einbezieht in seinen Auftritt, mit ihnen scherzt und spielt - und dadurch, praktischerweise, auch die Blicke abfedert.

Fragt man Kwiatkowski, warum er das Ganze macht, dann sieht er einen seinerseits an, als wolle man wissen, ob es sich beim FC Bayern München um einen Fußballverein handele. "Das ist mein Leben", sagt er, "ich liebe das." Allen Risiken zum Trotz. Denn wie ein Tag laufen wird, wie viele Münzen in seiner Kiste klimpern werden, das lässt sich nie genau sagen.

Mit zehn Arbeitstagen kommt er nach eigenen Angaben auf 700 bis 800 Euro, genug, um über die Runden zu kommen. "Autos, neue Kleidung, das brauche ich nicht", sagt er. Klar ist aber auch: Freibad-Wetter kann das Geschäft genauso verhunzen wie ein Wolkenbruch, dagegen können auch die drei Wetterseiten im Internet nichts ausrichten, die er jeden Morgen checkt. "Dann hast du den Tag verloren", sagt Kwiatkowski, der sich bei aller Liebe zum freien Leben als Straßenkünstler der Verantwortung für seine Familie sehr bewusst ist.

Fünf und sieben Jahre sind seine Söhne alt. Sie sollen es einmal gut haben, eine gute Schule besuchen, vielleicht sogar eine Hochschule. Und wenn seine Kinder freilich selbst entscheiden dürften, welchen Beruf sie später ergreifen, so wäre ihm der des Straßenkünstlers doch nicht so recht. "Lieber nicht", sagt er und schiebt mit seiner ausgedrückten Zigarette einige Tabakkrümel im Aschenbecher hin und her.

"Noch ein paar Jahre mache ich das, dann ist Schluss"

Am Ende des Tages, bei Ladenschluss, ist Kwiatkowskis Job einer wie jeder andere. Es gibt schöne Momente, das Strahlen der Kinder, die Überraschung in ihren Augen, wenn sie feststellen, dass die Statue lebt. Überhaupt der Kontakt zu anderen Menschen, mal hier zu plauschen, mal dort, das liebt er. "Es gibt aber auch schlimme Momente."

Einmal klopfte ihm ein Passant so fest auf den Rücken, dass er mit seinem Podest zu Boden krachte. Und auch sehr fordernde Leute, die mehr geboten haben wollen an Unterhaltung, als eine Statue eben zu bieten hat, die mag er nicht. "Noch ein paar Jahre mache ich das, dann ist Schluss", hat er zu seiner Frau gesagt, die sich seit dem Münchner Amoklauf Sorgen macht, weil ihr Mann an einem stark frequentierten Ort arbeitet. Und dann? Eine Kneipe in seiner Heimatstadt in Polen eröffnen, in der die Gäste Schach spielen, das könnte er sich vorstellen.

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