Süddeutsche Zeitung

Arbeiten im Hochhaus:"Tolles Flugwetter heute"

Höhenrausch und Höhenangst, strenge Hierarchien und wankende Mitarbeiter: Der etwas andere Arbeitsalltag in einem Wolkenkratzer.

Marten Rolff

Der gläserne Fahrstuhl war ihr am Anfang unheimlich. Als Monika Arens den Lift vor gut sieben Jahren zum ersten Mal betrat, hatte sie sofort das Gefühl, ihr würden die Füße weggerissen und der Magen bis unter den Kehlkopf geschoben. Mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde katapultiert er die Menschen nach oben, bei Bedarf bis ins 50. Stockwerk in knapp 250 Metern Höhe.

Hinter der Glasfront rauschte die Frankfurter City in Atem raubendem Tempo nach unten: Mainbrücken, Römer, Paulskirche - alles schrumpfte binnen Sekunden auf Spielzeugformat, und Monika Arens taumelte benommen von der Scheibe weg, während die Kollegen im Aufzug wissend grinsten: Ganz klar, eine Neue, sie wird sich schon noch daran gewöhnen, sagten ihre Blicke.

Monika Arens, 40, arbeitet im Frankfurter Commerzbank-Tower - "Segment Private Kunden". Bis zum Bau des fünf Meter höheren Triumphe-Towers in Moskau 2003 war es das höchste Bürogebäude Europas: mit 50 Arbeits- und zwölf Versorgungsetagen, 259 Meter hoch, mit Antenne 300 - noch immer ein Gebäude der Zukunft. Das zumindest sagen Architekten, die gerade weltweit vom Hochhaus-Boom schwärmen. Selbst Europa komme am Boom nicht vorbei, erklärt etwa Norman Foster, der auch den Commerzbank-Tower gebaut hat, unermüdlich in Interviews. Weil das Hochhaus Geld, Platz und Energie spare.

Keine Gebäudeform polarisiert mehr als das Hochaus

Natürlich sind diese Argumente umstritten. Keine Gebäudeform polarisiert mehr als das Hochaus. Ob in Dubai oder Südostasien, wo man aktuell die Planung bis zu tausend Meter hoher Türme bejubelt. Oder im Münchner Hochhaus-Streit oder in St. Petersburg, wo die Gazprom derzeit eine riesige Firmenzentrale durchsetzen will, die den Status der Stadt als Unesco-Welterbe gefährdet.

Wie sich diejenigen fühlen, die das Hochhaus maßgeblich betrifft, weil sie täglich in ihm arbeiten, ist indessen wenig erforscht. Es gebe kaum Studien dazu, weil diese aufwendig seien und weil Konzerne wenig Interesse daran hätten, untersuchen zu lassen, wie sich ihre Türme auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirken, kritisieren Arbeits- und Architekturpsychologen. Denn wenn das Ergebnis schlecht ausfallen würde, wäre am Turm ja nichts mehr zu ändern.

Je höher desto mehr Allmachtsphantasie

Architekturpsychologen sehen das Hochhaus daher nüchtern. Es sei weder gut noch schlecht, sondern in erster Linie hoch, sagt etwa Riklef Rambow, Gastprofessor an der BTU-Cottbus. Durch seine Höhe sei es eine "architektonische Königsdisziplin" und habe vor allem Symbolwert.

Architekten diene es zur Selbstverwirklichung, Städten und Konzernen als Wahrzeichen oder Imagegewinn. Und Vorständen, die ganz oben residieren, als Machtdemonstration. Je höher desto mehr Allmachtsphantasie, lautet eine (hypothetische) Faustregel. Weil Psychologen annehmen, dass die Kontrollüberzeugung eines Mitarbeiters mit der Höhe seines Büros korreliert.

Monika Arens sieht diese Einschätzung im Arbeitsalltag ein Stück weit bestätigt. "Es geht hier in Frankfurt auch immer darum, wer den höchsten Turm hat", sagt sie und lächelt. Rekorde - obwohl eigentlich unwichtig - sind Gesprächsthema. Sie ist in die Cafeteria auf der 35. Etage gekommen, um zu erklären, wie das Gebäude auf die Mitarbeiter wirkt.

Den Cappuccino nimmt man hier im Anzug oder Business-Kostüm unter Olivenbäumen ein; der "mediterrane Garten" ist einer von neun Gärten im Commerzbank-Tower - so genannte Begegnungsräume, die eine allgemeine Schwäche des Hochhauses ausgleichen sollen: Jedes der vielen Geschosse stellt eine territoriale Schranke dar, die Kommunikation wird so erschwert.

Vom Wintergarten aus kann man an den Frankfurter Wolkenkratzern vorbei und über die Alte Oper hinweg bis in den Taunus schauen. Auf der anderen Seite sieht man den Main in der Mittagssonne glitzern. Und Menschen, die über den Kaiserplatz eilen wie kleine schwarze Punkte in einem Computerspiel.

Die Höhe diktiert das Bewusstsein

Monika Arens sagt, dass sie den Blick sehr liebt, dass er "Freiheit vermittelt und ein Gefühl von Erhabenheit, auch wenn das wohl das falsche Wort ist". Entrücktheit hätte sie auch sagen können. Weil Arens die Jahreszeiten hier oben manchmal gar nicht recht wahrnimmt. Der Schnee mutiert von hier aus zu einem weißgrauen Schleier. Und das Laub auf den Bäumen zu unwirklichen grünen Tupfern.

Die Höhe diktiere das Bewusstsein. Und der Charakter des Hauses spiele auf mehr oder weniger subtile Art ständig eine Rolle, sagt sie. Etwa, wenn man beim Blick aus dem Fenster beiläufig registriert, dass die Türme der Deutschen Bank eben etwas niedriger sind.

In die sakrosankten Vorstandsetagen bestellt zu werden, bedeutet eine Erhöhung, nur im Achten oder Zehnten untergebracht zu sein, eine Erniedrigung, auch wenn das über die Stellung von Kollegen nichts aussagt. Und es gibt stumme Regeln: In Besprechungsräumen, den Turmzimmern, setzen sich Mitarbeiter zum Beispiel unaufgefordert auf die schlechteren Plätze: mit dem Rücken zum Fenster, damit Geschäftspartner sich von der Skyline beeindrucken lassen.

Kollegen taumeln am ersten Tag benommen aus dem Lift

Unbeeindruckt von dem Haus bleibe eigentlich niemand. Das beginnt mit der riesigen Eingangshalle, von der aus man mehr als 200 Meter hoch in das dreieckige Atrium schauen kann; durch zentimeterdicke Glasdecken hindurch, bevor man von den Damen hinter der viele Meter langen Rezeption durch die Sicherheitsschleuse geschickt wird. Und es endet mit der Aussichtsplattform in der 53. Etage, auf die die Bank bei besonderen Anlässen schon mal zur Pressekonferenz lädt.

Am besten aber, sagt Arens, lasse sich die Wirkung des Gebäudes an neuen Kollegen beobachten: Die taumeln - genau wie sie es selbst erlebte - am ersten Tag benommen aus dem Lift, um schließlich begeistert mit der Handy-Kamera den Blick für Freunde festzuhalten. Ein paar Wochen später sieht man sie dann stolz erste Gäste durch das Haus führen.

"Keine andere Gebäudeform steht so für strenge hierarchische Strukturen wie das Hochhaus", sagt Peter G. Richter, Arbeitspsychologe an der TU Dresden. Ein Liniensystem mit Machtanspruch nach außen und nach innen, dessen Symbolik sich auf die Mitarbeiter überträgt. So gesehen verkörpere das Hochhaus eher die Tradition als die Moderne, meint der Architekturexperte. Für stark auf Effektivität angelegte Arbeitsprozesse könne das von Vorteil sein, so Richter.

Das Wohlbefinden hängt von der Platzierung ab

Für kreative Berufszweige mit flachen Hierarchien sei es hingegen "nicht immer ideal", sagt die Architekturpsychologin Rotraut Walden von der Universität Koblenz. Weil kurze Wege und weite Räume für gute Kommunikation häufiger fehlten. Weil als Ausgleich mitunter zu transparente Büros gebaut würden, in denen es Mitarbeitern schwer falle, "eigene Bereiche zu besetzen". Und stärker als in anderen Gebäuden hänge das Wohlbefinden der Menschen im Hochhaus von der Platzierung ab. Wer weit unten sitzt und auf die Fassade gegenüber schaut, hat Pech gehabt.

Walden hat für ihre Habilitation über die "Bürogebäude der Zukunft" den Post-Tower von Helmut Jahn in Bonn untersucht, wobei eine Befragung der Mitarbeiter unerwünscht war. Zuweilen, so konstatierte die Forscherin, gehe der Selbstverwirklichungsdrang des Architekten, die "Corporate Identity" im Hochhaus zu Lasten der Mitarbeiter. Etwa im gläsernen Treppenhaus, "wo man durch die Stufen sehen kann". Manche Arbeitgeber bieten deshalb Training gegen Höhenangst an.

"Der Reiz des Hochhauses stärker ist als jede Gefährdungsphantasie"

Das Gefühl der Verletzlichkeit sei ein Thema im Hochhaus, sagt auch Monika Arens. In den oberen Etagen ist zum Beispiel bei starkem Wind "so ein sanftes Schwanken" zu spüren. Und die Terroranschläge vom 11. September 2001 hat sie im Commerzbank-Tower im Fernsehen mitangesehen. Später ertappte sie sich dabei, wie sie sich Fluchtwege zurechtlegte, wenn sie vom Bürofenster aus die Maschinen am nahen Frankfurter Flughafen starten sah.

"Tolles Flugwetter heute" war im Haus bei klarem Himmel jahrelang ein makaberer Running Gag. Nach den New Yorker Anschlägen glaubten viele Architekten, dass das Hochhaus nun tot sei. Ein Kriegsziel. "Wie schnell sich diese Argumente wieder ins Gegenteil verkehrt haben, ist faszinierend", sagt Riklef Rambow von der BTU-Cottbus. "Es zeigt, dass der Reiz des Hochhauses stärker ist als jede Gefährdungsphantasie."

Auch Monika Arens sagt, dass sie sich sicher fühlt im Tower. Dass sie, die früher immer nur in flachen Gebäuden gearbeitet hat, sich einen Wechsel nicht mehr vorstellen kann. Wenn sie von ihrem Bürofenster im 32. Stock über der Mainebene die Sonne untergehen sieht oder wenn bei Dämmerung die Lichter in den anderen Frankfurter Türmen angehen, dann ist es am stärksten - das Gefühl, an einem besonders schönen Platz zu arbeiten. Wer das einmal erlebt habe, sagt Arens "will eigentlich nie wieder weg".

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SZ vom 11.11.2008/reb
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