Mode-App:Kleider zu verleihen

Lesezeit: 3 min

Die Gründerinnen von "Clothesfriends", Sonja Wunderlich (links) und Carmen Jenny, in einem der Partnergeschäfte, die als Übergabeorte dienen. (Foto: Stephan Rumpf)

Kaufen, tragen, wegwerfen - das muss nicht sein. Zwei Münchnerinnen haben eine App gestartet, über die Frauen sich bei anderen Nutzerinnen Outfits leihen können.

Von Franziska Gerlach

Am Anfang hat Sonja Wunderlich ihre Daunenjacke nicht sonderlich vermisst. Nachdem sie das gute Stück aber einige Tage verliehen hatte, begann sie ihr zu fehlen. Und als die Münchnerin ihre Jacke aus dem Hause Prada nach vier Wochen zurückbekam, gefiel sie ihr so gut wie lange nicht. "Da habe ich sie gleich vier Tage nacheinander getragen", sagt Wunderlich. Fünf Monate dauerte die Testphase von "Clothesfriends", einer neuen Plattform mit App, die Wunderlich gemeinsam mit Carmen Jenny gegründet hat. Und heute, fast drei Wochen nach dem offiziellen Start, können die Unternehmerinnen mit Sicherheit sagen: Ihr Angebot stärke das Bewusstsein für den Wert der Mode. Egal, ob man "Clothesfriends" nun zum Mieten oder Vermieten von Kleidung nutzt.

Und so sitzen an einem sonnigen Maitag zwei Frauen, 24 und 25 Jahre alt, im Schatten der Bäume am Holzplatz, und erzählen, wie sie mit ihrem Start-up den strapazierten Modemarkt entlasten wollen. Eine Industrie, die als einer der größten Umweltsünder überhaupt gilt. Ein System, das sich selbst krank gemacht hat durch Überproduktion und ständig wechselnde Kollektionen. Immer schneller, immer mehr. "Im Schnitt kaufen die Deutschen 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr", verweist Carmen Jenny auf eine Studie von Greenpeace. Getragen würden diese aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Der Markt quillt geradezu über, es gibt Unmengen von Textilien. Doch seit die Secondhand-Mode sich des Klischees des Muffigen entledigt hat, haben viele kein Problem mehr mit gebrauchter Kleidung. Warum also nicht auf das zurückgreifen, was sich ohnehin schon im Kreislauf befindet?, fragten sich Wunderlich und Jenny, die gemeinsam Modejournalismus an der Akademie Mode & Design (AMD) in München studiert haben.

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Sie entwickelten "Clothesfriends", und das funktioniert so: Eine Frau vermietet ein Kleid an eine andere, damit die es eine Woche, einen Monat oder sogar einen ganzen Sommer tragen kann. Die App gibt auf Basis von Mietdauer und Neuwert des Kleidungsstücks eine Preisempfehlung ab, danach legt der Vermieter den tatsächlichen Mietpreis fest, und 20 Prozent davon erhalten Wunderlich und Jenny als Kommission. Als Übergabeorte dienen Boutiquen, Secondhand-Läden oder Cafés - in München gibt es mittlerweile acht dieser "Hubs". Man könne die Kleider aber natürlich auch verschicken, erläutern die Gründerinnen. Und weil Wunderlich und Jenny ihr Konzept auch in anderen Städten etablieren wollen, haben sie nun auch in Hamburg einen ersten Hub eingerichtet. In München wollen sie über kurz oder lang auch einen Laden eröffnen, eine Art Leihboutique.

Inzwischen verzeichnen die Geschäftspartnerinnen rund 800 Registrierungen, auf Instagram folgen "Clothesfriends" bereits mehr als 2500 Leute. Wunderlich und Jenny haben eine klare Vorstellung davon, wie ihr Angebot den Inhalt der Kleiderschränke verändern könnte: "Jeder hat seine Basis-Garderobe zu Hause, und mietet sich dazu Sachen, auf die er Lust hat", sagt Wunderlich. Und während die beiden erzählen, wie sie sich früher vor dem Weggehen die Klamotten ihrer Freundinnen borgten, weil dieses oder jenes Teil so toll aussah, versteht man allmählich, wie sehr die Geschäftsidee der Münchnerinnen von der Freude am Ausdruck lebt. Mode soll Spaß machen - das hier hat nichts mit dem Verzicht zu tun, der nachhaltigen Lebensweisen so gerne angedichtet wird.

"Man muss seinen Konsum nicht einschränken, sondern nur verändern", sagt Wunderlich. Die junge Generation, wie sie die Gruppe der 15- bis 30-Jährigen nennt, habe das längst verinnerlicht. Die wollten keinen Besitz mehr anhäufen, konsumieren aber wollten sie durchaus. Zugegeben, mancher wird sich erst an das Mieten von Kleidung gewöhnen müssen, eine Hose ist schließlich kein Auto. Dass zuletzt aber auch große Firmen ins Leihgeschäft einstiegen - der H&M-Ableger Arket etwa vermietet Kinderkleidung -, darf als Indiz für den Trend gewertet werden, der im Leihen gewittert wird.

Wunderlich und Jenny haben diese Entwicklung schon zu Studienzeiten verfolgt, für ihr Unternehmen sehen die Münchnerinnen am deutschen Markt zwei, drei Mitbewerber. Eine App und "lokale Übergabeorte" biete aber nur "Clothesfriends", erläutern die Frauen. "Wir sprechen auch nicht von Mitbewerbern, sondern von Marktbegleitern", betont Carmen Jenny. Konkurrenzdenken passt nicht zum Sharing, dem Prinzip nach ein Akt der Gemeinschaft. Je mehr mitmachen, je größer die Auswahl, desto besser. Dior oder C&A, jung oder alt - auch bei "Clothesfriends" ist alles und jeder willkommen. Gerade ältere Münchnerinnen hätten bestimmt tolle Schätze in ihren Schränken, schwärmt Wunderlich. Blazer mit betonten Schulterpartien, Nadelstreifen, Schlaghosen. Sei ja alles wieder da.

© SZ vom 26.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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