Süddeutsche Zeitung

Schule in München:Streit um Anti-Mobbing-Strategie im Stadtrat

Lesezeit: 3 min

Von Jakob Wetzel, München

Wenn Kinder andere Kinder systematisch erniedrigen, dann dränge die Zeit, sagt Robert Pechhacker. Sein Verein, die Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik, koordiniert einen Arbeitskreis von 13 Trägern der Jugendhilfe zur Gewaltprävention. Werden Gewalt und Ausgrenzung nicht unterbunden, leidet darunter nicht nur die Schule, es steigt auch die Gefahr seelischer Erkrankungen. "Wir wünschen uns, dass gegen Mobbing zeitnah eingeschritten wird", sagt Pechhacker. Die Realität an Münchens Schulen aber sieht ganz anders aus. Die präventiven Angebote für dieses Schuljahr seien bereits jetzt weitgehend ausgebucht. Der Bedarf aber sei viel höher. Und für konkrete Interventionen fehlten Zeit und Geld.

In München besteht dringender Handlungsbedarf: Das sehen auch die Grünen im Stadtrat so: Rechne man die Durchschnittszahlen einer bundesweiten Studie auf München herunter, würden hier mehr als 26 500 Schülerinnen und Schüler regelmäßig gemobbt. Die Stadt solle eine umfassende Anti-Mobbing-Strategie entwickeln, fordern die Grünen in einem Antrag. Federführend sollten die Träger der Jugendhilfe sein, wie sie sich im Arbeitskreis Gewaltprävention zusammengeschlossen haben. Deren Angebot solle ausgeweitet werden, und dafür brauche es mehr Geld.

Dieser Antrag stammt noch aus dem Dezember 2017. An diesem Dienstag hat er es im Stadtrat zumindest auf die Tagesordnung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses geschafft. Doch in der Vorlageerklärt das Sozialreferat, die Stadt widme sich seit Jahren vertieft dem Thema Mobbing, so solle es nun "im Rahmen der bestehenden Gremien und Strukturen" weitergehen. Der Arbeitskreis Gewaltprävention indes protestiert nun öffentlich gegen die "zögerliche und abwartende Haltung" der Stadt. Doch im Ausschuss, heißt es aus der Rathaus-Koalition von SPD und CSU, soll die Debatte erst einmal vertagt werden. Man wolle die Stadtverwaltung um eine umfassendere Darstellung bitten.

Konkret führt das Sozialreferat aus, es gebe schon etablierte Gremien, die sich seit Jahren regelmäßig mit dem Thema befassen. Es gebe auch Präventionskonzepte wie das vom Pädagogischen Institut des Bildungsreferats ausgearbeitete Programm "Aktiv gegen Mobbing", zudem Beratungsfachkräfte des Schulamts, die in akuten Fällen intervenieren können. Das Stadtjugendamt und die freien Träger hätten ebenfalls Angebote für Schulen. Und 2019 solle es neues Geld vom Bund geben, damit die Jugendmigrationsdienste vertieft das Thema Mobbing bearbeiten können. "Aus Sicht des Stadtjugendamtes sollten diese neuen Entwicklungen erst abgewartet werden", heißt es. Dann könne man sich ein Bild über den Bedarf machen.

Druck macht dagegen das Gesundheitsreferat: Es teilt mit, die angeführten Maßnahmen würden dem Problem "nicht ausreichend gerecht". Die Angebote müssten vernetzt werden, es brauche stadtweit gebündelte Anstrengungen gegen Mobbing. Eine solche Vernetzung sei "sicherlich sinnvoll", heißt es auch vom Sozialreferat. Allerdings sei das "in allumfassender Form schwerlich realisierbar".

"Wir machen schon sehr, sehr viel", beteuert Christian Müller, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Stadtrat. "In unserem Bereich tun wir, was wir können". Tatsächlich bezahlte das Sozialreferat 2017 insgesamt 660 000 Euro für Projekte der Gewaltprävention an Schulen. 110 000 Euro flossen in Projekte gezielt gegen Mobbing. Im kommenden Jahr wolle man auch noch einmal über eine Stärkung der Schulsozialarbeit sprechen, sagt Müller. Aber wer ein umfassendes Konzept erarbeiten wolle, müsse sich an den Freistaat wenden - der sei zuständig für die Strukturen an der Schule und für den Lehrplan.

Die Grünen äußern dazu Unverständnis. "Die ganze Vorlage beschreibt nur, warum man etwas nicht machen kann und warum das Bisherige schon reicht", sagt Stadträtin Anja Berger. Aber das bisherige Angebot sei viel zu dünn. Ähnliches hat der Arbeitskreis Gewaltprävention in einem Brief an Stadtrat und Wohlfahrtsverbände geschrieben. Die Träger der Jugendhilfe seien viel zu schwach aufgestellt, sagt Pechhacker. Die im Arbeitskreis vereinten Einrichtungen besuchen Schulen, die mangels eigener Fachkräfte auf die Hilfe von außen angewiesen sind.

Und das bisherige Angebot der Stadt sei völlig unzureichend. "Aktiv gegen Mobbing" richte sich etwa nur an städtische Schulen. Für die anderen gebe es zwar ein psychologisches Beratungsangebot, aber das sei nicht spezifisch auf Mobbing ausgerichtet. Dasselbe gelte unter anderem für die Jugendmigrationsdienste: Die sollten nicht Mobbing in den Blick nehmen, sondern religiös motivierten Extremismus.

Man müsse das Problem überhaupt in seinen gesamten Kontext stellen, erklärt Beatrix Burkhardt, schulpolitische Sprecherin der CSU. Man könne das Problem nicht alleine in der Schule lösen, denn Mobbing höre nach Schulschluss nicht auf, sondern verlagere sich nur, etwa ins Internet. Sowohl Schulen als auch freie Träger bräuchten mehr Unterstützung. Aber dafür müsse man eben bis zu den nächsten Haushaltsverhandlungen warten.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2018
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