Olympia-Einkaufszentrum:Anschlag am OEZ: "Eine riesengroße Verharmlosung"

Olympia-Einkaufszentrum: Das Mahnmal am OEZ erinnert an die neun Menschen, die der Attentäter ermordet hat.

Das Mahnmal am OEZ erinnert an die neun Menschen, die der Attentäter ermordet hat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Hinterbliebene und Experten diskutieren über Aufarbeitung und Folgen des Attentats. Viele ziehen ein bitteres Fazit.

Von Anna Hoben

Am Ende bricht es aus ihr heraus: "Man hat Angst", sagt sie, und ihre Stimme klingt halb erstickt. Eine Viertelstunde dauert es eigentlich, mit der U-Bahn von der Haltestelle Dülferstraße im Hasenbergl zum Marienplatz zu fahren. Heute braucht sie oft anderthalb Stunden. "Weil ich unterwegs zwei oder dreimal aussteige. Weil ich es nicht mehr aushalte. Weil die Angst so groß ist." Sie ist die Großmutter von Giuliano K., der am 22. Juli 2016 am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) ermordet wurde, sie hat ihn groß gezogen. Am Mittwochabend sitzt sie im Pelkovenschlössl in Moosach, gute zwei Stunden ist zuvor über "Hintergründe, Einordnung und Folgen" des OEZ-Attentats diskutiert worden.

Man habe die Veranstaltung bewusst in die Nähe des Tatorts gelegt, sagt Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle für Demokratie - um Solidarität zu zeigen, mit den Angehörigen, mit Augenzeugen und Anwohnern. Die Fachstelle hat die von SZ-Redakteur Martin Bernstein moderierte Diskussion zusammen mit der Opferberatungsstelle Before und dem Bezirksausschuss Moosach organisiert.

Giuliano K. war Sinto, und die Angst der Hinterbliebenen ist, selbst zur Zielscheibe von Hass zu werden. Ein Hass, der von Vorurteilen genährt wird und die Geschichte ihrer Familie bestimmt hat. Sieben ihrer Mitglieder sind in Auschwitz ermordet worden, Giulianos Großvater überlebte nur durch glückliche Zufälle das Konzentrationslager Dachau. Ein Leben ohne Diskriminierung hat die Familie nie gekannt. Und in den vergangenen Jahren ist es schlimmer geworden. Eine Frau berichtet, wie sie vor wenigen Wochen im Zug als "Zigeunerin" beschimpft worden sei, "ab nach Auschwitz", hätten die Männer ihr hintergerufen. Besonders erschreckend: Kein Mitreisender habe etwas gesagt, manche hätten sogar gelacht. Die Gesellschaft habe nichts gelernt, dieses bittere Fazit ist an diesem Abend aus dem Publikum immer wieder zu vernehmen - nicht aus der NS-Zeit, nicht aus dem NSU-Komplex, nicht aus dem OEZ-Attentat.

Über Letzteres weist der Abend, der im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus stattfindet, deshalb weit hinaus. Es geht um Alltagsdiskriminierung, um Minderheitenschutz - und schlussendlich um nicht weniger als um die Frage, wie die Demokratie verteidigt werden muss. Eingangs hatten sich Onur Özata und Matthias Quent mit der Frage beschäftigt, warum das Attentat als rechtsextremistisch motiviert einzustufen ist. Der Rechtsanwalt Özata, Vertreter der Nebenklage im Prozess gegen den Waffenhändler Philipp K., berichtet in seinem Vortrag von dem Gerichtsprozess und argumentiert, warum Philipp K. aus seiner Sicht wegen Beihilfe zum Mord hätte verurteilt werden müssen, statt wegen fahrlässiger Tötung. Dass die bayerische Staatsregierung das rechtsextreme Motiv des Täters nicht anerkenne, sei eine "riesengroße Verharmlosung".

Die Fokussierung auf die psychischen Probleme des Täters David S. kehre die Rollen von Tätern und Opfern um und habe bittere Folgen für die tatsächlichen Opfer und deren Hinterbliebene: Sie würden so ein zweites Mal zu Opfern gemacht. "Es wäre ein Skandal, die Neubewertung nicht vorzunehmen", sagt auch der Soziologe Matthias Quent. Er leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und hat eines der Gutachten verfasst, auf deren Basis das Innenministerium neu Stellung beziehen muss. Das Bundesamt für Justiz hatte die Tat vergangene Woche als erste Behörde offiziell als rechtsextremistisch eingestuft. In seinem Vortrag wendet Quent sich auch dagegen, "Amok" und einen "politischen Anschlag" als Gegensätze zu sehen, die sich ausschließen.

Auf die Frage danach, ob die Tat hätte verhindert werden können, sagt Quent: "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit." Aber wie kann ein Umdenken stattfinden, in der Gesellschaft, in den Behörden, hin zu mehr und besserem Minderheitenschutz? Zum Beispiel, indem Betroffene aus dem Schatten treten, glaubt der Rechtsanwalt Özata. "Solche Veranstaltungen wie heute sind ein Anfang."

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