Neue Details zu Anschlag in München:Bei der Festnahme rief er „Allahu akbar“

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Auf dem inzwischen deaktivierten Instagram-Account des Täters finden sich mehrere Fotos, auf denen er neben Autos posiert. Auch das Tatfahrzeug ist wahrscheinlich darunter. (Foto: Instagram)

39 Verletzte, darunter zwei, die mit dem Tod ringen: Die Behörden korrigieren die Opferzahl nach oben und geben neue Details zur Anschlagsfahrt in München bekannt. Der 24 Jahre alte Afghane hat eingeräumt, bewusst in die Menschengruppe gefahren zu sein.

Von René Hofmann

Der 24-jährige Afghane, der am Donnerstag in München einen Mini Cooper in einen Demonstrationszug der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gesteuert hat, handelte nach Erkenntnissen der ermittelnden Behörden religiös motiviert. „Nach allem, was wir bisher wissen, würde ich mich trauen, von einer islamistischen Tatmotivation zu sprechen“, erklärte Gabriele Tilmann, Leitende Oberstaatsanwältin und Leiterin der bayerischen Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus (ZET), auf einer Pressekonferenz am Freitag.

Tilmann sprach von einer „starken Religiosität“ des Täters, die sich aus den Social-Media-Aktivitäten des Mannes ablesen ließe, und aus der Tatsache, dass er häufig eine Moschee besucht und regelmäßig gebetet habe – auch unmittelbar nach der Festnahme. Bei dieser habe der 24-Jährige den Polizisten auch „Allahu akbar“ entgegengerufen. Dies, so Tilmann, sei der Grund gewesen, warum die ZET unmittelbar die Ermittlungen übernahm.

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Inzwischen hat das Landeskriminalamt eine Soko „Seidlstraße“ gegründet, die 140 Beamtinnen und Beamte umfasst. Der Afghane soll im Laufe des Freitags einem Haftrichter vorgeführt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord in 39 Fällen vor, so viele Opfer gibt es aktuell. Zwei von ihnen werden als schwerstverletzt geführt; es besteht also akute Lebensgefahr – auch für das jüngste Opfer: ein zweijähriges Mädchen. Zudem sind acht schwer- und sechs mittelschwer Verletzte registriert.

Der Täter war am Donnerstag kurz in einem Krankenhaus untersucht und anschließend rund zwei Stunden vernommen worden. Die Vernehmung fand auf Deutsch statt. „Er hat sich selbst geäußert, bewusst in die Demo gefahren zu sein und dafür eine Begründung genannt, die ich als religiöse Motivation zusammenfassen würde“, so Gabriele Tilmann.

Warum er die Verdi-Versammlung als Ziel wählte? Ob er sich spontan zur Tat entschloss? Nach Behördenangaben ist dies noch unklar.

Die Wohnung des Mannes wurde durchsucht, ebenso weitere Orte, an denen er sich regelmäßig aufgehalten hatte. Sein Handy konnte schnell ausgewertet werden, auch weil er keine Verschlüsselungssoftware verwendet hatte.

Auf Instagram, wo er sich als Bodybuilding-Athlet und Fitness-Model inszenierte, fanden die Ermittler verschiedene Beiträge mit religiösem Bezug. In einem Post hieß es auf Dari, der Sprache, die in Afghanistan gesprochen wird: „Oh Allah, beschütze uns immer!“ Im Chatverlauf mit einem Angehörigen habe es außerdem geheißen: „Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da.“

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Was die Ermittler nicht fanden: Hinweise, dass der 24-Jährige in eine islamistische Organisation wie dem Islamischen Staat eingegliedert ist. „Ganz klar nein“, so Tilmann. Den Anschlag habe er alleine verübt. Zur Frage, ob es Mittäter, Mithelfer oder Mitwisser gegeben habe, liefen die Ermittlungen jetzt.

Über ein Upload-Portal sind mehr als 50 Videos bei den Ermittlern eingegangen. Die Rekonstruktion der Tat sei deshalb schon gut möglich, so Christian Huber und Guido Limmer, die Vizepräsidenten der Münchner Polizei beziehungsweise des Landeskriminalamtes. So beschleunigte der Täter an einem Polizeifahrzeug vorbei, das zur Absicherung hinter der Demo fuhr, und lenkte zwischen weiteren Polizeikräften hindurch in die Versammlung hinein. Er kam erst zum Stehen, als er mehrere Personen an- und überfahren hatte. Ein Versuch, noch einmal loszufahren, wurde von Polizisten unterbunden, die den Täter aus dem Auto zogen und dabei auch einen Schuss abgaben, von dem niemand getroffen wurde.

Es hätten sich keinerlei Anzeichen gefunden, dass der 24-Jährige unter psychischen Problemen litt. Nachdem er 2016 als unbegleiteter Flüchtling ins Land gekommen war, habe es das Thema „posttraumatische Belastungsstörungen gegeben“, führte Oberstaatsanwältin Tilmann aus, zu einer „aktuellen psychischen Problematik“ gebe es aber keine Erkenntnisse.

Der Täter war nicht vorbestraft und befand sich legal in Deutschland

Der 24-Jährige war legal in Deutschland. Sein Asylantrag ist zwar abgelehnt worden, er war jedoch im Besitz einer sogenannten Fiktionsbescheinigung. Diese Dokumente werden ausgestellt, wenn – wie in solchen Fällen üblich – die zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis abläuft und die neu auszustellende noch nicht vorliegt.

Der Afghane war nicht vorbestraft. Er wurde in den Polizeisystemen geführt, weil er im Rahmen seiner Tätigkeit im Sicherheitsbereich als Ladendetektiv Anzeigen wegen Diebstahls und Drogenkonsums gestellt hatte. Am Donnerstag hatte dies kurzfristig zu falschen Verdächtigungen geführt. Nach Angaben der Behörden gab es in Bayern lediglich ein Verfahren gegen ihn: wegen Arbeitsamtsbetrugs. So hatte er kurzzeitig Arbeitslosengeld bezogen, obwohl er schon eine neue Tätigkeit begonnen hatte. Gegen eine Geldauflage wurde das Verfahren eingestellt.

Der Mann lebte in München in einer Mietwohnung. Das Tatfahrzeug war sein eigenes, die Kennzeichen mit Rosenheimer-Nummern hatte er vom Vorbesitzer übernommen.

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