Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm "Vivace":Vorderhand und Bogenhand

Anne-Sophie Mutter wird im Juni 60. Über die Stargeigerin, die seit Langem in München lebt, kommt jetzt ein Porträt in die Kinos, bei dem auch ein Schweizer Tennisgott eine gewisse Rolle spielt.

Von Jutta Czeguhn

Irgendwann wird das Bild schwarz in diesem Filmporträt. Ist Kameramann Jürgen Carle kollabiert? "Sie müssen viel trinken", hat man Anne-Sophie Mutter eben noch besorgt sagen hören. Ihrer Dackelin Bonnie hatte sie zuvor aus einer blauen Thermoflasche Wasser zum Schlabbern gegeben. Die Münchner Stargeigerin und ihr Hund, hat man den Eindruck, sind immer ein wenig zu schnell, zu fit, so dass Regisseurin Sigrid Faltin und ihr Filmteam dem Duo hinterherhecheln müssen.

Aber gerade das macht den Charme dieser Doku aus, die sehr passend den Titel "Vivace" (lebendig) trägt und jetzt in die Kinos kommt. Anne-Sophie Mutter, die sich auf ihren beiden Stradivari-Geigen absolut schwindelfrei gerne in den hohen Passagen am Rande des Griffs aufhält, stürmt hier mit dem Ruhepuls eines Leistungssportlers ganz ohne Atemnot plaudernd voran auf dieser Höhenwegwanderung in den Kitzbüheler Alpen, die dem Film so etwas wie einen Rahmen gibt. Wobei der Musikerin nichts entgeht und sie sich bei einem Gedanken über Klimaaktivistin Greta Thunberg selbst ins Wort fällt, um die Aufmerksamkeit kurz auf einen vorbeiflatternden Admiral-Falter zu lenken.

Ein Schmetterling spielt auch an anderer Stelle eine berührende Rolle in diesem Porträt, für das Sigrid Faltin die rastlose Künstlerin nach vielen beharrlichen Anläufen und unzähligen Mails hat einfangen können. Vom ersten Kennenlernen im Frühsommer 2015 in Freiburg bis jetzt zum Kinostart dieser SWR-Produktion vergingen immerhin fast acht Jahre. Aber irgendwann hat Faltin Anne-Sophie Mutter - die erklärte Hundeliebhaberin wird das Bild sicher verzeihen - ein Stöckchen hingeworfen, nach dem sie einfach schnappen musste. Man wolle ihr für die Doku Menschen zum Gespräch an die Seite geben, die sie selbst wählen könne. "Roger Federer!", retournierte Mutter, die den Schweizer Tennis-Gott so glühend verehrt, dass sie sogar einmal ein Konzert in Melbourne in die Zeit um das Finale der Australian Open legte. Dumm nur, dass Federer im Halbfinale ausschied.

Zu den großartigsten Momenten des Film gehört, wie Mutter zusammen mit ihrem Sohn Richard nach Zürich zum Treffen mit dem Idol reist, und der Tennisprofi und die Virtuosin viele Gemeinsamkeiten entdecken. Es geht um Ehrgeiz, Perfektion, Selbstzweifel, Vorderhand und Bogenhand. Und um den Flow, wie beim dramatischen Wimbledon-Finale 2009, als Mutter Federers Sieg so laut bejubelte, dass die Freunde daheim vor dem TV sie aus der Masse der Brüllenden herauszuhören glaubten.

"Wenn Sie einen Künstler kennenlernen wollen, müssen Sie ihn auf der Bühne erleben", hatte die Geigerin die Regisseurin beim Start der Wanderung über den Höhenweg gewarnt. Da wissen aber wohl beide schon, dass Mutter - bei aller Kontrolle über das Private - einiges über sich preisgeben wird. Und das nicht nur im Gespräch mit Federer, den Zusammentreffen mit den Komponisten Jörg Widmann und John Williams oder beim Plausch in New York mit Magier Steve Cohen, der vor ihren Augen eine Ein-Dollar-Note verspeist.

Beinahe zu flink wie Mutter Niccolò Paganinis Caprice Nr. 24 in a-Moll spielen könnte, wechselt der Film seine Schauplätze. Sigrid Faltin hat auf viel Filmmaterial zurückgreifen können, denn das Leben dieses "Wunderkindes" wurde schon früh von den Medien ausgeleuchtet: Homestorys und Interviews aus den Siebzigern, Achtzigern, die Kamera dabei bei Proben und Konzerten unter ihrem Förderer Herbert von Karajan, bei ihrer Hochzeit mit dem Münchner Wirtschaftsanwalt Detlef Wunderlich in Kitzbühel. Dann der frühe Tod des Ehemannes, den sie ihren beiden Kindern mit dem Bild von der Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt, erklärt. Nur ein paar Wochen später ein Pfauenauge, das auf der Bühne im Berliner Konzerthaus sitzt.

Im Gespräch mit Dirigent Daniel Barenboim, auch er einst ein Wunderkind der klassischen Musik, geht es sehr nachdenklich ums Aufhören zur rechten Zeit. Aber Anne-Sophie Mutter, diese lebhafte Frau mit dem Badener Akzent und dem lauten Lachen, ist davon hoffentlich noch weit entfernt. Ob sie ihre virtuosen Hände versichert habe, will die Regisseurin von ihr wissen. Mutter verneint belustig: "Wozu? Ich falle bevorzugt auf den Hintern und recke die Geige in die Höhe."

Anne-Sophie Mutter - Vivace, Dokumentarfilm von Sigrid Faltin, Sondervorstellung in Anwesenheit von Mutter und Faltin, Mi., 29. März, 19 Uhr, Filmtheater Sendlinger Tor, weitere Spieltermine von Di., 28. März, bis Mi., 5. April, in vielen Kinos in Bayern, u.a. München, Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Infos unter filmweltverleih.de

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