Zuerst hörte sie das Feuer. Sie spürte keine Hitze, sah kein Flackern, roch keinen Rauch. Aber da war so ein Prasseln wie in einem Kamin direkt in der Wohnung unter ihr, erinnert sich Anna Depenbusch. Musiker sind Hör-Menschen, denkt man sich. Zum Glück, denn was sie noch hörte mitten in der Nacht, war die Feuerwehr, die unten am Klingelbrett des Hamburger Wohnhauses alle zu alarmieren versuchte. Und dann ging alles blitzschnell, „in zehn Minuten vom Aufwachen aus dem Tiefschlaf bis ich unten auf der Straße stehe – Autopilot, Überlebensmodus“.
Die Hamburgerin kann immer noch nicht ganz fassen, dass ihr passiert ist, wovor sich wohl jeder im Innersten fürchtet: ein verzehrender Brand im eigenen Haus. Die Rettung lief ab wie im Film: Feuerwehrleute brechen Türen auf, zu ihrer kommen sie schon nicht mehr durch im Treppenhaus, sie holen sie durchs Fenster der Wohnküche mit der Drehleiter herunter. „Fünf Minuten später, und ich hätte keine Luft mehr zum Atmen gehabt“, sagt sie.
Das Leben gerettet, das ist das Wichtigste. Aber nach dieser Schreckensnacht Anfang Februar ist das Leben nicht mehr, wie es war. Das erschüttert die Künstlerin in ihrem Fundament – in der Kunst. Dabei wirkte sie gerade hier so spielerisch fest, auf eigenem Weg seit 20 Jahren: Ihre tiefgründig-verträumte Mischung aus Pop und Chanson und ihr Charme haben sie so weit gebracht, als Stipendiatin in die Villa Massimo in Rom, in Duette mit Mark Forster und Ina Müller, in den Vorstand der Gema, als Dozentin in Pop-Kurse für junge Musikerinnen, und – am liebsten – in die feinen Konzerthallen des Landes vom Münchner Prinzregententheater bis in die Hamburger Elbphilharmonie.
Und jetzt, um ihren ersten Hit zu zitieren: „Kommando Untergang“. Sie wollte mit einem gerade entstehenden Album auf Tournee gehen – aber dieses Album ist unmöglich geworden. Es hätte von Liebe gehandelt, umschreibt Depenbusch kurz, jetzt beschäftigen sie ganz andere Themen. „Ich habe den ganz großen Wunsch, mich neu aufzustellen. Ich bin sicher, es geht weiter. Aber anders, mit ganz leichtem Gepäck.“ Man könnte wieder einen ihrer Songs zitieren, die es für jede Lebenslage zu geben scheint: „Alles auf Null, alles neu, alles andere ist vorbei / Es wird gut, es wird groß, es wird gold.“

Die 47-Jährige hat alles verloren. Man ahnt das, wenn man sie sieht auf dem Foto, das sie (mit Warnhinweis) auf ihren Fan-Kanälen im Internet verbreitet hat: Sie im weißen Schutzanzug mit Atemmaske im Flur, in dem sie 20 Jahre ein und aus gegangen war, neben einem verkokelten Türtelefon. Sie hat in der Eile nur den Ausweis und das Handy in einer Bauchtasche mitnehmen können. Die Festplatten, die Fotos, alles „was einem so ein bisschen Identität stiftet“, sei verpufft. Das Klavier ihres Home-Studios verraucht und unbrauchbar. Immerhin, die zwei Ukulelen in ihren Koffern haben es überstanden. Und seltsamerweise die Blumen, die sie für Fotoaufnahmen fürs Album organisiert hatte. Die Hausratversicherung deckt den Schaden bei Weitem nicht ab.
Das Schlimmste für sie als Künstlerin aber ist: „Ich habe meinen Safe-Space verloren; meinen Ort, an dem ich alle Sachen ausprobieren kann, die noch nicht auf die Bühne gehören, die noch niemand hören darf.“ Sie hangele sich gerade von Wohnung zu Wohnung, wo Freunde ihr Unterschlupf gewähren. Schon deshalb freut sich die nun Obdachlose auf die Tournee: „Da muss ich mich um nichts kümmern.“
Die Konzertreise wird heilsam. Hofft sie. Denn der Schock stecke noch „tief im System“. „Die Verzweiflung kommt noch gar nicht richtig hoch, weil ich weiß, es gibt etwas zu tun.“ Was sie außerdem aufbaue, sind ihre neuen Begleiter: das Kaiser Quartett. Mit den Hamburger Neo-Klassik-Stars, die schon die Auftritte von Gregory Porter, Giant Rooks oder den von ihr so verehrten Chilly Gonzales veredelt haben, kleidet sie ihre Lieder in neues Gewand. Sie hatte schon einmal das Album „Die Mathematik“ auf eigene Kosten mit einem Symphonieorchester neu eingespielt. Aber das hier ist anders: Man konnte schon im Internet ein bisschen hören, wie etwa „Alles auf Null“ ganz episch wird und mit den Zupfern und Strichen der Streicher leicht dahin groovt wie noch nie.

Erstmals spielt sie auch nicht selbst Klavier, das gibt ihr neue Freiheit, sagt sie: „Ich stehe direkt vorne, habe meine Hände frei und erzähle meine Geschichten, ganz Hildegard-Kneef-mäßig, darauf freue ich mich sehr.“
Es ist nicht alles schrecklich gerade. „Ich lebe zur Zeit von Tag zu Tag. Ich schwanke zwischen Traurigkeit und Dankbarkeit“, sagt sie. Das Pendeln über den Verlust ihrer kreativen Heimat und ihrer unerschütterlichen Liebe zum Leben hat der Tour den Namen gegeben: „Zwischen Liebe und Kummer“. Man mag ihr wünschen, dass auf der Tour, die gerade beginnt, die Liebe überwiegt. Auch dafür hätte sie einen Song: „An einem Tag im Mai sind alle Himmel wolkenlos, an einem Tag im Mai fällt Dir das Glück in den Schoß.“
Anna Depenbusch mit dem Kaiser Quartett, „Zwischen Liebe und Kummer“-Tour, Konzerte: 13. Mai, Augsburg, 14. Mai, Erlangen, 15. Oktober, München, Prinzregententheater, weitere Termine etwa 12. Mai, Stuttgart, 17. Juni, Hamburg, Elbphilharmonie