Angst vor Terror in München:Legenden der Bedrohung

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Acht Bomben auf dem Oktoberfest, eine Warnung als Finderlohn und HIV-Spritzen in der Disko: Wie sich Großstadtmythen verbreiten - und Panik gemacht wird.

Martin Thurau

Der angeblich gutgemeinte Hinweis an die Zeitung ist unterzeichnet mit "treuer Leser", und er kommt nicht von einer privaten Mail-Adresse: Schon acht Bomben seien auf dem Oktoberfest gefunden worden, das habe ihm ein Kollege erzählt, die Polizei indes wolle das "verständlicherweise nicht veröffentlichen". Noch eine aktuelle Geschichte gefällig? Eine Frau findet auf der Wiesn ein Portemonnaie, macht den Besitzer ausfindig und bringt es ihm zurück. Der Besitzer ist ein Araber, und der gibt ihr, sozusagen als Dank, den Rat, doch besser nicht mehr auf die Wiesn zu gehen.

"Ein Klassiker", sagt Klaus Roth, emeritierter Professor für Volkskunde an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Spätestens seit dem 11. September macht sie in immer wieder neuen Varianten zu immer neuen Anlässen und als Warnung für immer neue Orte die Runde. Mal ist angeblich das Oberhausener "Centro" gefährdet, mal das "Kadewe" in Berlin oder der Stachus in München, hat Bernd Harder aufgelistet. Der Augsburger Autor hat über das Phänomen der "Urban legends" ein "Lexikon der Großstadtmythen" geschrieben.

Immer gleiche Muster

Im Grunde, so Roth, ließen sich die millionenfach und minutenschnell um den Globus versandten Bedrohungsgeschichten auf eine kleine Zahl von Mustern zurückführen, manchmal sogar mit starken Anklängen an traditionelle Sagen.

Und auch die Art, wie diese Legenden gestrickt sind, zeige typische Gemeinsamkeiten. Ganz abgesehen davon, dass immer das "vorstellbar Schreckliche" in eine prototypische Realität einbricht, sind die Urheber der Erzählung nie auszumachen. Meist heißt es, "ein Freund eines Freundes" habe erfahren. "Die Geschichten sind natürlich nie verifizierbar", sagt Roth. Das gilt ebenso für andere moderne Legenden: vom Hundefutter im Essen chinesischer Restaurants beispielsweise und von Rattenknochen in der Pizza. Oder vom Verrückten, der sich mit einer HIV-verseuchten Spritze in der Disco seine Opfer sucht. Diese Geschichte habe in München vor ein paar Jahren für Verunsicherung gesorgt, erinnert sich Harder.

Warum aber verfangen solche Legenden, wo sie doch allzu oft erkennbar an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit spielen? Sie seien "Ausdruck diffuser Ängste", erklärt Roth, eine "Reaktion auf schwer fassbare Bedrohungen". Harder sagt: "Sie richten sich nicht an den Verstand, sondern stets an subjektive Befindlichkeiten." Irgendwie träfen sie sich mit dem, was man sich schon mal selbst zusammengereimt habe. Sie spiegelten eine Art "gefühlter Realität".

Allemal eine gute Geschichte

Wer sie weiterverbreite, müsse keine Gewährleistung für den Wahrheitsgehalt übernehmen, da man eben nur das zur Kenntnis gebe, was man um mehrere Ecken erfahren habe. Und wenn es nicht zutrifft, egal, eine gute Geschichte sei es allemal. Roth sieht auch einen Entlastungseffekt, ähnlich wie ihn rabenschwarzer Humor mitunter haben kann.

Am Tag nach dem 11.September, berichtet der Münchner Volkskundler, sei das Netz nicht nur voll gewesen von Urban legends, die zum Teil ins Verschwörungstheoretische changierten, sondern auch voll von makabren Witzen. Womöglich meine so mancher auch, dass er eine gute Tat vollbringe, wenn er die Warnungen weitergibt, weil er etwas tue angesichts einer Bedrohung, sagt Roth. Tatsächlich würden meist nur Ressentiments und Panikmache geschürt.

© SZ vom 01.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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