Angriffe auf Beamte:Die Polizei, dein Feind und Gegner

München:  Entgleiste Facebook-Party mit Polizeieinsatz

Am Samstagabend lief in Moosach eine Whatsapp-Party aus dem Ruder. Die Polizisten hatten es mit alkoholisierten Randalierern zu tun, einige kletterten auf ein Einsatzfahrzeug, einer urinierte in einen Streifenwagen

(Foto: Johannes Simon)
  • Seit Jahren steigt die Zahl der Gewalttaten gegen Polizeibeamte. In München werden jährlich etwa 1200 Polizisten im Dienst körperlich angegriffen.
  • Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind das weniger als in Ingolstadt, Nürnberg oder Regensburg. In Augsburg werden Polizisten sogar doppelt so oft angegriffen wie in München.
  • Ein weiteres Probleme stellen couragierte Passanten dar, die Polizeiwillkür vermuten, jedoch die jeweilige Situation vielleicht gar nicht einschätzen können.

Von Martin Bernstein

Nach einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Moosacher Whatsapp-Party vom Samstagabend haben sich sechs der größtenteils ungebetenen Gäste inzwischen Anzeigen eingehandelt - wegen Landfriedensbruchs und Sachbeschädigung. Einiges wird noch dazukommen. Denn alkoholisierte Randalierer pöbelten auch Polizeibeamte an, einige kletterten auf ein Einsatzfahrzeug, einer urinierte sogar in den Streifenwagen.

Beschimpfungen, Beleidigungen, Gewalt bis hin zur Körperverletzung: Ist das Alltag für Münchner Polizisten? Und zwar nicht nur während der Wiesn, auf der in diesem Jahr 22 Fälle von Widerstand gegen Polizeibeamte (gegenüber neun im Vorjahr) registriert wurden? Auf der Sätze wie "Seid ihr blöd?" an die Adresse der Einsatzgruppen schon zum Standardrepertoire gehören?

Eine Stunde vor dem Großeinsatz der 130 Polizisten in der Baldurstraße, gar nicht weit weg vom Ort der Whatsapp-Party, ereignet sich am Samstag in der Klugstraße ein Bagatellunfall. Eine 50 Jahre alte Gröbenzellerin touchiert mit ihrem Auto einen geparkten Pkw. Die Frau kümmert sich nicht weiter drum, steigt aus und geht mit ihrem Hund Gassi. Zwei Polizisten stellen die Unfallfahrerin. Die Frau beginnt zu toben, zertritt die Innenverkleidung des Streifenwagens, muss gefesselt werden. In der Rechtsmedizin randaliert sie weiter.

Wenige Stunden später am Ostbahnhof. Dort ist die Bundespolizei für die Sicherheit zuständig. Ein 29-Jähriger pöbelt Reisende an. Bundespolizisten erteilen ihm einen Platzverweis, ihn schert das nicht. Immer wieder kommt er zurück. Endlich steigt er in einen Linienbus. Und zeigt den Beamten den Stinkefinger. Schließlich bittet der Busfahrer die Polizisten, den Mann aus dem Bus zu holen. Der 29-Jährige tritt und schlägt nach den Beamten und verletzt zwei von ihnen, ehe weitere Bundespolizisten ihn überwältigen können.

Solche Geschichten haben viele Beamte im Dienst erlebt. Seit sechs Jahren werden Gewalttaten gegen Polizeibeamte in einer bundeseinheitlichen Statistik erfasst. Die Zahlen steigen, bundesweit. In München allerdings sind sie seit Jahren unverändert. Unverändert hoch, sagen manche. Etwa 1200 Polizisten werden in München Jahr für Jahr im Dienst körperlich attackiert. Das sind viele, aber im Vergleich zur Einwohnerzahl viel weniger als beispielsweise in Ingolstadt, Nürnberg oder Regensburg.

Von Augsburg ganz zu schweigen. Dort werden - heruntergerechnet auf die Zahl der Einwohner - Polizisten doppelt so oft angegriffen wie in der Landeshauptstadt. Der Lagebericht der Bundeskriminalamts weist aber auch für München eine leichte Zunahme von Widerstandshandlungen aus. 292 waren es im Jahr 2015 in Stadt und Landkreis. Fazit des Bundeskriminalamts: "Die Gesamtentwicklung der Fall-, Opfer- und Tatverdächtigenzahlen verdeutlicht die in Deutschland unvermindert hohe Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen im Einsatz befindliche Beamte." In weit mehr als der Hälfte der Fälle ist Alkohol im Spiel. Am vergangenen Wochenende in jedem der drei geschilderten Münchner Fälle.

Was Körperkameras im Einsatz bringen

Es ist eines der Kernprobleme. Wie schwer dem beizukommen ist, hat jüngst die Bundespolizei am Hauptbahnhof zugegeben. Die Beamten dort testen seit einem Dreivierteljahr Körperkameras. Damit sollte der "zunehmenden Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber der Polizei" begegnet werden, hoffte Jürgen Vanselow, Leiter der Bundespolizeiinspektion München, im Februar. Im vergangenen Jahr hatte es 142 Fälle groben Widerstands gegen Bundespolizisten in München gegeben, zehn Prozent mehr als 2014.

"Eine präventiv abschreckende Wirkung gegen Gewalttäter" versprach Vanselow sich von den Kameras. Das funktionierte, im Prinzip. Im August räumten die Bundespolizisten aber auch ein: Je gewalttätiger und betrunkener ein Delinquent ist, desto weniger lässt er sich von den an Brust oder Schulter angebrachten Kameras beeindrucken.

Und wenn Betrunkene dann Polizisten anpöbeln und beleidigen, helfen die Aufzeichnungen am Ende auch nicht für die Beweisführung. Denn bislang fehlt die Tonspur. "Einen gewissen Abschreckungsaspekt" sieht Jürgen Ascherl, Bezirksvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, dennoch. Mehr noch aber seien Gesellschaft und Politik gefordert. Es gebe Milieus, in denen die Polizei ein Feindbild sei, nicht als "Freund und Helfer" wahrgenommen werde.

Wie eben am Hauptbahnhof. Die Klientel, mit der Bundes- und Landespolizisten dort zu tun haben, bringt oft ein gebrochenes Verhältnis zur Polizei mit. So kommen die meisten der jungen Männer, die die Polizei als Dealer am Bahnhof erwischt, aus Ländern, in denen sie die Polizei als korrupt oder gewalttätig erlebt haben. Respekt vor der Polizei? Fehlanzeige.

Es wird noch komplizierter, wenn sich Umstehende einmischen. Weil sich die Szene schnell solidarisiert. Oder weil couragierte Passanten glauben, dort geschehe gerade Polizeiwillkür. Als im vergangenen Dezember Bundespolizisten am Ostbahnhof einen betrunkenen Randalierer packen, schreiten 25 Menschen ein, umringen die Beamten, einige versuchen sogar dazwischenzugehen. Was die Helfer nicht wissen können: Der junge Mann hat ein 17 Zentimeter langes Messer dabei.

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