Süddeutsche Zeitung

Literatur:Von Idylle keine Spur

Lesezeit: 3 min

Ein neues Buch präsentiert die Lebenserinnerungen Franz von Defreggers (1835-1921), der den Sprung vom Osttiroler Bergbauern zum Superstar der Münchner Kunstszene schaffte.

Von Sabine Reithmaier, München

Franz von Defregger war einer von Hitlers Lieblingsmalern. Schon allein deshalb war er für die Kunstwelt nach 1945 erledigt, auch wenn der bereits 1921 verstorbene Künstler nichts für seinen nationalsozialistischen Fan konnte. Schon im Vorjahr korrigierte das Innsbrucker Ferdinandeum mit einer Retrospektive zu seinem 100. Todestag erfolgreich das Bild vom bloßen Bauernmaler. Die Kunsthistorikerin Angelika Irgens-Defregger, verheiratet mit dem Urenkel des Malers, wirkte als Kuratorin an der Ausstellung mit, setzte sich auch im Katalog ausführlich mit der Biografie des Künstlers auseinander, der in seinen historischen Gemälde Geschichte und Genre dramaturgisch geschickt und ungemein erfolgreich verquickte. Jetzt hat sie ein neues, reich bebildertes Buch über Defregger herausgebracht, in dessen Mittelpunkt die Lebenserinnerungen des "Malerfürsten" stehen.

Die 36 doppelseitig mit der Hand beschriebenen Einzelblätter in historischem Quartformat galten lange als verschollen. Dass sie existierten oder existiert hatten, wusste man, da der Defregger-Biograf Heinrich Hammer sie 1940 in seiner Monografie erwähnt hatte. Wiederentdeckt wurden sie im Familienbesitz, kurz bevor Irgens-Defreggers Buch gedruckt werden sollte. Ihre Datierung ist schwierig. Sicher ist nur, dass sie nicht vor Sommer 1915 abgeschlossen wurden, folgert Irgens-Deffregger aus einem Satz des Malers zur Hochkaser-Alm bei Bozen, einem Domizil der Familie, in dem sie laut Defregger "bis zur Kriegserklärung der Italiener" 1915 die Sommerferien verbrachte. Wer das handschriftliche Manuskript transkribierte, lasse sich nicht mehr eruieren. Allerdings liegen in Archiven in Nürnberg und Innsbruck bereits seit den 1970er- und 1980er-Jahren Kopien des Typoskripts.

Genialer Geschäftsmann

Neben der ausführlich kommentierten Rückschau des Malers setzt sich die Autorin in einem Essay auch mit dem Blick der Zeitgenossen auf den genialen Geschäftsmann auseinander, der schon zu seinen Lebzeiten manchen allzu gewinnorientiert schien. Die Erinnerungen freilich setzen in der Kindheit des 1835 geborenen Malers ein, schildern dessen frühe Jahre auf einem Bergbauernhof in Osttirol.

Defreggers Beschreibungen des bäuerlichen Lebens muten, anders als viele seiner Gemälde, nicht idyllisch an. Nüchtern berichtet er von einer Kindheit in Armut, von Schicksalsschlägen und der Typhusepidemie 1841, der nicht nur seine Mutter, sondern auch vier seiner Geschwister zum Opfer fielen. Das Leben war hart. Defreggers Großvater hatte sich zwar darum gekümmert, dass jeder seiner Söhne einen eigenen Hof bekam, doch waren die Anwesen allesamt schwer verschuldet. "Man kann sich vorstellen, wie sich die Leute schinden mussten, ihre Schulden zu zahlen", schreibt Defregger. Dass sein Vater Michael, angeblich der "tüchtigste" der Söhne, einem Bruder oder dessen Witwe half, war selbstverständlich. Die jeweiligen Anwesen wurden einfach für einige Monate getauscht, die Familie zog mit um. Defregger schwärmt von den schmackhaften Eichhörnchen, die er "gut gebraten zum Essen bekam". Mittwochs und samstags gab es "Schlüpfkrapfen", deren Teig das Kind vorzugsweise zum Modellieren von Figuren nutzte. Seine Begabung wurde in der Familie früh erkannt, zumal es der Bub bald verstand, Guldenscheine täuschend echt abzuzeichnen, der Vater musste sich deshalb sogar vor Gericht verantworten.

Die Lust am Zeichnen schwand allerdings, als er von seinem 14. Lebensjahr an vermehrt zu schwerer Arbeiten herangezogen wurde. 1858 stirbt der Vater, der knapp 23-Jährige muss den Hof übernehmen. "Meine schönen Tage waren herum, es kamen nur die Sorgen, die ein solches Bauerngut mit sich bringt", schreibt Defregger. Er hält nicht lange durch, verkauft nach zwei Jahren den Hof an einen Vetter. Eigentlich will er nach Amerika auswandern, aber er begnügt sich mit Innsbruck und bereitet sich dort beim Bildhauer Michael Stolz auf die Aufnahme in die Königliche Akademie München vor. Er wird genommen, da ihm aber dort die Malklasse von Hermann Anschütz nicht genügt, zieht er 1863 nach Paris weiter. Er ist begeistert, auch von den Restaurants, in denen es kleine gebackene Fische gibt, "die sehr gut zum Essen waren, aber entsetzlich zum Sehen, wie sie mit einer weiten Kelle aus einem Fass geschöpft und in eine Pfanne mit siedendem Fett geschüttet wurden. Die armen Tierchen sprangen hoch in die Höhe!" Zwei Jahre später kehrt er nach München zurück und stellt fest, die Menschen hier seien im Vergleich zu Paris viel ernster.

Über das Tempo seiner Karriere und die beispiellosen Erfolge schreibt Defregger nicht. Überhaupt ist er sparsam mit Gefühlen, flüchtet sich gern ins Anekdotische. So mündet die Beschreibung einer Bergtour auf den Großvenediger, während der zahllose Gletscherspalten zu überwinden sind, in der lapidaren Feststellung: "Die Aussicht war prachtvoll, doch von Venedig kann man nichts sehen."

Angelika Irgens-Defregger (Hrg): Franz von Defregger. Lebenserinnerungen eines "Malerfürsten". Allitera Verlag, 180 Seiten, Preis: 20 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5515717
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.