Angekommen:Brezen für die neuen Nachbarn

Messehallen, ehemalige Werkstätten - in improvisierten Übergangsunterkünften sollen sich die Flüchtlinge erholen

Von Caroline von Eichhorn und Katja Riedel

Am Samstag ist Messechef Klaus Dittrich auf den Mont Blanc gestiegen, kurz vor dem Gipfel hat ihn ein Wettersturz erreicht, auf der Hütte klingelte dann sein Handy. Dort erfuhr er, dass nicht nur in München, sondern auch in seinen Messehallen Tausende Flüchtlinge ankommen sollten. Bett für Bett steht nun in den beiden Hallen C 2 und C 3 aufgereiht, auf einigen liegt nur Kleidung, auf anderen liegen Menschen, schlafend. Eine kleine Atempause auf ihrer großen Reise. Ihre Handys, die Begleiter ihrer Flucht, hängen an den Steckdosen, die Messe hat das Wlan freigeschaltet. Eine Nacht lang sollen sich die Menschen erholen können, bevor sie in einen der Busse steigen, die vor der Tür warten, bereit, um bis zu 800 Flüchtlinge am Tag in andere Teile Deutschlands zu bringen.

Doch es sind viel mehr Menschen, die hier ankommen. 2200 Betten stehen in der Halle, 2600 sollen es in dieser Nacht noch werden. "Wir könnten auch noch nachverdichten", sagt Christoph Hillenbrand, Regierungspräsident von Oberbayern, er führt die Medienmeute am Montagnachmittag durch die Messe, nicht ohne zu mahnen, den nötigen Abstand zu wahren. "Den Bildern vom großen Flüchtlingstreck, von hingeworfenem Essen, dem wollen wir ein Gesicht der Menschlichkeit entgegensetzen", sagt er gerade hier, am Ort des Kommerzes. Was sie hier bieten könnten, das sei humanitäre Hilfe "für Kohorten, nicht mehr für den Einzelnen". Aber immerhin.

Am Freitagabend hatte sich Hillenbrand bei der Staatskanzlei dahintergeklemmt, dass ein Teil der Messe zur Notunterkunft werden kann, wenn schon nicht zum dauerhaften Ankunftszentrum. Denn die Hallen sind sauber, sie lassen sich beheizen, und es gibt zwar keine Duschen, aber genügend Waschbecken und Toiletten für Tausende Menschen. Bis zu 80 Freiwillige arbeiten hier: von THW, vom Roten Kreuz, der Inneren Mission, Johanniter, Polizei. Und auch einige Messemitarbeiter helfen mit. Organisiert hat den Aufbau Monika Dech, sie gehört zur Messegeschäftsführung. Für die Hallen nimmt die Messe keine Miete. Dech sagt das Wort, das überall zu hören ist in diesen Tagen: "Gänsehaut". Es steht für so vieles: Auch für die Mitarbeiter, die nicht über ein verlorenes Wochenende gejammert hätten, sondern einfach anpacken.

In den Nachbarhallen bauen gerade Bäcker und Konditoren ihre Stände auf, sie wollen dort von der kommenden Woche an ihre Leckereien präsentieren. 3-D-Marzipandrucker, Sahnetorten, doch jetzt wollen die Bäcker erst mal Handfestes, nämlich Semmeln und Brezen für die Gestrandeten in der Messehalle liefern. Wie lange das noch geht? Messechef Dittrich zuckt mit den Schultern. Eine Großmesse steht vor der Tür, die Expo Real. Dort, wo jetzt noch Menschen schlafen, werden am 5. Oktober wohl Immobilienmakler ihr Portfolio anpreisen. Ein sehr münchnerisches Thema.

Am Montagabend meldet dann die Regierung von Oberbayern, sie werde 800 Flüchtlinge in einem leer stehenden Bürogebäude im Gewerbegebiet Dornach in Aschheim an der Stadtgrenze zu München unterbringen. Eventuell schon in der Nacht, spätestens aber am Dienstag. Als die Meldung kommt, ist eine weitere Notunterkunft an der Denisstraße längst in Betrieb. Im Hof der ehemaligen Mahag-Autowerkstatt spielen am Montag schon ausgelassen Kinder, die am Wochenende noch auf der Flucht waren. In der Nacht zuvor hält ein 15-jähriger Teenager in Neonweste die Nachtwache am Eingang zum Hof. "Ich musste meinen Kollegen ablösen", sagte er.

"Weil seine Frau gerade ein Kind bekommt." Der Helfer heißt Karim (Name von der Redaktion geändert). Seit drei Tagen hilft er mit, als Busbegleiter, bei der Essensausgabe und nun als Koordinator für das neue Notlager. Weil er persisch spricht, ist er eine wertvolle Unterstützung. "Wo bleiben die anderen?", fragt Karim wieder und wieder. Denn auch um halb zwölf Uhr abends sind es immer noch zu wenige Unterstützer. Etwa 20 Leute tragen Schlafzeug in die Schlafsäle und schrauben Betten zusammen. Das Scheppern der Eisenstangen hört man bis nach draußen. Die Schlafsäcke reichen noch nicht, und die Schrauben neigen sich dem Ende zu. "Die Flüchtlinge könnten jeden Moment ankommen", sagt Karim. Ein Brandschutzbeamter steht am Fenster des Empfangsraumes. Er wurde spontan hierherbestellt, um die Räumlichkeiten zu kontrollieren. "Allenfalls 400 Personen haben hier Platz", sagt er.

Montagfrüh um neun Uhr ist das Notlager an der Denisstraße nicht wiederzuerkennen: Es ist laut und belebt. Überall stehen Koffer, Flüchtlinge spazieren mit einem Kaffee über dem Hof. Die Helfer konnten in der Nacht 350 Betten mit Schlafzeug ausstatten. "Die ersten Flüchtlinge sind um 0.40 Uhr eingetroffen", sagt der Freiwillige Colin Turner. "Über die ganze Nacht hinweg wurden es immer mehr. Jetzt sind wir voll." Turner ist Mitte 30 und gebürtiger Engländer. Er steht am Eingang des Mahag-Geländes und beantwortet Anfragen. In einem weißen Großzelt in der Mitte des Hofes haben Helfer Bierbänke und -tische aufgestellt und eine Kantine eingerichtet. Vier junge Syrer sitzen auf einer Bierbank neben ihren Koffern. In den frühen Morgenstunden wurden sie von ihrer bisherigen Unterkunft am Frankfurter Ring hierher gebracht. Sie wissen nicht, wieso. Sie sind schon seit einem Monat in München, fühlen sich bereits angekommen. "Bis auf das Essen," sagt Hussien. Die vier haben viele Pläne für die Zukunft. "Ich möchte in Hamburg oder München studieren", sagt Majd, 19, aus Aleppo. Neben ihm sitzt Mostafa, 23, aus Homs. Er ist Profiradler und möchte seine Karriere in Deutschland fortführen. Ein Mitarbeiter der Stadt kommt aus dem Koordinationsbüro und muss den vier Jungs eine schlechte Nachricht überbringen. "Das Lager ist für den Moment bereits voll", sagt er. Jetzt müssen sie erst einmal wieder warten.

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