Griechisches Restaurant Schlachthofviertel "Anesis":Olivenöl und Lederhosen

Griechisches Lokal in München, 2008

Hellas in München: das Anesis in der Schmellerstraße.

(Foto: Andreas Heddergott)

Das "Anesis" hat alle Griechenkneipenmoden der vergangenen Jahrzehnte überlebt. Mit seinem Angebot von Wienerschnitzeln bis Arnaki Psito ist das Restaurant ein Musterbeispiel kulinarisch-kultureller Integration.

Ivan Lende

Es war zu Beginn der achtziger Jahre, als der deutsche Tourist Hellas' Gestade als idealen Urlaubsort entdeckte.Das führte an Ort und Insel zu markanten Veränderungen des als liebenswert verschroben bekannten griechischen Wesens.

In der Hafenkneipe von Ios musste der Urlauber den Wein auf einmal vor dessen Ausschank bezahlen, in der Altstadt von Rhodos stellten sich ihm Touristenfänger in den Weg und brüllten "oriste souvlaki", was "prima Fleischspieße" bedeutet und oft gelogen war, und auf dem Syntagma-Platz von Athen kostete das Bier plötzlich den doppelten Preis.

Dafür wuchsen zum Reloading des Urlaubsgefühls im fernen Deutschland, also auch in München, die Griechenkneipen aus dem Boden wie die Macchia aus den felsigen Eilanden der Kykladen. Die Damen des VHS-Sirtakikurses tanzten mit Fernweh in den Augen zu Sorbas' "Tarräng" und hielten es für Folklore. Damals entstand auch das ANESIS in der Schmellerstraße. Das Wort heißt frei übersetzt "Gemütlichkeit" - und die, gepaart mit etwas schlachthofvierteltypischer Boaznhaftigkeit, erscheint hier immer noch so zu sein wie damals.

Vielleicht hat zu diesem Eindruck auch das nur bedingt hellenische, dennoch äußerst wohlgeratene Wiener (Schweine-)Schnitzel (8 Euro) beigetragen, ein Musterbeispiel lukullisch-kultureller Integration. Oder war das bereits Assimilation? Die Speisekarte nährt zunächst diesen Verdacht. Auf dem Deckblatt präsentiert sich ein Grieche in Lederhose.

Der gute Mann auf dem Bild ist Kellner im Anesis. Bei einer Zigarette vor der Tür erzählt er gerne in nahezu astreinem Bairisch, er sei hier in München geboren, seine Tante habe das Restaurant vor gut 25 Jahren eröffnet, und auch der Koch sei von Anfang an mit von der Partie.

Ach ja: Und über Münchens Sechzger gehe überhaupt nichts! Also sei ihm die Lederhose gestattet. Bis die riesige Portion gemischter warmer Vorspeisen (14,90 Euro für vier Personen) vertilgt ist, hat der Gast dann Zeit genug, darüber nachzudenken, warum gerade dieses Restaurant offensichtlich alle Griechenkneipenmoden eines Vierteljahrhunderts überlebt hat.

Dabei halfen sicher die in feines Olivenöl eingelegten Pilze, die Zucchini, Auberginen und mit Käse gefüllten Paprikaschoten. Und dass, rares Zugeständnis an den Lauf der Zeit, hier kein Sorbas in Endlosschleife aus dem Lautsprecher springt. Man speist hier zu griechischer Popmusik vom erfreulich leise eingestellten Band und kann sich, anders als damals, als die live gezupfte Bouzouki zur Griechenkneipe gehörte wie die Meze-Vorspeise zum Ouzo, sogar unterhalten.

Olivenöl und Lederhosen

Zum Beispiel darüber, dass bei einem späteren Besuch die kalten Vorspeisen (11,60) noch ein bisschen besser schmeckten als die warmen. Binnen Minuten war die Platte ratzeputz leer, weil sogar Bohnenhasser begeistert die Gigantes verputzten. Nur die Dolmades, die gefüllten Weinblätter, unterschieden sich geschmacklich nicht wesentlich von jenen aus den Dosen vom Supermarkt des Athener Yachthafens Kalamaki.

So ließ sich trefflich über das Phänomen philosophieren, dass in Griechenland Tischdecken amtlich verordnete Pflicht sind, beim Münchner Griechen mit seinen blanken Holztischen aber offensichtlich nicht. Spätestens beim Arnaki Psito, dem Lämmchen aus dem Ofen (9,90) wurde das Déjà-vu jedoch übermächtig.

Leicht fiel das zarte Fleisch vom Knochen, Rosmarin, Thymian und kräftig Knoblauch unterfütterten den schönen Lammgeschmack. Die Gedanken flogen zurück zu Joannis, dem wunderbaren Wirt im alten Hafen von Naoussa auf Paros, und zu seiner noch wunderbareren Tochter Evangelia, genannt Elli.

Heute residiert dort eine Cocktailbar. Verkehrte Welt: Damals lag die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft für Griechenland in weiter Ferne. Das Bier kostete über Jahre, Drachmen-Inflation hin oder her, eine Mark. Heute kassiert ein Wirt in Naoussa für 0,33 Liter Holland-Gebräu 4 Euro, im Anesis nimmt man 2,80 für die gepflegte Halbe.

Hier im Schlachthofviertel kostete uns eine prächtig auf den Punkt gegrillte Dorade 11,80 Euro, in den Hafenkneipen der Ägäis geht in der post-olympischen Zeit unter 20 Euro für einen brauchbaren Fisch kaum etwas. Zartes Gyros gibt es im Anesis für um die 10 Euro (wobei man die "Piperato"-Version mit der scharfen Sahnesoße als Assimilations-Fehltritt eher ignorieren sollte). Am Ägäis-Gestade kriegt man dafür bestenfalls ein lauwarmes Mousaka.

Der Grieche trinkt Bier. Und Ouzo. Retsina, echten Retsina gibt es kaum noch, in den Weinfabriken geben sie Chemieharz bei für den bei Touristen begehrten Spinnwebengeschmack. Auch im Anesis wird solcher Wein der Firma Tsantali angeboten. Nun gut, manche trinken ihn gern. Doch wenn schon Wein, dann nehme man den Roten aus Naoussa, stoße auf Elli an und bestelle als Nachspeise Joghurt mit Nüssen und Honig.

Dann rufe man ein fröhliches "aspro bato", was "weißer Boden" und somit "ex" bedeutet, leere brav das Glas - und freue sich darüber, dass man heute in München meist besser griechisch isst als im Lande selber, wo der fromme Wunsch "Guten Appetit" "kali orexi" heißt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: