Lesenswert:Dem Serienmörder auf der Spur

Lesenswert: Andrea Maria Schenkel stieß ausgerechnet im Archiv der New York Times auf einen Kriminalfall aus ihrer Heimat.

Andrea Maria Schenkel stieß ausgerechnet im Archiv der New York Times auf einen Kriminalfall aus ihrer Heimat.

(Foto: Andrea Herdegen/Kampa Verlag, Zürich)

Andrea Maria Schenkel kehrt mit ihrem neuen Roman "Der Erdspiegel" zu ihren Wurzeln zurück, dem historisch verbürgten Kriminalfall.

Von Sabine Reithmaier, Regensburg

Andreas Bichel ist ein eloquenter Mann. Die meisten in Regendorf, einem Ort in der Nähe von Regensburg, schätzen den leutseligen Viehhändler, der keinen übers Ohr haut. "Er hat die joviale Art jener, die immer mehr als genug zum Leben hatten." Keiner weiß etwas Schlechtes über ihn zu sagen. Dann verschwinden junge Frauen. Erst Katharina, dann Barbara. Beide waren zuletzt auf dem Bichelhof gesehen worden. Die Schwestern der einen und die Eltern der anderen werden misstrauisch. Doch es ist nicht leicht, einem wohlhabenden, redegewandten Bauern etwas nachzuweisen.

Mit ihrem neuen Roman "Der Erdspiegel" kehrt Andrea Maria Schenkel wieder zu ihren Wurzeln zurück. Die Geschichte beruht erneut auf einem historischen Kriminalfall. So wie "Tannöd", ihr eigenwilliges erstes Buch, das die Autorin 2006 auf einen Schlag in die Bestsellerlisten katapultierte. Der Roman über den bis heute ungeklärten Sechsfachmord von Hinterkaifeck verkaufte sich mehr als eine Million Mal, erhielt zahlreiche Preise, wurde in 20 Sprachen übersetzt und verfilmt. Obwohl sie auch ihre folgenden Werke - "Kalteis", "Bunker", "Finsterau" und "Täuscher" - ähnlich konzipierte und schrieb, konnte keines an den Erfolg ihres Erstlings anknüpfen, auch wenn "Kalteis" (2007) Schenkel noch einmal den Deutschen Krimipreis einbrachte. 2016 gab sie erstmals das Genre des historischen Kriminalromans auf und schrieb "Als die Liebe endlich war", die Geschichte des deutschen Auswanderpaars Carl und Emma, das sich nach dem Krieg in den USA kennenlernt. Seither herrschte Stille.

Vorbild für Jack the Ripper?

Mit dem "Erdspiegel" kehrt sie auf angestammtes Terrain zurück. Auf den Fall aufmerksam wurde sie zufällig im Archiv der New York Times, als sie nach Verbrechen von Serienmördern recherchierte - die gebürtige Regensburgerin lebt inzwischen nicht nur in ihrer Heimatstadt, sondern auch in einem Vorort von New York. Im Archiv jedenfalls fand sie den Hinweis auf die Textsammlung "Merkwürdige Criminal-Rechtsfälle", herausgegeben im Jahr 1811 vom Königlich Geheimen Rat und Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm von Feuerbach. Dort wurde erstmals über den Fall des Andreas Bichel ausführlich geschrieben. Die New York Times griff darauf zurück, als sie 1889 über Jack the Ripper berichtete und die Ansicht vertrat, bei Ripper handle es sich um einen Nachahmungstäter. Denn Bichel und Ripper töteten ihre Opfer auf ähnliche bestialische Art und Weise.

Schenkels Erzählstil hat sich nicht verändert. Sie ergänzt die historische Realität durch fiktive Rekonstruktionen, die aber genügend Lücken lassen für die Fantasie des Lesers. Ihre Sprache ist, wie gewohnt, klar und einfach. Fein, dass sie jede Menge heute nicht mehr gebräuchliche Wörter unterbringt. Bei ihr spukt es nicht, sondern es "waizt", der Schuppen ist noch ein "Schupfn", eine Taufpatin eine "Godin".

Freilich, eine tiefergehende Milieustudie hat Schenkel nicht geschrieben. Warum Bichel die Mädchen, die er mit einem magischen, angeblich die Zukunft vorhersagenden Spiegel gelockt hat, ermordet und zerstückelt, wird nie so wirklich klar. Und auch die Charaktere der jungen Frauen bleiben ziemlich flach. Wirklich spannend ist es dagegen mitzuerleben, wie lang es Bichel gelingt, sich immer wieder herauszureden und alle Schuld von sich zu weisen.

Andrea Maria Schenkel: "Der Erdspiegel", Kampa Verlag 2023, 192 Seiten, 22 Euro

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