Süddeutsche Zeitung

Amoklauf von München:David S.: Selbstgespräche im Internet

Der Amokläufer chattete vor seiner Tat intensiv mit einem "Bastian", der er offenbar selbst war. Je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr wird klar: Der 18-Jährige handelte wohl alleine.

Von Martin Bernstein und Christian Krügel

Es ist wohl die Frage, die die Sicherheitsbehörden am meisten beschäftigt: Hatte David S. bei seinem Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum Mitwisser, ja vielleicht sogar Mittäter? Hinweise darauf gab es einige, doch je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr wird klar: Der 18-Jährige handelte wohl alleine und auf eigene Faust. Denn auch ein letztes mögliches Indiz für einen Mitwisser ist nach SZ-Informationen inzwischen ausgeräumt. Ein Chat, den der Jugendliche mit einem ominösen "Bastian" geführt hat, war offenbar fingiert. David S. hatte seinen Gesprächspartner wohl schlicht erfunden, der Chat war nichts anderes als ein Selbstgespräch im Internet.

Das zuständige Landeskriminalamt (LKA) verweist bislang nur auf die noch laufenden Ermittlungen. Die Bild am Sonntag hatte am Wochenende aber aus einem Chat-Protokoll von David S. ausführlich zitiert. Demnach habe sich der 18-Jährige mit seinem Gesprächspartner über Kinofilme, Freizeit und Liebeskummer ausgetauscht - wie das täglich Tausende Jugendliche tun. Immer wieder sei es aber auch um die Demütigungen gegangen, die David S. von Mitschülern erfahren haben soll. Und um Gewaltfantasien: "Bastian" habe ihm Mut zugesprochen, Rache zu üben für erlittenes Unrecht und verschmähte Liebe. Zudem habe er Details über die Waffe und die Munition gekannt, die sich David S. im Frühsommer bei einem Waffenhändler in Hessen besorgt hatte.

Doch genau wegen dieses extremen Detailwissens, der Art der Unterhaltung und der technische Analyse des Chats gehen Experten inzwischen davon aus, dass "Bastian" nur eine andere Identität von David S. war. Dass der Jugendliche S. mit zahlreichen fiktiven Identitäten im Internet unterwegs war, wussten die Ermittler schon frühzeitig. Unter dem gefälschten Facebook-Account "Selina Akim" hatte der 18-Jährige versucht, Jugendliche zur Tatzeit in den McDonald's am Olympia-Einkaufszentrum zu locken.

Was für die Ermittler im Landeskriminalamt die Auswertung der Computerdateien aber so schwierig macht, ist außer der schieren Menge die Tatsache, dass David S. offenbar auch früher schon mit Menschen chattete, die es nicht gab: Er hatte sie zuvor selbst erfunden. Darunter könnte sogar mindestens eine weitere weibliche Identität gewesen sein, mit "der" er sich unterhielt.

Reale Kontakte zu Jugendlichen, die Gewaltfantasien zuneigten, fand die Polizei freilich auch, allerdings nur in zwei Fällen. Einen 16-jährigen Münchner, den David S. während einer psychiatrischen Behandlung in der Klinik kennengelernt hatte, bestellte der 18-Jährige kurz vor dem Amoklauf zum späteren Tatort. Und mit einem 15-Jährigen aus Gerlingen (Baden-Württemberg), der selbst einen Amoklauf plante, hatte David S. in einem einschlägigen Forum Kontakt. Der Jugendliche, der sich selbst "teuflischer Psychopath" nannte, hatte nach Erkenntnissen der zuständigen Ermittler in Ludwigsburg aber keine Kenntnis davon, was David plante. Unklar ist bislang, ob David S. seine Fahrt zum Amoklauf-Schauplatz Winnenden allein oder in Begleitung unternahm. Es soll von dieser Fahrt im Sommer 2015 Fotos geben, die David S. in Winnenden zeigen, aber keine Selfies sind.

Bis wann das Landeskriminalamt seine Ermittlungen abschließen kann, ist noch immer offen. Jede mögliche Verbindung zu tatsächlichen oder erfundenen Freunden müsse abgeklärt, jeder digitalen Spur nachgegangenen werden, heißt es - und davon hat David S. reichlich hinterlassen.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2016/kbl
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