Süddeutsche Zeitung

Amoklauf in München:Polizei fasst mutmaßlichen Waffenhändler des Münchner Amokläufers

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Von Christian Krügel, München

David S. hat sich die Pistole, mit der er am 22. Juli am Olympia-Einkaufszentrum zunächst neun Menschen und dann sich selbst erschoss, offenbar bei einem professionellen Waffenhändler aus Hessen besorgt. Den 31-Jährigen hatte er über Chatforen im Darknet, einem schwer zugänglichen Teil des Internets, kontaktiert. Doch anders als bisher angenommen, wurden ihm die Waffen wohl nicht geschickt: David S. soll stattdessen im Mai und im Juli nach Marburg gefahren sein, um sich die Pistole vom Typ Glock 17 und die passende Munition zu holen.

Sein mutmaßlicher Händler wurde am Dienstag festgenommen, zugleich gaben die Ermittler neue Details zum Hergang des Amoklaufs bekannt. Dabei wird klar: Noch viel mehr Menschen hätten Opfer des Täters werden können.

Der Waffenhändler war offenbar eine große Nummer in der Szene - am Ende fiel er aber auf ein Scheingeschäft herein, das hessische Ermittler eingefädelt hatten. In dessen Verlauf soll der Mann nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt selbst davon gesprochen haben, die Tatwaffe an David S. verkauft zu haben. Am Dienstag griff ein Spezialeinsatzkommando in Marburg zu, als der 31-Jährige Waffen an seinen Scheinkunden übergeben wollte. Zusammen mit dem Waffenhändler wurde auch dessen 31 Jahre alte Lebensgefährtin festgenommen, bestätigte Alexander Badle, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Offenbar sollte die Frau das Geschäft absichern und die Ware übergeben, sobald ihr Partner das Finanzielle geregelt hätte. Die Ermittler waren dem Mann aus Marburg durch zwei andere Waffendeals auf die Spur gekommen, die sie wiederum durch jahrelange Ermittlungen in Fällen von Internet-Kriminalität aufgedeckt hatten.

Bei einem dieser Deals war ebenfalls ein Jugendlicher der Kunde: Bei einem 17-Jährigen in Nordhessen stellte die Polizei in dessen elterlichen Wohnung Anfang August Gewehre, Revolver und eine Pistole sicher. Bereits Ende Juli hatte sie bei einem 62-jährigen Buchhalter aus Nordrhein-Westfalen eine Pistole und Munition gefunden. Wie der Jugendliche hatte auch dieser Mann Kontakt zu dem Marburger Waffenhändler über einschlägige Foren im Internet hergestellt. Deshalb tarnten sich die Ermittler als Kunden und kontaktierten den 31-Jährigen auf demselben Weg.

David S. fuhr offenbar zweimal nach Hessen

Parallel dazu ermittelte das bayerische Landeskriminalamt (LKA), wie David S. sich die Tatwaffe besorgt haben könnte - und stieß dabei ebenfalls auf Spuren, die nach Marburg führten. Aufgrund der ausgewerteten Chats von David S. sowie Busfahrkarten, die bei einer Durchsuchung von dessen Wohnung gefunden wurden, gehe man davon aus, dass der Münchner im Mai im Internet auf den Waffenhändler stieß, so das LKA.

Danach fuhr der 18-Jährige zweimal nach Hessen: am 20. Mai, um sich die Waffe abzuholen; am 18. Juli, vier Tage vor der Tat, um sich dort auch 350 Schuss Munition zu besorgen. Offenbar fand diese Fahrten niemand bemerkenswert: Aus Ermittlerkreisen heißt es, David S. habe öfter Touren durch die Republik mit Fernbussen unternommen.

Die Frage, wie der 18-Jährige an die Pistole gekommen sein konnte, war eine der wichtigen offenen Punkte der bisherigen Ermittlungen. Aber auch zum Weg des Amokläufers durch das OEZ gibt es neue Erkenntnisse, nachdem die Polizei mehr als 3100 Hinweise überprüft und 250 Zeugen vernommen hat. Demnach lief David S. nach den Schüssen im Mc Donald's und im Olympia-Einkaufszentrum von einem Zwischengeschoss in das Parkhaus.

Dort habe er 17 Schüsse in ein geparktes Auto abgefeuert. Danach sei er auf das oberste Parkdeck gelaufen - von wo aus er sich das per Handy-Video dokumentierte Streitgespräch mit einem Anwohner lieferte. Dabei wurden zwei Polizisten auf ihn aufmerksam, einer der Beamten schoss - aber verpasste ihn. David S. floh daraufhin über eine Außentreppe, eine Grünanlage und die Riesstraße in das unverschlossene Treppenhaus eines Hauses an der Henckystraße.

Dort traf er auf mehrere Anwohner, "die von ihm glücklicherweise weder bedroht noch angegriffen wurden", wie das LKA mitteilt. Das ist eine neue Erkenntnis - bislang war man davon ausgegangen, dass David S. nach seiner Flucht niemandem mehr begegnet war. Warum er auf keinen der Anwohner schoss, bleibt unklar. In seiner Pistole war noch reichlich Munition. Erst nach der Flucht durchs Treppenhaus soll sich der 18-Jährige in der Tiefgarage versteckt haben. Als er diese verließ, wurde er von einer Polizeistreife gestellt. Er erschoss sich vor den Augen der Polizisten.

Der Tatablauf ist nun bekannt, der Waffenhändler ebenso - einen Hinweis darauf, dass es womöglich noch andere Täter gab, fehle bislang, erklären die Ermittler. Auch der 15-Jährige aus dem Kreis Ludwigsburg, der mit David S. in Chats Gewaltfantasien ausgetauscht hatte und im Juli festgenommen worden war, habe nicht konkret von den Plänen gewusst, erklärte die Staatsanwaltschaft Stuttgart.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2016
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