Amoklauf:Fehlschuss war Notwehr

Weil er ihn für den Amokläufer hielt, hat ein Polizist einen Nachbarn des Täters mit einem gezielten Schuss ausser Gefecht gesetzt - er musste so handeln, sagt die Polizei. Der tatsächliche Schütze ist inzwischen im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.

Von Monika Maier-Albang

Walter S. hatte nach der Tat einen Gehirnschlag erlitten. Die drei Nachbarn, die er am Montag durch Schüsse verletzt hatte, sind außer Lebensgefahr. Der gebürtige Tscheche, der seit 1975 in der Eisenbahner-Wohnanlage an der Herthastraße 21 lebte, besaß laut Polizei keinen Waffenschein für das Gewehr, mit dem er auf seine Nachbarn losging. Der Schuss eines Polizisten auf den Hausbewohner, der S. entwaffnet hatte und mit dem Gewehr aus dem Haus gekommen war, dürfte indes keine strafrechtlichen Folgen haben. Laut Staatsanwalt Peter Boie handelte der "erfahrene" Beamte aus Notwehr.

Amoklauf: Polizisten sichern das Wohngebiet rund um die Herthastraße 21.

Polizisten sichern das Wohngebiet rund um die Herthastraße 21.

(Foto: Foto: dpa)

Als Motiv für die Tat vermutet die Polizei einen Nachbarschaftsstreit. Harald Pickert, Leiter des Morddezernats, berichtet von einem langjährigen Schriftverkehr zwischen S. und der Hausverwaltung, der Eisenbahner Baugenossenschaft. S. habe "akribisch darüber Buch geführt, wann eine Dusche zu hören war, wann die Haustür nicht verschlossen war, wann ein Bonbonpapier im Hausgang lag oder jemand die Tür zu laut ins Schloss hatte fallen ließ".

Gegen die bosnische Familie, die unter ihm lebte und sich für sein Empfinden zu laut verhielt, habe S. einen regelrechten "Hass" entwickelt, so Pickert, der S. als "Eigenbrötler" beschreibt. Der ehemalige Bahnbedienstete, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland kam und nie verheiratet war, lebte zurückgezogen und galt als extrem ordnungsliebend. Nachbarn zufolge soll S. bereits vor Jahren einer albanischen Familie, die früher unter ihm wohnte, damit gedroht haben, ihre Kinder "abzustechen", weil sie ihm ebenfalls zu laut gewesen waren.

Fehlschuss war Notwehr

Auslöser für den Amoklauf könnte ein Zettel gewesen sein, den die Beamten im 35-Quadratmeter-Appartement von Walter S. fanden: Ein Nachbar kündigt darin an, nicht mehr für die Flur- und Treppenreinigung zu sorgen, weil einige Parteien - darunter das bosnische Brüderpaar - nicht bezahlen wollten. Laut Bernhard Reinhart, Vorstand der Eisenbahner Baugenossenschaft, wollten die Bosnier selbst die Reinigung übernehmen. Reinhart hatte S. erst vor kurzem aufgesucht, um mit ihm über die bevorstehende Renovierung des Hauses zu sprechen. Dabei habe S. überhaupt keinen aufgewühlten Eindruck gemacht. Der Rentner habe sich nur phasenweise massiv über seine Nachbarn beschwert; in letzter Zeit, so Reinhart, "war eigentlich Ruhe".

Amoklauf: Mit dieser Waffe hat der 66-jährige Rentner geschossen.

Mit dieser Waffe hat der 66-jährige Rentner geschossen.

(Foto: Foto: ddp)

Eine trügerische, scheint es. Am Montagmorgen war Walter S. mit einem Unterhebelrepetiergewehr und einem Hammer bewaffnet aus seiner Wohnung gegangen und hatte die 24 und 31 Jahre alten Söhne der bosnischen Familie abgepasst, die gerade nach Hause kamen. S. eröffnete das Feuer und traf den 24-Jährigen am Hals. Während sich die beiden Männer in der Wohnung ihres Vaters Pavo A. verbarrikadierten, schoss S. zwei weitere Mitbewohner an.

Schließlich überwältigte Pavo A. den Rentner, der bei dem Gerangel mehrere Blutergüsse am Kopf davontrug. Als Pavo A. mit dem Gewehr in der Hand aus dem Haus trat, beging er einen verhängnisvollen Fehler: Er kam der Aufforderung nicht nach, die Waffe niederzulegen, sondern drehte sich zu den Polizisten um. Daraufhin gab einer der Beamten aus einer Entfernung von etwa zehn Metern einen gezielten Schuss auf den Arm des Bosniers ab. Möglicherweise habe der 54-Jährige aufgrund "mangelnder Deutschkenntnisse" nicht verstanden, was man von ihm wollte, sagte Staatsanwalt Boie. Er hält den Schuss dennoch für gerechtfertigt. Die Beamten hätten keine Chance gehabt zu erkennen, dass es sich nicht um den Täter handelte. Für einen Warnschuss sei keine Zeit geblieben, weil die Polizisten davon ausgehen mussten, dass der Täter sofort schieße.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: