Es wird der 18. und für dieses Jahr letzte Verhandlungstag sein. Waffenhändler Philipp K. wird vermutlich auch am Mittwoch schweigend auf der Anklagebank im Justizpalast sitzen. Andere werden reden: Der Vorsitzende Richter Frank Zimmer, Staatsanwalt Florian Weinzierl, die Opferanwälte, die Verteidiger des 32 Jahre alten Marburgers. Sie werden alle über die neun Morde vom 22. Juli vergangenen Jahres am Münchner-Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) reden, die mit einer Waffe begangen wurden, die K. verkauft haben soll. Und sie werden dafür doch ganz unterschiedliche Wörter verwenden: Amoklauf, Attentat, Anschlag.
Für manche Menschen ist es ein Streit über Wörter. "Bringt die Toten auch nicht mehr zurück", schreibt ein SZ-Leser auf Facebook. "Und Mörder bleibt Mörder." Es geht um die Frage, ob Rache für einst erlittenes Mobbing das Hauptmotiv für den Todesschützen David S. war - dann nämlich könnte man von einem Amoklauf sprechen. Mehrere Experten, die das Verbrechen im Auftrag der Stadt München untersucht haben, kommen zu einem anderen Schluss: Es war ein Hassverbrechen, ein Akt des Terrorismus.
Wirklich nur ein Streit über Wörter? Für die Eltern der ermordeten Kinder ist es mehr. Sie und ihre Vertreter sagen: Wer das angebliche Rache-Motiv ungeprüft übernimmt, folgt der rassistischen Logik des Täters und macht Opfer gleichsam zu Mitschuldigen an ihrem eigenen Tod. So wie S. es tat, als er einen am Boden liegenden Jugendlichen erschoss und dazu höhnisch rief: "Selber schuld!" Aus Sicht der Hinterbliebenen handelt es sich um einen Täter, der aus rechtsradikalen Motiven getötet hat. "Sie fordern, mit ihren Fragen und Anliegen ernstgenommen zu werden", betont die Beratungsstelle Before.
Die von der Stadt mit den Untersuchungen beauftragten Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die Forderung der Angehörigen auch aus kriminologischer Sicht richtig ist. Der Amoklauf war demnach zugleich ein rassistisch motivierter Anschlag. Für die Wissenschaftler war S. ein allein handelnder Terrorist, ein "lone wolf". Der Extremismus-Experte Florian Hartleb führt dafür eine Reihe von Indizien auf: stringente Planung des Anschlags trotz schwerer psychischer Probleme, Schießtraining, Interesse des Täters an Politik und seine zweifelsfrei rechtsextreme Gesinnung. Weiter zählen dazu das Losschlagen in einem Einkaufszentrum (das vom Erfinder der "Lone Wolf"-Strategie, dem amerikanischen Neonazi Tom Metzger, propagiert wurde), angebliche Pläne für mehrere Anschläge in Großstädten, um "die AfD zu pushen". Auch der Hass gegenüber türkischstämmigen Menschen sowie gegenüber Arabern und Menschen aus Albanien, Waffen- und Munitionsbesorgung bei einem rechtsextremistischen Waffenhändler sowie Opferauswahl sprechen dafür.
Der Täter erschoss nur Menschen, die in sein von rassistischen Vorurteilen bestimmtes Raster passten. Nach allem, was man jetzt auch durch den Prozess gegen den Waffenhändler weiß, wollte S. also weit über persönliche Rache hinaus ein Zeichen setzen. Um das deutlich zu machen, schreibt die Süddeutsche Zeitung inzwischen von einem Anschlag.