Süddeutsche Zeitung

Am Stadtrand von München:Hausärzte dringend gesucht

Eigentlich gibt es mehr als genug Hausärzte in München. Doch für die Praxen am Stadtrand finden sich kaum Nachfolger. Nun schlagen Ärzte Alarm - weil es immer schwieriger wird, die medizinische Versorgung etwa im Hasenbergl zu gewährleisten.

Von Inga Rahmsdorf

Bisher kennt man das Phänomen vor allem aus dünn besiedelten ländlichen Gebieten. Der Hausarzt findet keinen Nachfolger mehr. Für junge Ärzte ist es attraktiver, in boomenden Großstädten ihre Praxis zu eröffnen. Doch in Münchens Stadtrandgebiet Hasenbergl schlagen Ärzte und Pflegekräfte nun Alarm: Es werde immer schwieriger, die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Praxen können nicht mehr nachbesetzt werden und stehen leer. Und die Hausärzte, die praktizieren, sind völlig überlaufen. Patienten klagen darüber, dass sie keinen Termin mehr bei einem Mediziner im Bezirk erhalten, besonders schwierig ist es für alte oder kranke Menschen, die auf Hausarztbesuche angewiesen sind.

Das Paradoxe an der ganzen Sache ist: Eigentlich sieht es gut aus mit der ärztlichen Versorgung in München. Sogar sehr gut. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) betreuen etwa 1400 Allgemeinmediziner die 1,9 Millionen Einwohner im Stadtgebiet und dem umliegenden Landkreis. Das ist ein Versorgungsgrad von 123 Prozent - und das gilt nach den bundesweit geltenden Standards für Hausärzte sogar als Überversorgung. Daher sind neue Niederlassungen in München und Landkreis auch nicht möglich. Wer eine Praxis gründen möchte, muss eine Zulassung übernehmen. Umso erstaunlicher ist es, dass Ärzte im Hasenbergl kaum noch einen Nachfolger finden.

Die Zahl der Analphabeten ist relativ hoch

"Wir bekommen immer mehr Anfragen, ob wir Hausbesuche von anderen Praxen übernehmen können", sagt die Allgemeinmedizinerin Christa Scholtissek, die seit 30 Jahren im Hasenbergl in einer Gemeinschaftspraxis arbeitet. Dabei haben sie und ihre Kollegen eigentlich keine Kapazitäten mehr für neue Patienten. Hausbesuche sind zudem besonders zeitintensiv und werden im Verhältnis zu anderen Behandlungen gering vergütet.

Aber auch die Betreuung in Praxen in Stadtrandbezirken wie dem Hasenbergl sind oft wesentlich zeitintensiver als für Ärzte in der Innenstadt oder Haidhausen. Es gibt relativ viele alte und arme Menschen. Einfach ein Rezept in die Hand drücken, das könne sie bei vielen Patienten nicht machen, sagt die Ärztin Scholtissek. Weil sie gar nicht das Geld vorstrecken könnten, auch wenn sie die Kosten später erstattet bekämen. "Wir können auch nicht einfach ein Plakat im Wartezimmer aufhängen und davon ausgehen, dass alle Patienten das lesen", sagt Scholtissek. Die Zahl der Analphabeten sei relativ hoch.

Die Allgemeinmedizinerin und ihre Kollegen aus dem Hasenbergl fordern mehr Unterstützung und ein soziales Netzwerk, auf das sie zurückgreifen können. Die sozialen Kompetenzen kämen zudem im Medizinstudium viel zu kurz, kritisieren sie. Wenn junge Ärzte dann eine Praxis in Vierteln wie dem Hasenbergl übernehmen, seien sie schnell überfordert.

Das Problem ist auch Robert Schurer, Chef der AOK München, bekannt. Nicht nur im Hasenbergl, auch in anderen Stadtrandgebieten, wie in Riem im Osten Münchens, werde es schwieriger, für Ärzte einen Nachfolger zu finden, sagt er. Im Stadtzentrum gibt es mehr Laufkundschaft, Pendler, Einkaufende, die sind im Durchschnitt jünger und wirtschaftlich besser gestellt, der zeitliche Aufwand für den Arzt ist geringer. Zudem gibt es dort mehr Privatpatienten, und die bringen mehr Geld.

Für ältere Menschen ist der Weg in die Stadt zu beschwerlich

Warum gehen die Patienten aus den Stadtrandgebieten dann nicht einfach im Zentrum zum Arzt? Schließlich müssen sie - anders als beim Landarztmangel in der Uckermark oder im Bayerischen Wald - nicht weit fahren. Die Menschen, die dringend auf einen Hausarzt im Viertel angewiesen sind, seien gerade die Patienten, die gar nicht oder nur wenige hundert Meter laufen könnten, sagt die Ärztin Scholtissek. Gerade für ältere und schwer kranke Menschen sei es nicht so einfach möglich, mal eben vom Hasenbergl mit der U-Bahn in die Innenstadt zum Arzt zu fahren.

Ähnlich wie bei der Förderung von Landärzten fordern die Mediziner nun, dass Konzepte entwickelt werden, um auch wirtschaftlich weniger wohlhabende Stadtrandbezirke wie das Hasenbergl attraktiver für junge Ärzte zu gestalten. Auch Politiker wie der CSU-Landtagsabgeordnete Joachim Unterländer wollen nun an junge Ärzte appellieren, nicht nur in die begehrten Stadtviertel zu gehen, sondern auch an den Stadtrand.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1873450
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.01.2014/cto
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.