Altstadt:Die Kraft der ruhigen Räume

Lesezeit: 2 min

Die Stadt München braucht nicht nur Tramtrassen und die U-Bahn, sondern auch fußläufige Anbindungen und ein Wegesystem, das den Menschen Rückzugsorte schenkt - abseits von Trubel und Lärm

Von Anita Naujokat, München

An den Pflanztrögen in der Fußgängerzone scheiden sich massiv die Geister. Für die einen sind sie hässliche Betonkübel, nicht mehr repräsentativ für den Marienplatz und die Kaufingerstraße, die gute Stube Münchens. Für andere hingegen verkörpern sie das typische, authentische Design der 1970er Jahre, jener Zeit als sie entstand. Für die Gärtner haben sie den Nutzen, dass sie Wasser speichern können, sodass die Blumen nur einmal in der Woche bewässert werden müssen. Und für Architekten wie Claudia Neeser lassen sich mit ihnen ganz eigene Räume bilden, weil sie nach jeder Winterpause beliebig aneinandergereiht und umgestellt werden können.

Der Neu- und Umbau des Hauptbahhnofs soll auch Fußgängern neue Wege in die Altstadt eröffnen: Architektin Claudia Neeser (rechts) und Cornelia Gottschalk, Stadtplanerin im Planungsreferat, erläutern während eines Stadtspaziergangs den Teilnehmern die Pläne. (Foto: Stephan Rumpf)

Sie leitet an diesem Freitag den Stadtspaziergang in der Reihe "PlanTreff vor Ort", der Info-Stelle für Stadtentwicklung im Planungsreferat zum "Thema Mobilität in der Innenstadt". Dabei geht es nicht um Busse, Tram und U-Bahn, sondern um fußläufige Anbindungen, Querungen, Stadträume und ein Wegesystem, bei denen Passagen ein wichtiges Element der Mobilität sind, nicht, um von Geschäft zu Geschäft zu eilen, sondern auch um Rückzugsorte und ruhige Winkel abseits der Geschäftigkeit in der City zu finden. Oder auch nur, um die Stadt mit geweitetem Blickwinkel zu betrachten.

Nach und nach erobern sich Fußgänger immer mehr Terrain in der Altstadt. Die Sendlinger Straße ist zur Fußgängerzone geworden. (Foto: Stephan Rumpf)

Autofrei werden soll auch einmal der Vorplatz des neuen Hauptbahnhofs. Noch werde diskutiert, erläutert Cornelia Gottschalk, Stadtplanerin beim Planungsreferat für übergreifende Themen bei der Entwicklung des neuen Bahnhofs, der Gruppe interessierter Bürger. Es gebe Überlegungen, den Hauptplatz als eine fußläufige Zone bis zum Stachus und der Innenstadt auszuweiten. So wie die Fußgängerzone Stück für Stück mit der Sendlinger Straße oder der Dienerstraße gewachsen ist. Notwendig sein werde am Bahnhofsplatz dafür ein drittes Tramgleis, um den Verkehr zu entzerren, damit nicht alle Züge als neue Barriere für Passanten an einer Stelle halten.

Neben der Hettlage-Passage fuhren früher noch Autos. (Foto: Stephan Rumpf)

Genau diesen Weg spaziert die Gruppe zum Stachus und zur Alten Akademie. Dort lenkt Claudia Neeser nicht zum ersten Mal während der Tour den Blick zurück in die Vergangenheit und Historie der Stadtentwicklung. Kaum vorstellbar, dass durch die Fußgängerzone einmal die Salzfuhrwerke rumpelten und später der gesamte Autoverkehr durchströmte. Arkaden und parallel verlaufende Passagen hatten damals nicht nur gestalterische Funktion, sondern waren wichtig zum Schutz der Fußgänger, erklärt Claudia Neeser.

Eigentlich schade, dass es einen solchen Stadtspaziergang braucht, um, wie in der Kaufingertor-Passage, wieder einmal nach oben zu blicken und sich nicht von Schaufenstern und vorbei eilenden Passanten ablenken zu lassen. Auch die Hofstatt ist für die Architektin ein Beispiel für neue Stadträume. Bis zur Eröffnung der Einkaufspassage 2013 sei der gesamte Komplex für die Öffentlichkeit verschlossen gewesen. Nun bietet er neben Durchgängen und zwei privaten auch zwei öffentliche Höfe. Von der sich zur Sendlinger Straße hin öffnenden Seite gibt es durch die Dultstraße auch eine Verbindung zum Jüdischen Zentrum. Das Stadtmuseum werde ebenfalls umgeplant und solle künftig auch vom Rindermarkt aus zugänglich sein. "Auch das ist eine Öffnung des bisher eher abgeriegelt stehenden Gebäudes", sagt Claudia Neeser. Sie wirft allerdings die berechtigte Frage auf, inwieweit bei all den neuen Räumen für Fußgänger der Radverkehr mitbedacht worden sei.

Dort, wo der Marienplatz am Tal endet, geht es um "Tom und Hilde" - den Planungen für den Abriss des Parkhauses an der Hildegardstraße und einer neuen Tiefgarage auf vier Ebenen unter dem Thomas-Wimmer-Ring. Die von Architekt Bernhard Winkler geplante Rhythmisierung des Belags der 900 Meter langen Fußgängerzone ist leider nur noch partiell sichtbar. Zum einen wegen der vielen Menschen, zum anderen, weil ein Teil der Bepflasterung aus Sicherheitsgründen ersetzt wurde. Den Pflanztrögen kann das jedenfalls nicht passieren: Sie stehen ebenso wie die Lampen unter Denkmalschutz.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: