Altstadt:Die Gesichter der Guten und der Bösen

Babette Brühl hat sich mit mutigen Pinselstrichen den Mächtigen dieser Welt genähert. Sie zeigt sie nun im Kunstkabinett am Lenbachplatz in großformatigen Tusche-Porträts

Von Jutta Czeguhn, Altstadt

Noch hat Wladimir Putin seinen Platz in dieser UN-Vollversammlung nicht eingenommen. Er hält sich abseits von den anderen Staatschefs. Reserviert ist für ihn neben Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, vis-a-vis von Syriens Machthaber Baschar al-Assad, Angela Merkel und Barack Obama. In ihrer Mitte, wie ein kleines Zentralgestirn, der sanfte Ban Ki Moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen. "Es gibt keine Zufälle", sagt Babette Brühl, als man sie wenige Tage vor Eröffnung ihrer Ausstellung "Oberhäupter" im Künstlerhaus am Lenbachplatz besucht und ihr Tusche-Porträt von Russlands Präsidenten als einziges noch nicht hängt. Putin, dieser "Mann ohne Gesicht", wie eine Biografie über ihn betitelt ist, liegt immer noch als loses Blatt auf einem Tisch. In der Weltgemeinschaft an der Wand ist für ihn eine Lücke ausgespart.

Auf mehr als 100 großformatigen Tuschezeichnungen porträtiert Babette Brühl Oberhäupter der Länder, die zu den 193 Mitgliedern der Vereinten Nationen zählen. Wenig bis unbekannte Gesichter hängen da gleichrangig neben den bösen Buben der Politik wie Kim, Irans Ex-Präsident Ahmadinedschad, Mugabe oder eben Assad. An ihnen allen führt die Malerin vor, was in der UN-Menschenrechtscharta als unveräußerliches Recht fixiert ist: die angeborene Würde aller Mitglieder der Menschen-Gemeinschaft. "Die muss man jedem zugestehen, ob er nun gut oder böse ist", sagt die 53-Jährige. Aber natürlich hat auch sie im Laufe der dreieinhalb Jahre dauernden Arbeit an den Porträts die Frage beschäftigt: Gibt es so etwas wie eine "Physiognomie des Bösen"? Und noch drängender: Existiert er, der "Geist der Brüderlichkeit"?

Altstadt: Die Münchner Malerin Babette Brühl glaubt an die Ideale der UN-Menschenrechtscharta. Ob es die Staatschefs auch tun?

Die Münchner Malerin Babette Brühl glaubt an die Ideale der UN-Menschenrechtscharta. Ob es die Staatschefs auch tun?

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Mit ihrer Familie war Babette Brühl gerade in New York. Jeder, der schon mal das UN-Hauptquartier am East River besucht hat, glaubt dort etwas zu spüren von den Idealen, die einst zur Gründung der Weltorganisation führten. Die Halle der Generalversammlung, in der weltpolitisch große Reden gehalten wurden, erscheint anrührend winzig, viel kleiner, als man sie im TV wahrnimmt. Babette Brühl zoomt auch die mächtigen Mitglieder der Vereinten Nationen auf Normalmaß, auf ihr Menschsein zurück. Sie zeigt nahezu alle in Frontalansicht, einander buchstäblich auf Augenhöhe verbunden. Die Oberhäupter sind stumm und namenlos, jeglicher Embleme entkleidet, man sieht faltige Hälse, bei manchen die Andeutung bloßer Schultern. Schutzlos wirken die Staatsmänner und -frauen.

"Ich beginne immer mit dem rechten Auge eines Menschen", sagt Brühl, über Wladimir Putin gebeugt. Einem Fahrplan folgend, gehe es von dort zur Nase, die in die Architektur des Gesichtes führe, dann das zweite Auge, nur vage angelegt, sofort weiter zum Mund, die Mundwinkel lägen meistens in einer Linie mit der Pupille. Das sei bei Putin nicht anders als bei Mundwinkel-Ikone Angela Merkel. Babette Brühl gibt sehr viel auf Blicke. "Wenn man Menschen porträtiert, sieht man in den Augen, was sie reinlassen, am Mund, was sie durchkauen", sagt Brühl. Die Kanzlerin habe da offenbar sehr viel mit sich auszumachen.

Oberhäupter, Babette Brühl:, Künstlerhaus

Die Porträts zeigen viele Staatschefs.

(Foto: oh)

Merkel, diese uneitle Frau, habe sich ihr beim Malen lange entzogen. Auch bei Wladimir Putin sei die Kontaktaufnahme schwierig gewesen. Brühl hat Fotos von ihm studiert, seine Bewegungen, seine Art zu sprechen in Filmen analysiert. Doch nicht nur bei der Sphinx aus Russland ist es ihr so ergangen, auch das Porträt von Barack Obama ist hart erarbeitet.

Sieben Annäherungen sind entstanden, mal zeigt Brühl ihn als Collegeboy, als Smarty aus dem Werbeprospekt, dann als ehrgeizigen Jung-Senator, schließlich als leicht angegrauten Machtpolitiker. Mal scheinen seine afrikanischen Wurzeln mehr auf, dann wieder das Europäische der mütterlichen Linie. Eine gewisse Unentschiedenheit ist geblieben im Porträt des US-Präsidenten, der womöglich als "Zauderer im Weißen Haus" in die Geschichtsbücher eingehen wird.

So aufwendig und detailgenau die Recherchen auch waren - bei der malerischen Arbeit nähert sich Babette Brühl den Mächtigen mutig mit breitem Pinsel. Sie verwendet Tusche auf grobem, saugfähigen Zeichenpapier. Großzügig lässt sie die dunkle Farbe zerlaufen und ausfransen. "Das hilft, offen zu bleiben für Möglichkeiten, Zufälle." Sie hat bei der Arbeit herausgefunden, dass es im Gesicht eines Menschen keine Hinweise auf das Böse gibt. Der selbstherrlich gewordene Robert Mugabe etwa: Wirkt er nicht wie ein müder, trauriger Greis? Nur das Wissen um die Taten eines Menschen lassen den Betrachter Spuren der Grausamkeit entdecken.

Altstadt: So sieht das Porträt von Barack Obama aus.

So sieht das Porträt von Barack Obama aus.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Ob Europäer, Asiaten, Afrikaner, Orientalen, Indigene oder Ozeanier - die Künstlerin hat festgestellt, dass es im Aufbau zwischen Gesichtern der Menschen letztlich nur marginale Unterschiede gibt; was sie nicht davon abhält, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wie in jener Folge von Raumschiff Enterprise, die Babette Brühl eingefallen ist: Die Crew um Captain Kirk bekommt es mit zwei Kreaturen zu tun, die sich aus einem einzigen Grund bekriegen: Beim einen ist die linke Gesichtshälfte schwarz, beim anderen die rechte. Ansonsten sind sie völlig gleich. Doch der Hass wird ihren Heimat-Planeten zerstören. Als Kind der Sechzigerjahre ist Babette Brühl Fan der visionären Science-Fiction-Serie. Russen, Amerikaner, Japaner, Schwarze, Weiße, Vulkanier - auf einer gemeinsamen Mission. Geht doch, könnte gehen, vielleicht eines Tages.

Babette Brühl, "Oberhäupter", Kunstkabinett am Lenbachplatz 8, bis 10. Oktober, Eintritt frei. Anmeldung unter Telefon 599 184 14.

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