Aus seiner Wohnung kommt er selten heraus, seit einer Knieoperation vor ein paar Jahren kann er schlecht laufen. Freunde hat er nur wenige. Und seine drei Kinder reden seit der Scheidung von seiner Frau, die einem Rosenkrieg glich, nicht mehr mit ihm. Er weiß nicht einmal, wo sie sind. Die Einsamkeit macht ihn manchmal sehr traurig, sie ist vielleicht das Schlimmste für ihn. Er schaltet dann oft den alten Computer an und liest Nachrichten im Internet.
Einsamkeit und Armut im Alter: Die Probleme breiten sich immer weiter aus, auch auf gut bürgerliche Viertel wie etwa Schwabing. Charlotte Grohl, die ebenfalls anders heißt, sitzt mit Bärbel Röhner im Café Münchener Freiheit. Röhner hat im vergangenen Jahr in München den Verein gegen Altersarmut gegründet. Ehrenamtlich berät die 52-Jährige alte Menschen in Geldschwierigkeiten. "Die Altersarmut wird auch im reichen München immer schlimmer, da kann man nicht zuschauen, da muss man helfen", sagt Röhner, die von Beruf Designerin ist.
Charlotte Grohl wollte auf keinen Fall zu Hause in ihrem kleinen 18-Quadratmeter-Appartement in Schwabing besucht werden. "Da schäme ich mich", sagt die gebürtige Dortmunderin, die seit 20 Jahren in München lebt. Sie ist 73 Jahre alt, aber mit ihrer schlanken, sportlichen Figur, ihren kinnlangen grauen Haaren und dem roten Lippenstift wirkt sie jünger.
Dass sie im Alter in eine derart schwierige Lage geraten würde, hätte Grohl als junge Frau nicht gedacht. Sie hat sich einst zur Dolmetscherin ausbilden lassen und lange als Journalistin gearbeitet. "Aber wegen meiner drei Kinder habe ich zehn Jahre pausiert", erzählt sie. Danach hat sie wieder angefangen zu arbeiten, aber stets nur in Teilzeit. Privat vorsorgen konnte sie nie. Das Geld war immer knapp, vor allem als ihr Mann nach der Scheidung keinen Unterhalt zahlte. Als die Kinder groß waren, zog sie für den Job bei einer Zeitschrift für fünf Jahre nach Marbella, Spanien. Damals war das ein gelebter Traum. Heute ist es eine Versorgungslücke bei ihrer Rente.
75 Euro bleiben ihr nach den fixen Ausgaben im Monat zum Leben. In München viel zu wenig. Grohl jobbt nebenher in einem Callcenter, aber nur stundenweise. Ganz schön anstrengend sei der Job an der Telefonhotline. "So lange ich fit bin, geht das ja", sagt sie. Es soll sich kämpferisch anhören, doch in ihren Augen sieht man auch Verzweiflung.
Bärbel Röhner geht mit Charlotte Grohl noch einmal alle Möglichkeiten durch, wie sie zu etwas mehr Geld kommen kann. Was Zuschüsse angeht, ist schon alles ausgeschöpft. Das Einzige, was noch helfen kann, ist sparen.
"Wie hoch sind denn die wöchentlichen Ausgaben für Essen", fragt Röhner. "Etwa 50 Euro", lautet die Antwort. "Das ist eindeutig zu viel", sagt die Beraterin. "Aber ich kaufe ja schon im Discounter ein und nur das Billigste", entgegnet Grohl. Noch mehr sparen gehe nicht. "Doch, das geht. Bei der Münchner Tafel oder in den Alten- und Servicezentren kann man sehr billig essen", hält Röhner dagegen. "Ich bei einer Tafel essen? Auf gar keinen Fall! Das ist unter meiner Würde" - Grohl schüttelt energisch den Kopf. "Lieber esse ich nichts."
Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband kennt diese Problematik: Viele Bedürftige wollen nicht bei der Tafel essen, weil sie sich für ihre Armut schämen. "Aus Scham oder Unkenntnis verzichten sogar viele auf die ihnen zustehenden Sozialhilfeansprüche", sagt sie. Schätzungen des Münchner Armutsberichts zufolge haben mindestens 10.000 Münchner, die einen Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten, diesen nicht geltend gemacht. Sie schränken sich stark ein oder brauchen ihr letztes Erspartes auf, statt Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Arme Rentner sind noch dazu auch gesundheitlich benachteiligt. Die gesetzlichen Krankenkassen haben in den vergangenen Jahren ihre Leistungen reduziert. Kosten für eine Brille oder manche Medikamente werden nicht mehr übernommen. Und aus eigener Tasche zahlen geht oftmals nicht.
Weder Charlotte Grohl noch Udo Gerlach verfügen über Erspartes. Und wenn plötzlich der Kühlschrank kaputt geht? Oder eine andere Anschaffung nötig ist? Grohl zuckt mit den Schultern und sagt: "Ich bin eine Lebenskünstlerin, ich wurstel mich schon irgendwie durch." Auch Gerlach zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung, dann müsste es halt mal ohne Kühlschrank gehen."
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Weiterführende Informationen:
- Derzeit sucht die Münchner Tafel dringend: "Obst- und Gemüsespenden! Oder Geldspenden für den Zukauf zu Sonderkonditionen bei Landwirten und Großhändlern. Gerade an Vitaminen sparen unsere Gäste mit knapper Haushaltskasse."
Kontakt zur Münchner Tafel erhalten sie hier: www.muenchner-tafel.de, Münchner Tafel e.V. Grossmarkthalle Kontorhaus 1, Zimmer 226 Schäftlarnstr. 10 D-81371 München, Tel: 089-29 22 50 Fax: 089-29 14 81
- Wer Kontakt zum Verein gegen Altersarmut aufnehmen will, findet unter diesem Link weitere Infos: www.verein-gegen-altersarmut.de.
- Wer sich freiwillig engagieren will, kann sich hier informieren: www.paritaet-bayern.de