Altenpflege:Pfleger aus dem Ausland lindern den Notstand in Münchner Heimen

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Wenn die Philippinen in den Nachrichten vorkommen, sprechen Bewohner Clint Bangwa oft auf sein Heimatland an. (Foto: Hartmut Pöstges)
  • In München gibt es nicht genügend Pfleger, um die Betreuung von Patienten und Bewohnern im Krankenhaus und in Heimen sicherzustellen.
  • Fachkräfte aus dem Ausland helfen schon seit Langem dabei, die Versorgung aufrechtzuerhalten.
  • Zwar sind sie gut integriert, doch die strukturellen Probleme können sie auch nicht lösen.

Von Sven Loerzer

Als Clint Bangwa seine Ausbildung zum Krankenpfleger absolvierte, dachte er nicht daran, dass er später auswandern würde. Und schon gar nicht, dass er einmal in einem deutschen Altenheim arbeiten würde. Denn in seiner Heimat, den Philippinen, "hatte ich persönlich noch nie ein Altenheim gesehen". In der Hauptstadt Manila solle es "angeblich drei" geben, sagt der 31-Jährige. In München sind es 60.

Aber zwischen München und Manila liegen nicht nur 10 000 Kilometer, sondern auch in der Pflege Welten: Während auf den Philippinen weit mehr Pflegekräfte ausgebildet werden, als jemals Arbeit im Land finden können, fehlen in München wie in ganz Deutschland ausreichend Pflegekräfte, um alle offenen Stellen zu besetzen. In Kliniken und Heimen können Betten nicht belegt werden, weil die Versorgung von Patienten oder Bewohnern wegen des Personalmangels nicht sichergestellt werden kann.

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Um den Notstand zu lindern, suchen Träger wie die Caritas Pflegekräfte gezielt im Ausland. Mit der Einstellung von Mitarbeitern, die auf den Philippinen angeworben werden, hat Doris Schneider, Geschäftsführerin der 28 Caritas-Altenheime in der Erzdiözese München und Freising, schon seit Längerem Erfahrung. 45 Frauen und Männer sind derzeit im Einsatz, wenn alles gut geht, können in diesem Jahr bis zu 25 weitere dazu kommen. Im November vergangenen Jahres reiste Doris Schneider bereits zum dritten Mal auf die Philippinen, um im Rahmen des Programms "Triple Win" mit geeigneten Bewerbern zu sprechen.

Das Projekt der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kümmert sich seit 2013 um die Vorauswahl und Vorbereitung der Bewerber aus Ländern, in denen es genügend Pflegekräfte gibt. Davon profitieren die Herkunftsländer wie die Philippinen oder Bosnien-Herzegowina, Deutschland mit seinem Fachkräftemangel und letztendlich auch die Pflegekräfte, die sonst arbeitslos wären, ein dreifacher Gewinn, wie der Name deutlich machen will. Vergangenes Jahr kam mit dem Programm die 1000. Pflegekraft nach Deutschland - ins Caritas-Heim St. Nikolaus in München. Inzwischen sind bundesweit mehr als 1500 im Einsatz.

Doris Schneider könnte ihre Auswahl zwar auch via Skype treffen, aber sie zieht das direkte Gespräch vor - auch angesichts der Anzahl der auszuwählenden Bewerber. "Man gewinnt einen anderen Eindruck, wenn man den Menschen direkt vor sich hat." Und gerade auf den persönlichen Eindruck komme es an. "Eine gute Ausbildung und Fachlichkeit bringen alle mit." Ganz entscheidend dafür, ob die Stelle auch längerfristig besetzt bleibe, sei die Frage: "Packt es die Person, hier Fuß zu fassen?" Doris Schneider setzt deshalb vor allem auf Alleinstehende, auch wenn viele bereit wären, Mann und Kinder zu Hause zurückzulassen. Denn gerade in München sei die Vorstellung unrealistisch, als Pflegekraft allein eine Wohnung finanzieren zu können, in die der Partner und zwei Kinder nachziehen könnten.

Alleinstehende bleiben eher

Clint Bangwa war einer der ersten, den die Caritas über Triple Win geholt hat, er kam im August 2015 und arbeitet heute als stellvertretender Wohnbereichsleiter im Altenheim St. Hedwig in Geretsried, einem Haus mit 99 Plätzen. Bangwa ist ledig, er hat zuvor schon in England gearbeitet. Viele Filipinos sind "hart im Nehmen", sagt Doris Schneider, als Wanderarbeiter ins Ausland zu gehen, sichert nicht nur ihnen den Lebensunterhalt. Etwa jeder vierte Haushalt auf den Philippinen soll von Überweisungen aus dem Ausland leben, rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts resultieren daraus.

Sein Erspartes und geliehenes Geld vom Bruder verwendete Bangwa, um die Vorbereitungszeit zu überbrücken. Noch auf den Philippinen absolvierte er den von Triple Win vermittelten Deutschkurs - ein halbes Jahr lang sechs Stunden täglich. Um die Anerkennung seines Berufsabschlusses zu erhalten, musste er einen weiteren Kurs in Deutschland absolvieren. "Die Sprache zügig zu lernen, das ist das A und O", sagt Schneider. Allein mit einem Zertifikat sei es deshalb auch nicht getan: "Wir brauchen ein Niveau, auf dem man sich unterhalten kann." Bangwa hatte damit keine Probleme, aber nicht jedem fällt das so leicht.

Auch der Arbeitsalltag im Pflegeheim bedeutet für die neuen Kräfte, die bis zu ihrer Anerkennung nur als Pflegehelfer eingesetzt werden können, eine große Umstellung. Mit ihrem Studium haben sie eine "medizinlastige" Ausbildung erhalten, erklärt Doris Schneider. "Der Einsatz im Krankenhaus auf den Philippinen unterscheidet sich ganz stark vom Einsatz hier." In den dortigen Kliniken "machen die Pflegekräfte keine Grundpflege", solche Aufgaben übernehmen meist Angehörige.

In den deutschen Pflegeheimen dagegen gehe es um Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Erhalt von Selbständigkeit. "Das heißt für uns, es braucht erst einmal viel Anleitung, mit einer Woche Anlernen ist es nicht getan." Zur Arbeit hier gehören auch viele Dokumentationsaufgaben. Neue Mitarbeiter seien es nicht gewohnt, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, sie müssten erst lernen, dass dies durchaus erwünscht und sehr wichtig sei.

Clint Bangwa macht da oft den Mittler für die Neuen, er kennt die Probleme. "In den Altenheimen arbeiten wir mehr als Betreuer, da gibt es nicht so viele medizinische Aufgaben wie in der Klinik." Letztlich aber biete das Heim Vorteile: "Wir haben nicht dauernd neue Patienten, sondern kennen die Bewohner und ihren Gesundheitszustand." Schwierig sei es am Anfang wegen der Sprache, gerade weil sie wichtig ist, um eine Beziehung aufzubauen zu den Bewohnern. Auch sonst ist die Umstellung groß, etwa beim Essen oder beim Wetter, an das sich Clint Bangwa erst gewöhnen musste. Glücklicherweise, sagt er, sei er im Sommer angekommen.

Ein großes Problem für den Arbeitgeber wie auch für die Pflegekräfte seien die "wahnsinnig langen Bearbeitungszeiten" bei der Bezirksregierung für die Anerkennung als Fachkraft, kritisiert Schneider. Zudem werde jetzt, anders als früher, eine Nachprüfung verlangt. Im Schnitt dauert es neun Monate, bis die Neuen als Pflegefachkraft beschäftigt werden können und den entsprechenden Tariflohn erhalten.

In den Häusern der Caritas kommen die Mitarbeiter von den Philippinen sehr gut an, "weil ihre Haltung superpositiv ist", sagt Schneider. "Von ihrem kulturellen Hintergrund bringen sie deutlich mehr Respekt und Achtung vor dem Alter mit." Sie sind überwiegend katholisch, das schaffe Vertrautheit und erleichtere die Integration beim katholischen Heimträger. Auch weiterhin werde wohl kein Weg daran vorbeiführen, Personal im Ausland zu rekrutieren, es sei eine Sisyphusarbeit, die Löcher immer wieder zu stopfen, um die Qualität hochzuhalten.

Um das Problem des Pflegenotstands in Deutschland zu lösen, sei nicht unbedingt die Bezahlung das Thema. "Wir brauchen gesellschaftliche Anerkennung für die Pflege und bessere Rahmenbedingungen." Das heißt vor allem: mehr Personal - nicht nur Pflegekräfte, denn auch mehr Hauswirtschaftspersonal schaffe Entlastung. Die Absicht der neuen Bundesregierung, zusätzlich 8000 Pflegekräfte bundesweit einzustellen, bringe da nicht viel - im Schnitt pro Heim gerade mal 0,6 Stellen zusätzlich. "Wir nehmen alles, was wir kriegen, aber das ist nicht der große Wurf."

Hildegard Weinhold, Pflegedienstleiterin in St. Hedwig, schafft es nun schon seit sieben Jahren, ohne Zeitarbeitskräfte auszukommen. Die Fluktuation ist - anders als in vielen Münchner Häusern - gering. Die meisten Mitarbeiter wohnen im unmittelbaren Umkreis und identifizieren sich mit dem Haus. Umso mehr schmerzt es sie, dass sie gerade zwei der neun Pflegekräfte von den Philippinen an das Starnberger Krankenhaus verloren hat. Auf Dauer wird wohl auch Clint Bangwa nicht bleiben. "Als Kind habe ich mir immer gewünscht, Pfleger zu werden."

Aber vielleicht studiere er noch einmal "etwas anderes, mit Umwelt vielleicht". Vorerst spart er erst einmal, denn er wohnt immer noch sehr günstig in einem Zimmer im Nebengebäude des Heims. Dass er es auf sich genommen hat, Deutsch zu lernen, statt wieder in England zu arbeiten, hat seinen Grund. In England seien die Lebenshaltungskosten und vor allem die Miete zu hoch: "Da bleibt zu wenig Geld übrig."

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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