Süddeutsche Zeitung

Altenpflege:"Ich will alles, nur nicht in ein Altenheim"

Ernö Cserhalmi ist mit 80 Jahren der wohl älteste Altenpfleger-Azubi in München. Schwierige Situationen meistert er vor allem mit Humor.

Von Philipp Crone

Ernö Cserhalmi schüttelt den Kopf. Opa nennt ihn hier keiner. Dabei ist der 80-jährige Ungar im dritten Stock der Heimerer-Altenpflege-Schule mit Abstand der Älteste. In mehreren Klassenzimmern sitzen Teenager und Twens in lässigen Klamotten und hören den Lehrern zu, wie diese über den Beruf des Altenpflegers sprechen. Und Cserhalmi steht im Gang, spricht mit Schulleiterin Aurora Dongoroz und macht eher den Eindruck, als ob er gleich das Wahlfach Kampfsport aufrufen würde. Nicht wie einer, den die angehenden Pfleger demnächst pflegen. Niemand nennt Ernö Cserhalmi Opa oder alter Mann, weil die jungen Menschen viel zu sehr damit beschäftigt sind, von dieser Erscheinung beeindruckt zu sein.

Cserhalmi hat eine Glatze, eine kompakte Statur, er könnte in einem Pixar-Film über vermenschlichte Lebensmittel den sympathisch liebenswerten Kraftkloß aus Budapest spielen. Und wenn dieser Mann, der vor lauter Lebensdrang beim Gehen leicht hin und her schwankt, darüber spricht, warum er im statistisch oft schon pflegebedürftigen Alter eine Ausbildung zum Altenpfleger macht, dann steht am Ende die Erkenntnis: logisch.

Cserhalmi wird vor 80 Jahren in Budapest geboren, flüchtet im Jahr 1956 mit 19 Jahren nach dem humanistischen Abitur vor den Unruhen und dem Aufstand aus seiner Heimat. Er hat einen Flüchtlingsausweis für Deutschland, hier wird aber sein Abitur nicht anerkannt, deshalb macht er noch einmal eineinhalb Jahre in Innsbruck Station, um die Matura zu machen. Cserhalmi sagt mit Verschwörerflüstern: "Die Tiroler sind eigen, wie die Bayern." Dann grinst er. Er hat schon einmal eine sehr wichtige Eigenschaft für den Beruf: Humor. Sein Stammhaus liegt in Markt Indersdorf, Senterra, "da nennen mich alle nur Ernst, Ernö ist doch auch ein depperter Name, zumindest im bayerischen Kongo von Markt Indersdorf".

Cserhalmi kam nach der Matura "ohne einen Cent" nach Deutschland, belegte einen Kurs für Bautechniker, startete dann noch eine Fernausbildung und arbeitete. Als Polier oder Hilfspolier auf Baustellen, immer zuständig für Abrechnungen, Bestellungen, Organisation, Planung.

Er lernte seine Frau kennen, auch eine Ungarin. "Wobei: Die hat eher mich kennengelernt", auf einer seiner vielen Reisen. Sie waren 30 Jahre zusammen, hatten keine Kinder. Als er in Rente war, "habe ich dann bei meiner Frau mitgearbeitet". Sie war Pflegerin und hat ihn oft mitgenommen. Der Mann mit der Glatze und der runden Figur wippelt mit den Füßen, mit 80, da will man gar nicht wissen, wie viel Bewegung und Programm er mit 65 gebraucht hat.

Cserhalmi sagte sich, wenn er bei seiner Frau dabei war: Das kann ich auch. Und seine Freunde fragten ihn: Warum machst du das dann nicht? Weil ich schon alt bin, antwortete er. Aber eine einjährige Ausbildung "zum Pflegehelfer" machte er schon.

Vor fünf Jahren starb seine Frau. Cserhalmi arbeitete nunmehr bei der Zeitarbeitsfirma, bei der seine Frau zuvor angestellt war. Und dann wurde ihm vom Pflegezentrum Senterra Markt Indersdorf angeboten, die richtige Ausbildung zu machen. Er kam zur Heimerer-Schule, und dort hieß es: Interessant, dass ein älterer Mann das noch lernen will. Cserhalmi redet so schnell, als ob er dringend auf die Toilette müsste. Er kam also vor zwei Jahren in das Schulgebäude in der Bayerstraße 73, und einer der Lehrer sagte zu ihm: Das geht. "Da war ich total glücklich."Aber der Lehrer sagte auch noch: "Das ist kein Spiel, kein Spaziergang." Und Cserhalmi sagte: "Mit eurer und Gottes Hilfe kann ich das." Er war schon immer gläubig, und nach dem Tod seiner Frau sind "viele Dinge passiert, die ich mir nur mit Gottes Hilfe erklären kann." Der alte Mann ging also wieder in die Schule. In Klassen mit Schülern, die zum Teil viel, viel jünger waren als er, mit Menschen aus verschiedensten Ländern, mit verschiedenen Kulturen und Glaubensrichtungen.

Seine Freunde haben zu ihm gesagt: Spinnst du? Den Alten den Hintern abputzen? Und er sagt: "Es stimmt: Man muss dazu menschlich, moralisch und psychisch fähig sein." Denn es sei schon belastend, was man da miterlebe zum Teil. Einmal habe ihn zum Beispiel abends um halb zehn eine Frau gerufen. "Ich bin runter, Zimmer 29, und habe schon auf dem Gang gerochen, was passiert ist. Die Hose war voll." Verdammt, habe er sich kurz gedacht. Und dann: Ich habe das alles gelernt, ich kenne die Techniken, ich muss es nur machen. Er hat die Windel der Frau, die einem großen Handtuch gleicht, mit schnellen Handgriffen gewechselt. "Da musst du dich selbst retten und schnell sein." Retten, das bedeutet, nichts abzubekommen. Er entfernte die Windel, machte die Frau sauber, wusch sie, cremte sie ein und legte eine neue Windel an. "Da freut man sich." Und die Frau habe ihm die Hand geküsst, so dankbar war sie. "Schlafen Sie gut und träumen Sie etwas Schönes", sagte er und verabschiedete sich.

Auch als 80 Jahre alter Altenpfleger kann man noch viel lernen

Und sein Alter? "Ist oft ein Vorteil." Die Menschen, mit denen er arbeite, genierten sich viel weniger bei einem Mann, der auch schon alt ist. Und die Arbeit? "Es ist elementar, dass ich mich gut bewegen kann", sagt er. Jeden Tag macht er Übungen, trainiert, dehnt seine Knie, "damit die nicht noch steifer werden". Denn die Schichten sind hart. Cserhalmi steht jeden Morgen um 4.15 Uhr auf, fährt eine Stunde mit dem Auto aus Neuperlach nach Markt Indersdorf und arbeitet bis 15 Uhr, dann fährt er eine Stunde zurück. "Da bin ich dann schon kaputt", sagt er. Man könnte darin einen Witz vermuten, aber wenn es um sein Alter geht, versteht Cserhalmi keinen Spaß. Daheim kümmert er sich um die Wohnung, trifft abends Freunde, die meist jünger sind als er, und geht jede Woche einmal zum Tanzen, "alles".

Irgendwann ist er dann aber vielleicht doch einmal auf der anderen Seite. "Ich will alles, nur nicht in ein Altenheim", sagt Cserhalmi. Und wenn, da muss er lächeln, dann vielleicht zu einem Pfleger wie ihm selbst. "Du musst immer positiv sein, immer, musst jeden Tag von Neuem ausstrahlen, dass du dem Mensch helfen willst." Leute, die nicht aufstehen wollen, dazu bringen, dass sie aufstehen, damit der Kreislauf in Schwung kommt, sie ihre Medikamente nehmen können und so verhindert wird, dass sie noch weitere Krankheiten und Gebrechen bekommen. "Zeit und Liebe" bräuchten alte Menschen, sagt Cserhalmi. Es klingt so einfach, und wenn man dem fröhlichen Kraftkloß aus Budapest dabei in die Augen sieht, dann steht da einer, der es genau so meint, wie er es sagt. Das ist schon ein riesiger Vorteil in dem Beruf.

"Ich bereite mich darauf vor, auch irgendwann nicht mehr zu arbeiten." Cserhalmi will dann alles verschenken, auch kein Tennis mehr spielen, aber "gerne lange zu Hause leben" und dann irgendwann bitte einfach einschlafen. Aber: "Ich kann nicht selbst bestimmen, wann ich mich abstelle." Erst einmal beendet er jetzt die Ausbildung. Und danach? "Ja, das wissen Sie doch: Da geht das große Lernen überhaupt erst los."

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Quelle:
SZ vom 17.10.2018/bhi
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