Eigentlich ist der Gruß ja nur eine Floskel, aber oft sind es eben gerade auch diese Kleinigkeiten, die über den ersten Eindruck entscheiden. "Dobro došli" steht auf dem Teppich am Haupteingang zum Münchenstift-Haus Heilig Geist in Neuhausen, unter "Willkommen" auf Deutsch und in anderen Sprachen. Cvjetko Prodanovic, 27, aus Bosnien, der gerade das dritte Jahr seiner Ausbildung zur Pflegefachkraft absolviert, fiel die Begrüßung in seiner Muttersprache sofort auf. "Ich kann den Arbeitsplatz nur empfehlen", sagt er.
Die Begrüßungsformel freilich ist dabei eigentlich nur eines der äußeren Kennzeichen für den Wandel, den der städtische Heimträger vor fünf Jahren in drei seiner 13 Häuser begonnen hat. Denn die interkulturelle Öffnung bedeutet für Beschäftigte und Bewohner viel mehr als sich auf den ersten Blick erkennen lässt: Nicht nur Tageszeitungen in anderen Sprachen, TV-Empfang aus anderen Ländern oder ein internationales Speisen- und Kulturangebot. Die neue Vielfalt hat mehr Farbe ins Leben gebracht, hat aus einem Nebeneinander ein Miteinander entstehen lassen.
Altenpflege:"Ich will alles, nur nicht in ein Altenheim"
Ernö Cserhalmi ist mit 80 Jahren der wohl älteste Altenpfleger-Azubi in München. Schwierige Situationen meistert er vor allem mit Humor.
Leicht gefallen sei es ihr nicht, ihre schöne Wohnung aufzugeben und in ein Einzelzimmer zu ziehen, sagt Erika Mader, 81. "Aber ich habe im zweiten Stock gewohnt, hatte zu wenig Kraft und bin da nicht mehr raufgekommen." Vor einem knappen Jahr ist sie krank und stark abgemagert ins Pflegeheim gezogen, "ich habe es nicht bereut, es geht mir sehr gut". Sie legt Wert auf gepflegten Schick, näht noch selber und rettet schon mal ein von einem Kind schwer gebeuteltes Plüschtier, das ihr eine Pflegekraft zur Reparatur bringt.
"Hier wird einem viel geboten", sagt Erika Mader und schwärmt vom Urlaub, den im letzten Jahr zehn Bewohner mit fünf Mitarbeitern eine Woche lang in Altötting verbrachten. Klara Scherer, 90, macht auch bei vielem mit: Bei der internationalen Modenschau trug sie kroatische Tracht. Turnen, Yoga, Trommeln, Kochen, afrikanischer Abend, spanisches Fest, italienischer Abend - "man hat genug zu tun, dass man um die Kurve kommt". Ja, bestätigt Ilse Baumgartl, 92, die bei der Modenschau ihre frühere Heimat Rumänien vertrat, sie sei überrascht gewesen, "was uns alles geboten wird".
Willkommene Abwechslung für die einen, ein Stückchen Heimat für die anderen: Mehr als siebzig Prozent der Mitarbeiter im Haus Heilig Geist haben Migrationshintergrund, sagt die Ausbildungsbeauftragte Sandy Zimmermann. Vor fünf Jahren waren dort erst knapp fünf Prozent der Bewohner Migranten, heute sind es 16 Prozent. Und sie fühlen sich wohl, weil ihnen Verbindungen zur alten Heimat bleiben. Der Bewohner aus Italien, dem Land, aus dem einst die "Gastarbeiter" kamen, die jetzt in München alt werden, freut sich, dass er italienische TV-Sender empfangen kann und auf die italienische Tageszeitung nicht verzichten muss. Und dass er zwischendurch auch mal mit einem Mitarbeiter in seiner Muttersprache reden kann.
"Unsere Mitarbeiter kommen aus mehr als 70 Ländern", sagt Münchenstift-Geschäftsführer Siegfried Benker. Im Pflegealltag hat das Vorteile, wie Jeannette Lucas festgestellt hat: Eine kroatische Bewohnerin, die infolge von Demenz sich nur noch in ihrer Muttersprache äußern kann, findet dadurch schnell Gehör. Gerade in Krisen habe sich dieser "hauseigene Dolmetscherdienst" bewährt, erklärt die Münchenstift-Aufsichtsratsvorsitzende, Bürgermeisterin Christine Strobl. Bewohner freuen sich zudem, wenn sie zum Geburtstag eine Karte oder ein kleines Ständchen in der Muttersprache von Mitarbeitern erhalten, erzählt Sanel Kadric.
Andererseits setzt die Vielfalt unter Bewohnern und Mitarbeitern auch voraus, dass man mehr voneinander weiß. Kultursensible Pflege bedeutet, dass man die Grundbegriffe verschiedener Kulturen kennt, wie etwa das Wissen über religiöse Rituale und Symbole oder über Sterberituale. Neue Mitarbeiter erhalten deshalb eine Einführung in die Geschichte der Stadt bei einer Stadtrundfahrt und einem Besuch im NS-Dokuzentrum.
Interkulturelle Öffnung bedeutet eine doppelte Aufgabe. Zum einen muss für die Bewohner gesorgt werden: Liegt der Ausländeranteil bei den 65- bis 74-Jährigen noch bei 23,1 Prozent, beträgt er bei den 75- bis 84-Jährigen 11,7 Prozent. "Zug um Zug werden also mehr in das Alter kommen, in dem sie Pflege benötigen", sagt Strobl. "Deshalb müssen wir die Häuser so gestalten, dass sie sich wohlfühlen." Die Ansätze in den drei Häusern sind unterschiedlich, um Vielfalt zu schaffen. Heilig Geist setzt auf mediterranes Flair, Farben und Bilder erinnern an die ersten Reisen in den Süden.
Das Hans-Sieber-Haus in Allach-Untermenzing will ältere Menschen muslimischen Glaubens mit einem Wohnbereich, der einen Gebetsraum und eine Teestube bietet, ansprechen. Auf Wunsch gibt es dort Halal-Kost. Im Haus an der Rümannstraße in Schwabing wurde das kultursensible Einarbeitungskonzept entwickelt, von dem alle Mitarbeiter profitieren - und damit auch die Bewohner.
Auch in den anderen Münchenstift-Häusern soll deshalb nach und nach die interkulturelle Öffnung vollzogen werden. Denn manchmal kann etwas, was für den einen eine unbedeutende Kleinigkeit zu sein scheint, für den anderen große Tragweite haben. Als Fall von Gewalt in der Pflege war Benker ein Vorfall gemeldet worden, bei dem ein Bewohner aus Afghanistan aus dem Rollstuhl gerutscht war. Der Mitarbeiter setzte ihn zurück in den Rollstuhl und legte ihm die Schuhe, die ausgezogen daneben standen, mit der Sohle nach oben auf den Schoß. Der Bewohner schrie daraufhin - wie sich später herausstellte, weil Schuhsohlen, die einem vor das Gesicht gehalten werden, in seiner Kultur als schwere Missachtung gelten. Waren anfangs manche deutsche Bewohner noch skeptisch, was ihnen die interkulturelle Öffnung bringt, hat sich diese Haltung gewandelt.
"Die Bewohner und Angehörigen haben für sich realisiert, dass ihnen nichts weggenommen wird", erklärt Thomas Ziller, Hausleiter von Heilig Geist. Stattdessen wissen fast alle die größere Vielfalt zu schätzen. Sie habe sich "noch nicht ganz eingelebt", sagt Albina Karl, 83. Aber sie sei auch erst sechs Wochen im Haus. Klara Scherer macht ihr Mut, sie empfindet es als ein "Zuhause", lobt den Zusammenhalt. Auch Erika Mader schätzt die Atmosphäre. Und preist den Service: "Man wird bedient, wie in einem Hotel. Was will man mehr?"