Süddeutsche Zeitung

Altenheim:"Also ich möchte mal nicht von einem Roboter gepflegt werden"

Werden in 50 Jahren menschenähnliche Androiden Alte und Kranke versorgen? Für die meisten Pfleger ist das unvorstellbar. Trotzdem wird Technologie künftig Heime verändern.

Von Andreas Schubert

Irgendwie ist Paro schon süß. Paro ist der Name einer Roboter-Robbe, die seit einigen Jahren in Japan gebaut wird und die bei demenzkranken Menschen Gefühle wecken soll. Auch in deutschen Altenheimen wird sie bereits eingesetzt. Dabei ist Paro ein verhältnismäßig primitives Kuscheltier, wer sich ein bisschen mit moderner Robotik beschäftigt, wird nicht daran zweifeln, dass auch in Pflegeheimen oder Kliniken Maschinen einen Teil der Arbeit übernehmen könnten.

Zukunftsmusik? Werden Roboter in 20, 30 Jahren in der Pflege eingesetzt? Werden in 50 Jahren menschenähnliche Androiden die Einkäufe für daheim lebende Kranke übernehmen? Werden Maschinen Gefühle zeigen, wie in den Science-Fiction-Filmen "Blade Runner" oder "I, Robot"?

Nun, die Forschung ist schon ziemlich weit. Prothesen werden immer ausgefeilter und sensibler, es gibt Gehhilfen, die wie ein externes Skelett Menschen mit einer Behinderung wieder mobil machen. Videos aus Forschungseinrichtungen wie dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum zeigen, dass von Chirurgen gesteuerte Robotertechnik bald in den Operationssaal Einzug halten könnte. Auch die Visionen früherer Science-Fiction-Autoren nähern sich immer weiter der Realität. Maschinen können sich schon heute in bestimmten Situationen wie Menschen verhalten, etwa indem sie Gesichter erkennen und auf Berührungen reagieren.

In Japan werden Pflege-Roboter schon lange getestet

In Japan wird der Einsatz von Robotern ernsthaft erprobt, etwa um Pflegebedürftige aus dem Bett zu heben. Die Maschine, die das kann, hat ein süßes Bärchengesicht. Dass Roboter schon in ein paar Jahren in Heimen zum Einsatz kommen können, davon ist man beim US-amerikanischen Unternehmen Hanson Robotics überzeugt. Dort stellen sie Maschinen her, die Menschen täuschend ähnlich sehen und sowohl Gefühle simulieren als auch menschliche Stimmungen erkennen sollen. Realistischer, da erkennbar eine Maschine, ist da schon der Care-O-bot des Fraunhofer Instituts. Der kann Personal unterstützen, etwa indem er selbständig Material von Zimmer zu Zimmer transportiert.

Sulemann Ghafoori und Dzenan Ramic sind skeptisch, was solche Entwicklungen betrifft. Sie absolvieren gerade eine Ausbildung zum Altenpfleger bei Münchenstift. Dass technische Hilfe in der Pflege das Personal unterstützen kann, wäre aus ihrer Sicht zwar wünschenswert. Aber Maschinen sind Maschinen, da sind sie sich einig. "Also ich möchte mal nicht von einem Roboter gepflegt werden", sagt Sulemann. Er ist gerade einmal 17 Jahre alt, also vom Alter der Heimbewohner, um die er sich bei Münchenstift kümmert, weit entfernt. Echter menschlicher Kontakt wird seiner Meinung nach - Forschung hin oder her - niemals in Heimen oder Krankenhäusern zu ersetzen sein.

Die Roboter sind auch eine Antwort auf den Fachkräftemangel

Dieser Kontakt ist auch der Grund, warum sich Sulemann und sein 21-jähriger Kollege Dzenan für diesen Beruf entschieden haben. Sie geben den Bewohnern Wärme - und bekommen auch welche dafür zurück. Dass sich Forscher aber überhaupt so viele Gedanken machen, liegt nicht nur an ihrem Forschertrieb, sondern unter anderem auch daran, dass es traditionell schwer ist, für die Pflege überhaupt Personal zu bekommen. Und weil die Menschen immer älter werden, wird es auch immer mehr Menschen geben, die auf Pflege angewiesen sind.

Japan ist weit weg. Und an Roboter in der Pflege mag Siegfried Benker trotz der demografischen Entwicklung nicht denken. "Ein schwieriges Thema", sagt der Geschäftsführer der Münchenstift GmbH. Als solcher weiß er, dass der Markt an Pflegefachkräften leergefegt ist. Auch Benker betont, dass alles, was menschliche Gefühle und Zuwendung erfordert, nicht von Maschinen zu leisten ist.

Technische Hilfen, wie es sie teils schon heute gibt, wie Sensormatten vor den Seniorenbetten, die einen Sturz melden, sind auch aus seiner Sicht zu begrüßen. Auch bessere Hebehilfen, modernere technische Unterstützung beim Baden oder beim Aufstehen, kann er sich vorstellen. "Aber einem demenziell beeinträchtigten Menschen das Bild eines Menschen vorzugaukeln - das ist Betrug am Menschen", sagt er. "Ich weiß auch nicht, welche Ängste entstehen, wenn überall seltsame Roboterwesen herumlaufen."

Wenn Benker von der Zukunft spricht, denkt er vornehmlich an die Menschen. Zu breit ist das Thema, als dass es sich auf die Debatte um maschinelle Hilfe eingrenzen ließe. Münchenstift setzt dagegen auf Ausbildung. 500 bis 700 Bewerbungen gehen bei dem städtischen Tochterunternehmen pro Jahr ein. 90 Prozent der Bewerber haben einen Migrationshintergrund. Für sie organisiert das Unternehmen Sprach- und Integrationskurse, um den Bewerbern den kulturellen Hintergrund der Heimbewohner nahezubringen. "Interkulturelle Öffnung der Altenpflege" nennt Benker das. "Ohne Zuwanderung wäre Pflege nicht mehr darstellbar", sagt er.

Die Pflegeheime der Zukunft sind digital

Qua Amt beschäftigt sich der frühere Grünen-Stadtrat vor allem mit der Situation in den Heimen. Und die wird besser, wenn auch das Personal zufriedener ist. So zahlt Münchenstift von 2017 an Berufseinsteigern höhere Gehälter, bietet Gratis-Kaffee an und hat die Aufenthaltsräume neu gestaltet. Arbeitskräfte halten, statt sie nach der Ausbildung abwandern zu lassen, ist das neue Prinzip, was unter anderem beim Konkurrenten Arbeiterwohlfahrt nicht so gut ankam. Den Bewohnern soll es in modern gestalteten Heimen besser gehen, in denen die Stationen offener sind und die sich auch zum jeweiligen Viertel hin öffnen. "Pflegeheime der Zukunft sind Quartiershäuser", sagt Benker.

Auch die Organisation der Pflege könnte sich in Zukunft verändern, um Abläufe zu optimieren. Die technische Ausstattung wird sich natürlich ebenfalls ändern. In zehn bis 15 Jahren werden alle Häuser von Münchenstift digitalisiert sein, sagt Benker. Dokumentationen werden so schneller, die Bewohner können Wlan nutzen. Dieser Trend ist jetzt schon bemerkbar, und die Generation der heute 30-Jährigen wird im hohen Alter erst recht nicht auf Smartphone und Tablet verzichten wollen - sofern diese Technologie dann nicht schon von etwas anderem abgelöst wurde.

Was es in seinen Häusern wohl nicht geben wird, sind riesige Bildschirme, die etwa eine Berglandschaft vorgaukeln. Ebenso wenig werde man demenzkranken Menschen Virtual-Reality-Brillen aufsetzen, um ihnen einen Waldspaziergang oder ähnliches vorzutäuschen. Es gibt Heime, die so etwas schon ausprobieren, Benker besucht regelmäßig andere Einrichtungen, auch im Ausland. Wenn Bewohner allerdings freiwillig mit der VR-Brille der Realität entfliehen wollen, dann sei nichts dagegen einzuwenden.

Für Sulemann und Dzenan wäre es auch "Verarsche", alten Menschen etwas vorzuspielen. Man finde immer zwischendurch Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen, mal einen Kaffee zu trinken und dabei zu ratschen. Beide jungen Männer blicken voller Optimismus in die Zukunft. Dzenan etwa ist davon überzeugt, dass es auch künftigen Generationen in München gut gehen werde, irgendwann will auch er eine Familie gründen.

"Ich werde schon mal als Arschausputzer beschimpft"

Was den Job angeht, haben beide ebenfalls keine Ängste. Es sei ein Beruf mit Zukunft. Als sie das sagen, merkt man, dass ihnen der Job, den sie über das Freiwillige Soziale Jahr kennengelernt haben, Spaß macht. "Was ich aber nicht verstehe, ist, dass die Altenpflege so ein schlechtes Image hat", sagt Sulemann. "Ich werde schon mal als Arschausputzer beschimpft", klagt er. "Aber ich helfe Menschen, warum versteht man das nicht einfach?"

Es könnte gut sein, dass sich Sulemann und Dzenan so etwas irgendwann nicht mehr anhören müssen und der Beruf des Altenpflegers alleine schon wegen des Equipments, mit dem sie vielleicht mal arbeiten werden, als cool gilt. "Es wäre schon gut, wenn ein Roboter das Bett macht, während ich jemanden im Bad wasche", sagt Sulemann. Nun, angesichts des jetzigen Standes der Forschung ist das gar nicht mal so unwahrscheinlich.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2016/eca
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