Süddeutsche Zeitung

Stadtplanung:Wie viel Wachstum verkraftet München?

Eine neue Wirtschaftsinitiative will sich in die Debatte um die Zukunft der Stadt einmischen. Bürgerinnen und Bürger sollen zu Wort kommen, aber das Ziel ist klar: mehr Platz für Gewerbe.

Von Catherine Hoffmann

Es gibt ein unterschwelliges Unbehagen gegen den Wandel, der die Stadt schon ergriffen hat und der ihr noch bevorsteht: München wächst, schneller als vielen lieb ist. Was ist die richtige Antwort auf den Druck, der durch Zuzug von Unternehmen und Menschen entsteht? Bei der Stadtplanung wollen alle mitreden, Anwohnerinnen, Immobilienbesitzer, Parteien, Vereine, Investoren - und neuerdings auch ein Zusammenschluss von rund 100 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, der sich "Allianz für München" nennt.

Ziel der Vereinigung ist es, den negativen Stimmen zum Wachstum eine positive entgegenzusetzen. "Fortschritts- und Wachstumskritik prägen die Diskussion über die Entwicklung Münchens", sagt Daniel Schreyer, Sprecher der neuen Allianz. Dort wünscht man sich, dass "München auch in Zukunft eine weltoffene und innovative Stadt bleibt, in der sich Unternehmen gerne ansiedeln, gründen und erweitern".

Denn die Ansiedelung neuer Firmen sei entscheidend für den Wohlstand der Stadt, für Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen. Ohne die Ausweisung neuer Gewerbeflächen sei dies nicht zu schaffen. Schreyer ist Geschäftsführer von Hendricks & Schwartz, einer Lobby-Firma für die Immobilienbranche, deren Geschäft Baurechtschaffung, Genehmigungsmanagement und Akzeptanzkommunikation ist, wie es auf der Internetseite heißt.

Hinter der Allianz stecken Persönlichkeiten der Münchner Wirtschaft wie Christian Greiner, Vorstandsvorsitzender der Ludwig Beck AG, Clarissa Käfer, Aufsichtsratsvorsitzende der Käfer AG, Melanie Hammer, Geschäftsführerin der BHB Bauunternehmung, und Julian Rautenberg, Bankdirektor bei Donner & Reuschel. Rautenberg erinnert an die Aufbruchstimmung, die vor 50 Jahren zu den Olympischen Spielen in München herrschte. "Damals hatte man die Kraft, die Stadt in die neue Zeit zu bringen, mit U-Bahn-Bau und einem architektonisch mutigen Olympiagelände", sagt der Banker. "Viele fürchteten damals, dass München seinen Charakter verlieren würde." Heute würden sie sich über den Mut von damals freuen.

Doch nicht alles, was einst als modern galt, war gut. Benjamin David erinnert in der Pressekonferenz, die er als Gast besucht, an das letzte Mal, als der Stadtrat München radikal umbauen wollte, an die Pläne für die Olympischen Spiele 1972. Damals propagierte man die Idee der autogerechten Stadt, die auch unter den Bürgern viele Anhänger hatte. "Sie wollten jede Menge Bäume entlang der Isar fällen, zum Glück gab es das Münchner Bauform, fünf junge Architekten, die haben auf all diese Bäume weiße Grabkreuze gemalt - und das Projekt war gestorben." Der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel verstand, dass dieser vermeintliche Fortschrittsweg ein Irrweg war.

Nun sollen viele Diskussionsrunden zum Thema Fortschritt stattfinden

Genau um solche Debatten geht es der "Allianz für München". In einem ersten Schritt will sie den Dialog "Werkstatt München" initiieren. Los geht es am 27. September in der Hochschule für Fernsehen und Film mit der Frage: Was bedeutet Fortschritt für München?

In den kommenden Monaten wird es im gesamten Stadtgebiet Diskussionen in unterschiedlichen Formaten geben. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern soll so ein Zukunftsbild für die Stadt entworfen werden, das man am Ende - in rund einem halben Jahr - den Rathauspolitikern vorstellen will. Die besten Vorschläge sollen mit einem Preis gewürdigt werden.

"Unsere Branche ist Debatten gewohnt. Wenn wir ein Projekt umsetzen wollen, geht es sofort los", sagt Bauunternehmerin Hammer im Gespräch. Einwände, Bedenken und Ängste kommen schnell hoch, wenn über millionenteure Großbauten gestritten wird, die zwar Büros, Wohnraum und Prestige bringen, die aber auch das alte, historisch gewachsene München in den Schatten stellen. Oft geht es in den Debatten um Details und ideologische Positionen. Aber nur selten geht es um die große Frage, die alles überwölbt: Wie groß soll München werden?

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