Allianz Arena:"Das gibt's nicht nochmal auf der Welt"

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Fröttmaning hat nach Ansicht vieler Fachleute das schönste Fußballstadion des Globus - mit extra Etagen für Leberkäs und Champagner.

Von Wolfgang Görl

Ja doch, die Allianz-Arena ist ein nobles Bauwerk. Von außen sieht sie, je nach Betrachter-Phantasie, aus wie ein Gummiboot, ein Designer-Objekt aus Schlangenleder, vielleicht auch wie ein Tupperware-Behälter (so der Fußballphilosoph und "Bulle von Tölz" Ottfried Fischer) - jedenfalls anders als herkömmliche Fußballstadien.

Vulkanausbruch? Nein, die Münchner eröffnen ein Stadion. Ach so. (Foto: Foto: AP)

Es sei dahingestellt, ob all die Elogen und Hymnen, zu denen Feuilletonisten und andere publizierende Lokalpatrioten sich zuletzt inspiriert fühlten, nicht ein wenig zu hoch intoniert waren, eines aber haben sie ganz gewiss bewirkt:

dass man als Besucher eines in dieser Preziose stattfindenden Fußballspiels verunsichert ist ob der angemessenen Garderobe. Genügt die Jeansjacke mit aufgenähtem Vereinsemblem, oder muss es zumindest der Business-Anzug sein?

Neues vom Dresscode

Wie lautet der Dresscode? Endgültig geklärt ist die Frage auch nach den beiden Eröffnungsspielen nicht. Aber davon später.

Einer, für den die Klamottenfrage von vorneherein entschieden ist, sitzt am Dienstagabend bei der Eröffnungsgala des FC Bayern auf dem Rang unterhalb der Logen: ein junger Mann in schwarzer Mönchskutte, um den Hals einen weiß-roten Bayern-Schal. Es ist Frater Constantin, Benediktiner-Mönch aus dem Kloster Ettal.

"Ja", sagt er, "ich war immer ein Fußballfan." Anhänger der Bayern, zu 1860 würde er nicht gehen, "auch das ist eine Glaubensfrage". Und so ein Ereignis, wenn man schon geladen ist, dürfe man sich nicht entgehen lassen, auch wenn das Gewissen nicht ganz frei sei von Zweifeln:

"Es ist ein Laster. In Rom sähe es man sicher lieber, wenn ich jetzt in der Kirche wäre statt im Stadion." So ist es halt. Das Fleisch ist schwach. Andererseits: Spricht nicht alle Welt angesichts des monumentalen Werks der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron von einem Fußballtempel?

Genau so ist es. Das heißt aber nicht, dass es in dieser Kultstätte, wenn sie denn eine ist, ausschließlich um Fußball ginge.

Im so genannten Business Club, wo Ehrengäste und Leute, denen eine Jahreskarte bis zu 10.000 Euro wert ist, Labsal suchen, geht die Halbzeit des epochalen Eröffnungsspiels FC Bayern gegen Deutschland soeben in die Verlängerung. Das heißt, gespielt wird wieder unten auf dem Rasen, hier oben aber ist das vorerst zweitrangig.

Solariumbraunes Nussknackerkinn

Was, so sagen sich viele, sind Ballack oder Podolski gegen geschmorte Rinderrouladen und Frischkäseterrine im Räucherlachsmantel, zumal auch der Schampus bis zum Abwinken bereit steht? Erfolgsmänner in Nadelstreifen sind an der Club-Bar zu besichtigen, modische Krawatten unterm solariumbraunen Nussknackerkinn.

Der Parkettboden absolviert einen ersten Härtetest unter den Stilettos diverser Blondinen, die die Herren begleiten. Ihre Töchter, was sonst? Dazu die üblichen Verdächtigen wie Ralph Siegel und Uschi Glas nebst Anhang.

Draußen, auf den vergleichsweise billigen Plätzen, intonieren die Fans: "Ihr seid nur zum Essen da." Das ist vielleicht ein wenig hart formuliert, zumal sich die Abwendung vom Spiel durchaus mit Kennerschaft begründen ließe. Klinsmanns Nationalmannschaft, das ist jetzt nicht zu hart formuliert, bietet eine erbärmliche Leistung.

Und man beginnt sich zu fragen, warum der FC Bayern für das historische Ereignis nicht einen würdigeren Gegner gefunden hat. Den AC Mailand zum Beispiel, oder wenigstens Unterhaching.

Der Stimmung auf den Rängen tut das keinen Abbruch. Der Schall der Wechselgesänge - die Südkurve brüllt, die Nordkurve brüllt zurück, der Einfachheit halber jeweils die Parole "Bayern" - hallt zurück vom Dach, fliegt über die Ränge hinab aufs Spielfeld, eine unmissverständliche Warnung an den Gegner, hier nicht mehr zu wollen als zu verlieren.

Lebende Legenden und Schulterklopfer

Wen immer man fragt, jeder ist begeistert von der Atmosphäre. Das gilt nicht zuletzt für die "lebenden Legenden", die im Business Club alle Mühe haben, sich die Schulterklopfer und Handy-Fotografen vom Leib zu halten. Uwe Seeler zum Beispiel: "Es ist phantastisch", sagt er. "Zur WM haben wir viele schöne Stadien, aber das ist der i-Punkt."

Oder Günter Netzer, der kleine Blonde aus der Tiefe des Raums. "Die Arena hat meine Vorstellungen, die ich vom Computermodell hatte, noch übertroffen. Das gibt's nicht nochmal auf der Welt." Gerne hätten wir noch Olaf Thon gefragt oder Paul Breitner, aber ein Pfeifkonzert kommt dazwischen. Es gilt dem Torwart Jens Lehmann, der an diesem Abend keinen Finger rühren kann, ohne ausgepfiffen zu werden.

Dabei will er nur das, was Oliver Kahn für sich beansprucht: die Nummer Eins sein - ein Sakrileg in den Augen der Bayern-Fans. Immerhin lässt sich aus dem Fall Lehmann schließen, dass die Fröttmaninger Arena, nimmt man ihr Potenzial als Pfeifkessel zum Maßstab, als absolut gelungen gelten muss.

Und doch, unmittelbar vor Spielbeginn, gibt es einen Moment, in dem man sich wünscht, die Arena möge allen Schall schlucken, auf dass auch gar nichts mehr zu hören sei, kein einziger Ton. Es ist der Augenblick, in dem die Popsängerin Sarah Connor die Nationalhymne zu interpretieren versucht. A capella! Das hätte sie besser unterlassen.

Blüh´ im Lichte?

Nicht jeden Ton, den der Komponist Haydn vorgeschrieben hat, trifft sie ordnungsgemäß, und auch beim Text erlaubt sie sich einige Freiheiten.

Hören wir richtig? "Blüh' im Lichte dieses Glückes"? Nun ja, Licht oder Glanz, was soll's? Das Lied hat schon schlimmere Interpreten überstanden, wenn auch nicht schadlos.

Ein Blick hoch zu den Logen, wo das leitende Personal von Allianz, Siemens, Mercedes et alii dem Geschehen beiwohnt. Die Herren im feinen Tuch - schwarz, anthrazit, taubenblau -, die Frauen etwas salopper. Alte Filmausschnitte fallen einem ein, die Schwarz-Weiß-Bilder vom WM-Endspiel Deutschland-Ungarn, 1954 im Berner Wankdorf-Stadion.

Es regnete, schüttete in Strömen vom Himmel, und die Zuschauer hatten Gummimäntel an, wie sie nie in Mode waren und es nie sein werden. Das Stadion ein schmuckloser Zweckbau, vielleicht gab es Bockwurst und Bier. Wer hier was anderes als Fußball suchte, war fehl am Platz. Andere Zeiten. Ob sie besser waren, ist müßig zu fragen.

Dann das Münchner Olympiastadion, Behnischs wunderbares Kunstwerk, das den optimistischen Geist der Sixties verkörpert. Als würde es nie regnen, hat der Architekt auf ein vollständiges Dach verzichtet. Und wirklich, manchmal, an sonnigen Tagen, kam es einem vor, als läge hinter dem fabelhaften Zeltgebirge der Strand und die Beach Boys spielten "Surfin' USA".

Hier geht es nicht nur um Fußball

Eine gewisse Leichtigkeit, etwas fröhlich Verspieltes wohnt dem Bau inne, was zunehmend der kommerziellen Natur des modernen Fußballs widersprach. Jetzt die Allianz-Arena: Dass sie eine grandiose Fußballbühne sein wird, darf man nach den ersten Eindrücken vermuten. Und doch, der Zuschauer merkt auf Schritt und Tritt, dass es hier nicht nur um Fußball geht.

Die Arena ist nicht zuletzt ein exquisiter Marktplatz, wo der Kunde in der Abteilung "Markenwelt" Computerspiele, Fan-Utensilien oder Flachbildschirme erwerben kann, ganz zu schweigen von den Verlockungen, die vom dort ausgestellten, neuen Audi RS4 für 69000 Euro ausgehen. Zudem herrschen in der Arena die eisernen Prinzipien der Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Da ist, um mit Franz-Josef Strauß zu sprechen, die "Leberkäs-Etage", die hier beispielsweise "Paulaner Fantreff" heißt und dem Fußvolk zur Stärkung dient; da ist aber auch die Champagner-Etage, wo die Logen-Mieter - bis zu 240000 Euro jährlich - ihre Gäste und Geschäftspartner zum Kulturereignis Fußball empfangen.

Die Kontrollen sind streng, ohne Einladung kommt da keiner hin. Wer das beklagt, ist ein hoffnungslos rückständiger Fußballromantiker.

Sogar der Pfefferkorn mags gern

Apropos Fußballromantiker: Max Pfefferkorn, 82, und Karl Zimmermann, 76, müssten solche sein. Die beiden sitzen auf der Ehrentribüne, Pfefferkorn ist Bayern-Mitglied seit 1948, Zimmermann war sogar Vertragsspieler von 1948 bis 1951.

"Als Schulbua", sagt Pfefferkorn, "bin ich jeden Sonntag nach dem Mittagessen mit dem Vater ins Sechzger-Stadion 'gangen, und die Weiber haben abg'spült und sind aufm Friedhof." Für einen Moment klingt es so, als würde der Mann die guten, alten Zeiten beschwören.

Denkste! Die neue Arena "ist ein Traum", sagt Zimmermann, und Pfefferkorn findet sie "phantastisch". "Du kannst dir gar nicht vorstellen, dass Architekten so was zusammenbringen."

© SZ vom 2.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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