Kritik:Lust an der Travestie

Kritik: Biegsam strahlender Sopran: Bruno de Sá als Cleofide.

Biegsam strahlender Sopran: Bruno de Sá als Cleofide.

(Foto: Falk von Traubenberg)

Zur Eröffnung von "Bayreuth Baroque" inszeniert Max Emanuel Cencic "Allessandro nel'Indie" im Markgräflichen Opernhaus.

Von Klaus Kalchschmid, Bayreuth

Leonardo Vinci war 1730 der erste, der Pietro Metastasios Libretto über den Indien-Feldzug Alexander des Großen als "Allessandro nel'Indie" für die Oper in Rom vertonte. An die 90 Komponisten werden folgen, darunter Johann Adolph Hasse mit "Cleofide" und Händel mit "Poro". Das sind zwei weitere Hauptfiguren der Oper, zwischen denen sich die barockopernüblichen Verkleidungen, Eifersuchtsanfälle, Suizidversuche und die allumfassende Vergebung am Ende ereignen: In Cleofide sind Poro wie Alessandro verliebt; der wird von Erissena, der Schwester Poros, begehrt, während Gandarte, dessen Feldherr und Vertrauter, mit ihr verlobt ist.

Seit 1740 stand die in ganz Italien und sogar in München gespielte Oper nicht mehr auf dem Spielplan. Nun erfuhr sie zur Eröffnung von "Bayreuth Baroque" im Markgräflichen Opernhaus eine glanzvolle Wiederaufführung nach dem Vorbild der Uraufführung mit fünf männlichen Sopranen und Altisten sowie einem Tenor. Max Emanuel Cencic brachte mit viel Lust an der Travestie eine ungemein witzige, herrlich trashige Inszenierung auf die Bühne, deren Rahmen eine stilisierte indische Architektur mit einem Hauch gotischem Britannien bildet (Bühne: Domenico Franchi), wozu Nate Harter und Connor Powles bestens passten, die in affektiertem Englisch das Geschehen kommentierten. Mehrfach hebt sich die Rückwand und eine kleine Barockbühne fährt nach vorne.

In netto vier Stunden entfacht Vinci ein Feuerwerk zahlloser Arien von vehement sprudelnd und brillant koloraturengesättigt bis getragen leise und wehmütig voller harmonisch kühner Wendungen. Höhepunkt ist ein großes Streit-Duett, in dem sich Poro und Cleofide einen musikalischen Schlagabtausch ersten Ranges liefern, sie ihm die Spitzentöne der Königin der Nacht und Traviata um die Ohren haut, er mit "La donna è mobile" kontert bis sie sich gegenseitig die Perücken vom Kopf reißen.

Tänzer liefern Futter für die Augen bei den langen Dacapo-Arien

Zehn hinreißende Tänzer, ebenfalls zur Hälfte als perfekte Frauen kostümiert und geschminkt, geben oft den Bewegungschor in den Arien. Sie wurden wunderbar witzig choreografiert von Sumon Rudra, der erfolgreich im modernen Tanz ist wie in Bollywood-Filmen. Ob im stilisierten Pferdeballett, in der Maske giftiger Vipern, als halbnackte Kämpfer oder im Paartanz wie beim klassischen Ballett: Futter für die Augen bei den langen Dacapo-Arien ohne dass die Aufmerksamkeit der Ohren für den exzellenten Gesang leidet. So peppt Franco Fagioli als Poro jede seiner Arien mit überbordenden Koloraturen auf, setzt geschmeidige, klangvolle Spitzentöne und spielt mit funkelnden Augen herrlich affektiert. Maayan Licht ist ein wunderbar tuntig und grazil wie eine Marionette agierender Alexander in einer Art weißer Biedermeier-Uniform, singt nicht weniger schön und lupenrein, aber mit mehr nobler Zurückhaltung.

Bruno de Sà als Cleofide erkennt man kaum, denn wie alle Männer in Frauenrollen trägt er hier einen perfekten falschen Busen, stolziert in seinen prächtigen Kleidern (Kostüme: Giuseppe Palella mit einer Mimik, wie sie keine Frau so effeminiert hinbekommen würde und singt mit hellem, biegsam strahlenden Sopran. Jake Arditti gibt mit dunkel gurrendem Mezzosopran als Erissena noch mehr ein Vollweib. Unter Martyna Pastuska, die stets geigend mitspielt, musiziert das {oh!}Orkiestra aus Polen traumhaft historisch informiert.

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