Kritik:Neue Welt, alte Regeln

Mafiotisch: Andreas Wiedermann inszeniert mit der Opera Incognita den Einakter "Cavalleria rusticana".

Von Paul Schäufele, München

"Opera Incognita" ist der musikalische Beweis dafür, dass weniger in den meisten Fällen wirklich mehr ist. Die Gruppe um Andreas Wiedermann (Regie) und Ernst Bartmann (musikalische Leitung) präsentiert seit 2005 Opern in kleiner Besetzung, aber mit Intelligenz, Musikalität und Blick fürs Wesentliche. Eine Geige, eine Klarinette, ein Kontrabass, ein Klavier und ein durchweg fähiges Ensemble an Sängerinnen und Sängern. Mehr braucht es nicht, um Mascagnis Einakter in der Allerheiligen-Hofkirche zeitgemäß aufzuführen.

Doch Wiedermanns Arbeit als ein schönes Skelett zu bezeichnen, würde sie verfehlen. Bei aller Schlankheit fügt er der Geschichte um die sizilianische Bauernehre einiges hinzu - Komplexität, Relevanz, Dichte. Dazu verlegt er die Geschichte ins New Yorker Mafia-Milieu. Die Sizilianer sind hier Ausgewanderte, die sich ihr Geld auf schmutzige Weise verdienen (müssen) und dennoch auf dem alten Ehrenkodex bestehen. Nicht ohne Zufall betont die Inszenierung die Nähe zu einem anderen undurchsichtigen Männerbund: "Cavalleria rusticana" ist hier eine sehr katholische Oper. Auch der versierte Männerchor, das heißt die Mobstertruppe, empfängt andächtig die Hostien, was ein schönes szenisches Tableau ergibt.

Carolin Ritter als Santuzza sitzt da (und nicht nur da) als Exkommunizierte zwischen den Stühlen. Ritter spielt dringlich, ohne sich aufzudrängen, ist stimmlich präsent und findet in jedem Moment den Grad von Verzweiflung, der Anteilnahme einfordert, ohne ins Melodramatische zu kippen. Zu Recht wird sie am Schluss den Jubel des Publikums entgegennehmen. Diese Qualitäten machen sie zur perfekten Partnerin von Rodrigo Trosino. Sein Turiddu ist angenehm ambivalent und besitzt dabei alles, was ein Tenor für dieses Fach braucht: Schmelz, ohne zu schmieren, strahlende Höhen und leicht nasales Timbre. Natürlich ist er ein Ekel, das Santuzza nutzt, um seine Exfreundin Lola, sinnlich gespielt und gesungen von Anna Luise Oppelt, eifersüchtig zu machen. Aber er ist auch ein Emigrant, der sich beweisen will.

Hier greift Wiedermanns szenische Idee, die zeigt, dass auch in der Neuen Welt die alten Regeln gelten, wenn auch in transponierter Form. Lola ist nun mit dem Chef-Mafioso Alfio zusammen, der seinen Reichtum im Pelzmantel zur Schau stellt. Robson Bueno Tavares gibt ihn autoritär-dumpf, was er mit der nötigen vokalen Dominanz zu verbinden weiß. Wenn er am Ende Turiddu erschießt, ist es weniger das Gesetz der Ehre auf dem Land als vielmehr der ökonomische Vorgang, bei dem der potentere Agent den Konkurrenten ausschaltet. Gründe gibt es also genug, sich wieder mit Mascagni zu beschäftigen, am besten in der Aufführung von Opera Incognita, die am Samstag, 21. Mai, zum letzten Mal zu sehen sein wird.

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