Allach:Das Fundament bröckelt

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Der Bildhauer und Steinmetz Mario Valdini hat den Wittelsbacher Brunnen am Lenbachplatz restauriert und wurde von der Stadt mit dem Erasmus-Grasser-Preis geehrt. Jetzt muss er seine Werkstatt in Allach räumen und sucht einen neuen Standort für sein Atelier

Von Jutta Czeguhn

Beim Dreh von "Feiert Eileen" hing der gekreuzigte Jesus noch an der Werkstattwand, als Schauspielerin Ulrike Folkerts in der Rolle der Steinmetzin Sanne von ihrem Sohn Leon erfährt, dass er künftig als Frau leben will. Es ist die Schlüsselszene im 15-minütigen Abschlussfilm von Judith Westermann, Studentin an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Das pittoreske Atelier, das sich die Crew im Sommer 2016 als Set gewählt hatte, gibt es so nicht mehr auf dem Hofgrundstück an der Servetstraße in Allach. Bildhauer Mario Valdini hat sich mit seinen Steinen, Hölzern und Meißeln in einen kleinen, angrenzenden Raum zurückgezogen, aber bald wird er auch hier die Tür endgültig hinter sich schließen. Der Jesus steht schon reisefertig, der Künstler hat ihm beide Holzarme abgenommen und sorgfältig mit Klebeband am gemarterten Leib befestigt. Valdini und der Heiland suchen ein neues Atelier. Der Steinmetz hat bereits einen Standort im Blick, doch die Sache ist kompliziert.

"In jedem Ende liegt ein Anfang", sagt Mario Valdini, als man ihn in seinem Atelier auf Abruf besucht. Er legt sein Werkzeug beiseite, mit dem er eben einen Jura-Marmor bearbeitet hat. Ein Tor für einen Zen-Garten wird daraus entstehen, der Auftrag eines Japaners. Dann klopft er behutsam den feinen Steinstaub von Händen und Jacke. Valdini, groß, zurückhaltend, wird in diesem Jahr 62 Jahre alt, 47 davon hat er gearbeitet, heuer nun will er in Rente gehen, nur noch künstlerisch tätig sein. Das Gewerbe, die Steinmetzerei, die er und seine Frau Barbara führten, ist abgemeldet, seit dem 31. Dezember ist Schluss. Valdinis Werkstatt hat einen Namen in der Stadt, immer noch. Der Steinmetzmeister und sein Team haben beispielsweise das Kustermann-Haus am Viktualienmarkt renoviert, ebenso den Wittelsbacher Brunnen am Lenbachplatz oder die historische Treppe im Lenbachhaus. 2007 wurde Valdini mit dem Erasmus-Grasser-Preis der Landeshauptstadt ausgezeichnet. Für sein neues Leben als freischaffender Künstler, so dachte er, würde ihm das kleine Atelier genügen, und so räumte er die große Werkstatt, über 30 Tonnen Stein hatte er bereits entsorgt. Doch dann bekam er die Kündigung für das gesamte Areal. Der Besitzer hat andere Pläne damit.

Die Jesus-Figur bleibt wohl restaurierungsbedürftig. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Unweit der Schießstätte Allach, nahe der Würm, hat sich Valdini auf dem Grundstück eines Pferdehofs in über zehn Jahren ein Idyll geschaffen, das man eher in seiner italienischen Heimat vermutet als im dörflichen Münchner Südwesten. Selbst im eisigen bayerischen Winter kann man sich dem mediterranen Flair dieses Ortes kaum entziehen: Löwen thronen auf Säulen im Garten, das vertrocknete Schilf durfte stehen bleiben, das Rosso veneziano an der Werkstattfassade, ehemals der Pferdestall, hat der Regen stilvoll ausgewaschen, an die Hausmauer schmiegt sich ein Steinbrunnen. Über all scheinen Skulpturen und alte Grabsteine auf ihren Abtransport zu warten.

Wohin? Marco Valdini hat mit dem Gedanken gespielt, nach Italien zurückzugehen. Er wurde in Kalabrien geboren, aufgewachsen ist er in Lecce in Apulien. Doch diesen Schritt will er (noch) nicht gehen. Was ihn hält, sind vor allem die Menschen. Eine feste Gruppe von Hobbybildhauern, die seit Jahren unter seiner geduldigen Aufsicht gelernt haben, mit Stein umzugehen. Freundschaften sind so entstanden. "Ich will sie nicht im Stich lassen", sagt Valdini. Deshalb seine Idee mit der Lochhausener Straße.

Bald muss Mario Valdini die Tür seines Ateliers in Allach für immer hinter sich schließen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dort, am Ortsausgang von Obermenzing, auf dem Gelände des ehemaligen Wertstoffhofes, kann sich der Bildhauer einen neuen Standort für ein handwerklich-künstlerisches Atelier vorstellen. 2014 war die Entsorgungsanlage geschlossen worden. Valdini hat bereits bei der Stadt - sie ist Grundeigentümerin - angefragt, ob er einen Teilbereich der Fläche dort anmieten könne. Auf dem betonierten Bereich würde er gerne einen Holzbau für seine Werkstatt errichten, etwa 120 Quadratmeter wären nötig, zudem Außenflächen zur Lagerung der Steine. Valdini hat den Ort zufällig entdeckt, als er mit dem Auto unterwegs zu einem Kollegen war. "Er ist nahezu ideal, weil es dort noch die Wasser- und Stromanschlüsse gibt", sagt er. Zudem sei wegen der Alleinlage des brachliegenden Geländes keine Lärmbelästigung von Nachbarn zu befürchten. Der Künstler möchte dort an seinen Skulpturen arbeiten, die Gruppe weiter betreuen und könnte sich vorstellen, seine Werkstatt mit anderen Künstlern zu teilen. Wie damals an der Pasinger Paosostraße, wo Valdini eine Künstlergemeinschaft mit über 20 Kollegen aufgebaut hatte. 2004 war dort Schluss, man musste weichen, als die Metro den Grund und Boden kaufte. In Allach hatte er dann noch einmal von vorne anfangen müssen.

"München nennt sich eine Kunststadt, aber für ihre Künstler tut sie sehr wenig", klagt Valdini. Ein kleiner Kuhstall reiche nicht aus, man brauche Platz, um gestalterisch tätig zu sein. Valdini scheint nicht der Mensch zu sein, der sich orkanartig in Rage redet, doch nun spürt man höflichen Zorn. Sein sonst geschliffenes Deutsch beginnt sich mit einer italienischen Färbung und Einsprengseln von Ulmer Schwäbisch zu marmorieren. Dorthin nämlich hatte Vater Valdini seine Familie nachgeholt, nach dem er es zehn Jahre als sogenannter Gastarbeiter im Dienste der Bundesbahn ohne seine Lieben hatte aushalten müssen. In Ulm hat sein Figlio, der künstlerisch überaus talentierte Mario, erst Keramik- und Porzellanmodelleur gelernt und sich dann in der Dombauhütte zum Steinmetz ausbilden lassen. Nachdem er viele Kreuzblumen und Wasserspeier bearbeitet hatte, schloss Mario Valdini die Gesellenprüfung als Bundessieger ab. Mit 22 Jahren zog es den bildhauerisch Begabten nach München, wo er Familie und Betrieb gründete und selbst Generationen von Lehrlingen ausbildete.

Valdini räumt nun die Werkstatt und das Gelände, das für seine Nachbarn ein Stück Italien war. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Da ist nun also einer, der gerne in München bleiben würde, der der Stadt einiges gegeben hat. Die Bezirksausschüsse in Allach und Pasing-Obermenzing haben Mario Valdini bedeutet, dass sie sein Anliegen unterstützen. Doch sehen sie ein Problem, das letztlich die Entscheidung der Stadt beeinflussen wird. Das Grundstück an der Lochhausener Straße liegt im überregionalen Grünzug und soll mittelfristig von jeder Nutzung frei bleiben. Die Stadt hat Valdini wissen lassen, er könnte das Areal nur maximal für zwei bis drei Jahren mieten. Das allerdings, sagt der Künstler, würde sich für ihn kaum lohnen. Noch will er seine Hoffnung nicht aufgeben, im Münchner Westen einen Ort zu finden, den er mit seiner Bilderhauerkunst verwandeln kann. Vielleicht wieder in ein Stück Italien.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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