Suchtkranke Rentner:Alt und alkoholabhängig

Symbolfoto Alkohol Seniorin *** Symbol photo alcohol senior citizen

Zehn Prozent der Heimbewohner haben ein Alkoholproblem.

(Foto: Imago)
  • Studien zufolge haben etwa zehn Prozent der Bewohner von Altersheimen ein Alkoholproblem. 25 Prozent der über 70-Jährigen dort seien von Psychopharmaka abhängig.
  • Um diesen Menschen zu helfen, soll die Stadt ein Konzept für Angebote entwickeln, fordert deshalb die SPD-Stadtratsfraktion.

Von Sven Loerzer

Alter kann einsam machen: Die Kinder längst aus dem Haus, das Arbeitsleben hinter sich, der Bekannten- und Freundeskreis schrumpft. Viele ältere Menschen versuchen, ihrem als grau empfundenen Alltag mit Alkohol und Medikamenten zu entkommen. Leben die Menschen noch zu Hause, bleibt das meist lange verborgen: Sucht im Alter gilt als Tabuthema, ist mit Scham und Schuld beladen. Doch auch in den Pflegeheimen ist das Personal immer häufiger mit Suchtproblemen konfrontiert. Um diesen Menschen zu helfen, soll die Stadt ein Konzept für Angebote entwickeln, fordert deshalb die SPD-Stadtratsfraktion in einem Antrag. Denn Studien zufolge hätten etwa zehn Prozent der Heimbewohner ein Alkoholproblem, 25 Prozent der über 70-Jährigen dort seien von Psychopharmaka abhängig.

"Die Anfragen mit Alkoholabusus steigen an", erkärt die Leiterin des Hauses der Arbeiterwohlfahrt in Haidhausen, Barbara Scharfenberg. Die Aufnahme von alkohol- oder medikamentensüchtigen Bewohnern müsse sehr genau geprüft werden, weil die Begleitung sehr zeitintensiv und der Personalschlüssel nicht darauf ausgerichtet sei. Zudem gebe es kaum fachlich-therapeutische Angebote für die betroffenen Senioren, die Bereitschaft der Therapeuten, ins Heim zu kommen, sei nicht groß. Oft ist auch die Haltung im Umfeld schwierig.

Ein 82-jähriger Mann etwa, der bereits eine fortgeschrittene Leberzirrhose hatte, trank bei seinem Einzug ins Heim ein Bier zum Frühstück und eines am Nachmittag. Ein Freund brachte ihm immer mehr alkoholische Getränke mit, dem Bewohner ging es immer schlechter. Ein Termin mit einer Suchtberatung kam nicht zustande, schließlich wurde er in eine Klinik gebracht, wo wegen seiner extrem verschlechterten Leberwerte ein Entzug stattfand. Seitdem trinkt er keinen Alkohol mehr, lebt aber sehr zurückgezogen. "Oft haben suchtkranke Bewohner einen problematischen sozialen Hintergrund", sagt Hans Kopp, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt. "Schwierig wird es, wenn Bekannte von früher auftauchen und Alkohol mitbringen", zumal auch Wechselwirkungen mit Medikamenten drohen. Immer häufiger sei zudem zu beobachten, dass pflegende Angehörige, die sich Jahre zu Hause um ihren Partner oder ihre Eltern gekümmert haben, unter der schweren Belastung Trost und Kompensation durch Alkohol und Tabletten suchen.

Kummer und Sorgen vertreibt das nicht, im Gegenteil: "Das Leid wird vergrößert", sagt Christine Pschierer von der Caritas-Fachambulanz für erwachsene Suchtkranke, die speziell für ältere Menschen eine Informations- und Motivationsgruppe, zwei Therapiegruppen und Selbsthilfegruppen anbietet. Der Eintritt in die Rente, aber auch der veränderte Hormonhaushalt im Alter sei "wie eine zweite Pubertät", erklärt Pschierer, "eine echte Umbruchphase im Leben". Für Ehepaare sei das eine Herausforderung, mit der Rente plötzlich "diese Nähe aushalten zu müssen", da könne man sich mit Alkohol abschotten.

Ebenso kann Einsamkeit in die Sucht führen. Der Verlust des Partners, den sie gepflegt hatte, war für eine Frau, die gerne mal ein Glas Wein getrunken hat, einschneidend: "Sie hat den ganzen Tag getrunken." Dank der Beratungsarbeit hat sie schließlich eingesehen, dass sie nicht kontrolliert trinken kann. Sich in eine ein- bis eineinhalbjährige ambulante Entwöhnungsbehandlung zu begeben, dafür sei es nie zu spät, sagt Pschierer - entgegen der weit verbreiteten Ansicht, "es lohnt sich eh nicht mehr". 40 bis 60 Prozent seien dann auch vier Jahre danach noch immer abstinent. "Wenn jemand vom Entzug kommt aus dem Krankenhaus, dann kann er aufblühen", betont auch Kopp. Selbst wenn es zwischendurch wieder einen Suchtschub gebe, fangen sich die Betroffenen schnell wieder, erklärt Pschierer. Denn in der Therapie würden sie lernen, "einen Rückfallkoffer zu haben", konkrete Strategien, um den Schub zu überwinden.

"Wenn man kontinuierlich trinkt, ist die Gefahr groß, eine Depression zu entwickeln"

Gerade im Alter verträgt der Körper Alkohol noch schlechter als ohnehin schon, weil sich der Stoffwechsel verlangsamt. Die Wirkung wird stärker spürbar, weil der Körper weniger Wasser speichert. Als risikoarm gelte im Alter ein Konsum von maximal zehn bis zwölf Gramm Alkohol täglich: "Das sind 0,1 Liter Wein oder 0,2 Liter Bier", erklärt Pschierer. Nach einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts aber trinkt sich jeder dritte Mann und jede fünfte Frau im Rentenalter mindestens einmal im Monat in den Rausch, mehr als zwölf Prozent der Männer und sechs Prozent der Frauen machen das sogar mindestens einmal pro Woche.

Riskanter Konsum führe zu Verwahrlosung, sozialem Rückzug und emotionaler Instabilität, betont Pschierer. "Wenn man kontinuierlich trinkt, ist die Gefahr groß, eine Depression zu entwickeln." Zudem sei Alkoholkonsum im Alter sehr häufig verantwortlich für Stürze, "da sollten auch die Kliniken noch sensibler werden" und das thematisieren, um Patienten zu motivieren, den Konsum wenigstens einzuschränken. Körperliche und seelische Veränderungen sollten von Angehörigen durchaus angesprochen ("Ich mache mir Sorgen darüber") werden, sie könnten sich dazu auch bei Suchtberatungsstellen informieren. Das können auch Betroffene selbst anonym tun, um in einem Beratungsgespräch zu klären, ob sie ihr Alkoholproblem selbst in den Griff kriegen können.

"Suchtproblematiken vermindern die Lebensqualität im Rentenalter, belasten alle im familiären Umfeld und führen zu vielen Konflikten", fasst SPD-Stadträtin Anne Hübner zusammen. Sie erwartet deshalb vom Sozial- und Gesundheitsreferat speziell auf ältere Menschen zugeschnittene Angebote für einen Ausweg aus der Sucht oder zumindest einen lebenswerten Umgang mit den Folgen. Die Stadt könne sich dabei am Projekt "Hilfe für suchtkranke alte Menschen (SAM)" in Nürnberg orientieren. Dort hat das Suchthilfezentrum der Stadtmission 2017 ein bayernweit einmaliges Modell zum Ausbau der Hilfen für alternde Menschen vorgestellt.

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