Alicja Kwade hatte sich das erst anders vorgestellt. Als sie der Intendant der Bayerischen Staatsoper fragte, ob sie das Bühnenbild für eine Oper gestalten würde, sah sie Rot – und opulentes Gold. „Vor meinem geistigen Auge hatte ich gleich den Samtvorhang und die barocke Pracht des Nationaltheaters“, sagt die international gefragte Bildhauerin, die gerade einen großen Auftrag in New York fertigstellt, für den Probenendspurt aber noch einmal schnell nach München gekommen ist.
Dort wurde erst vor wenigen Wochen Kwades Gedenkort für das Attentat in Riem von 1970 eingeweiht. Im vergangenen Jahr das Denkmal, das die in Polen geborene Weltbürgerin ihrer Wahlheimat Berlin gesetzt hat: eine 160 Tonnen schwere, glänzend vergoldete Bronzefigur, die als Friedenszeichen im Garten der Neuen Nationalgalerie aufgestellt worden ist.

München:Präsidentin von Bayerischer Theaterakademie nach Lausch-Vorfall entlassen
Barbara Gronau leitet nicht mehr die August-Everding-Akademie in München. Das Ministerium hält die Basis für eine Zusammenarbeit für „irreparabel zerstört“. Welcher Vorfall damit in Zusammenhang steht.
Sie verkörpert die von ihrem Sockel und der monumentalen Säule im berühmten Kreisverkehr herabgestiegene Berliner Siegesgöttin. Und sie trägt „offiziell den Namen, den ihr Vorbild lediglich im Volksmund genießt: ‚Goldelse‘“. Kwade hat das schöne Kind der Stadt geschenkt. Eine Geste, die ebenso von enormer Großzügigkeit wie großem Humor zeugt.
Dass ihr erstes Bühnenbild nun doch nicht im glanzvollen klassizistischen Rahmen des Nationaltheaters am Max-Josephs-Platz steht, sondern in der kargen ehemaligen Reithalle des königlich bayerischen Infanterie-Regiments im alten Kasernenareal, das nimmt Kwade gelassen. Sie lächelt zufrieden, während hinter ihrem Rücken die Bühnenarbeiter, Musiker und Tänzer sich zur ersten Probe mit speziell geladenem Publikum bereit machen.

Das Gold, das ihr zunächst im Kopf herumging, das hat sie ersetzt. Durch Salz, durch weißes Gold also. „Erst hatte ich vor, den gesamten Raum mit Salz auszulegen“, erzählt sie. Doch anders als bei einer ihrer Kunstinstallationen, die für sich stehen, ist so etwas nicht einfach umzusetzen in einer Oper. Da fließen die Künste aus vielen Gewerken zusammen, von der Musik bis zum Kostüm. „Natürlich ist das Bühnenbild Teil von Regie und Idee, und man muss sich eingliedern in dieses gesamtkünstlerische Konzept“, sagt Kwade. Und dass zu viel Salz in dieser Consommé nicht zuletzt den Instrumenten der Orchestermusiker schaden würde, die sich bei der dieser Inszenierung teils zudem im Raum bewegen werden, war ihr schnell klar.
Das Salz spielt immer noch eine elementare Rolle in ihrem Bühnenbild. Aber es tritt nur eingegrenzt in mehrere Meter große, rechteckige Rahmen in Erscheinung. Diese Rahmen – mal am Boden, mal im Raum aufgestellt, teils leer, teils mit Spiegeln versehen – prägen die gesamte Installation. Und nur so viel sei verraten: Nicht nur die Musiker, auch die Menschen im Publikum können sich während der Aufführung um sie herum bewegen.
Das „Ja, Mai!“ Festival der Bayerischen Staatsoper ist bekannt für derlei avantgardistische Ansätze. Überschrieben ist seine dritte Ausgabe mit dem Begriff „Illusionen“, er spielt an auf die mehrdeutige Wahrnehmung von Wirklichkeit. Der Japaner Toshio Hosokawa hat Matsukaze 2011 komponiert und sich dabei vom Nō-Theater inspirieren lassen.

Das Regie-Duo Lotte van den Berg und Tobias Staab setzt die Oper gemeinsam mit Kwade in Szene. Tanz, Theater und Film werden dabei verschmelzen. Die Handlung kreist um einen japanischen Mönch, der sich zwei rastlosen Geistern eines toten Schwesternpaares annimmt.
Alicja Kwade, die sich selbst als musikalisch „untergebildet“ und was Bühnentechnik anbelangt ebenfalls weitgehend ahnungslos bezeichnet, liebt die Oper dennoch seit ihrer Jugend. Damals hat sie sich für die Stücke des gängigen Repertoires begeistert Karten gekauft und vieles gesehen. „Aber mehr auch nicht“, sagt sie. „In meinen Arbeiten spielt Musik sonst bisher keine Rolle, eher Geräusche und die Vibrationen, die damit einhergehen.“
Kwade ist beileibe nicht die erste renommierte Künstlerin, die sich als Solitär in ihrer Welt für einen Ausflug in die Welt der Oper zu Kooperation und Kompromissen bereit erklärt. Die Geschichte des Musiktheaters kennt dafür bis heute gefeierte Beispiele. Pablo Picasso etwa entwarf Bühne und Kostüme für Igor Strawinskys Ballett „Pulcinella“. Giorgio de Chirico gestaltete beides für eine „Othello“-Produktion an der Oper in Rom.
Neo Rauch und Rosa Loy widmeten sich „Lohengrin“ in Bayreuth. Zu dieser Arbeit sind wiederum Bücher und Ausstellungen entstanden. Und in München war zuletzt 2018 Georg Baselitz am Werk. Er verband das Bühnenbild für Wagners „Parsifal“ mit der Bildsprache seiner eigenen Schaffensphasen und Motive. Die Musikkritiker konnte er damals mit seinem Ansatz nicht sonderlich begeistern.
Die Aufführung fand, nebenbei bemerkt, im Haupthaus der Oper statt. Also dort, wo der gewaltige Kristalllüster alles Gold im Publikumsraum noch mal so schön funkeln lässt. Alicja Kwade hätte „große Freude“ daran, dort ebenfalls bald einmal ans Werk zu gehen. Ihre Vorboten hat sie schon geschickt: Im wohl prunkvollsten Raum, dem Königssaal des Nationaltheaters der Bayerischen Staatsoper sind noch bis 12. Mai 2025 einige ihrer Skulpturen ausgestellt: zierliche Bronzestühle, deren Sitzflächen durch rohe Felsblöcke blockiert sind. Ein Schelm, wer Sitzfleisch dabei denkt.
Ja, Mai, Festival für frühes und zeitgenössisches Musiktheater, bis 11. Mai; Matsukaze, Komponist Toshio Hosokawa, Bühnenbild Alicja Kwade