Süddeutsche Zeitung

Alicia Keys in München:Predigt statt Party

Die Luft brennt, wenn Alicia Keys ihre Hymnen durch die Halle schmettert. Doch das tut sie viel zu selten. Die New Yorkerin bringt lieber Piano-Balladen als Upbeat-Attacken. Heraus kommt ein eigenartiger Gemischtwarenladen.

Von Christopher Pramstaller

Richtig gut fand Alicia Keys den ganzen Pop-Zirkus angeblich nie. Das erklärt vielleicht ihr unterkühltes Verhältnis zu ihren Fans. In ihrer mehr als zehnjährigen Musikkarriere wurde ihr immer wieder vorgehalten, dass in ihren Konzerten die Nähe fehlt. Dass sie es nicht schafft, diesen Moment zu kreieren, in dem ein Konzert mehr als nur professionell ist. Jenen Moment, in dem es einzigartig wird; wenn das Konzert zum Gottesdienst wird.

Auch in der Münchner Olympiahalle ist es am Sonntagabend zeitweise ganz schön einsam geworden auf der Bühne. Dabei sollte doch alles ganz anders werden.

"I'm not who I was before" singt Keys in "Brand New Me". Nach dem Erfolg um die Jay-Z-Kollaboration "Empire State of Mind" hat die New Yorkerin tatsächlich viel Neues versucht. Von Dark Electro Soul bis zu Latin/Hiphop ist auf ihrem Tour-Album "Girl on Fire" alles vertreten. Im Titelsong des Albums verbindet sich alt und neu, Rap-Loops und ein Power-Refrain.

Und der Upbeat-Banger funktioniert. Wenn Keys mit ihrem "Girl on Fire" durch die Halle schmettert und die Beats nur so aus den Boxen donnern lässt, steht die Halle. Selbst bei voller Bestuhlung fangen die Menschen an zu tanzen. Und auch wenn sie zu Beginn des Konzerts nur kurz "Empire State of Mind" anklingen lässt, tobt die Masse. "We are gonna go crazy", meint Keys. Das Publikum kreischt. Doch Keys sitzt schneller wieder am Klavier, als die Hüfte geschüttelt werden kann. "Let's have some fun tonight" heißt nicht tanzen, sondern sich hinter das Klavier zu setzen. Eskapade gibt es nicht, es geht gesittet zu.

Für Keys gilt: lieber professionelle Show als schweißtreibende Party, lieber Piano-Ballade als Upbeat-Attacke. Ohnehin stehen während der Show fast so viele unterschiedliche Klaviere auf der Bühne herum, wie es Tanzeinlagen gibt. Ausarten soll das Ganze ja nun wirklich nicht.

Die New Yorkerin setzt lieber immer wieder zur Predigt an. "Keep moving, keep growing, keep transforming." Alles soll wachsen und vorankommen, "so we can change the world". Sie lächelt und ist dabei auch irgendwie authentisch - doch es ist einfach zu viel Pathos, das die Stimmung verdirbt. Ein Smartphone-Sternenhimmel ist das höchste der Gefühle. Aber vielleicht heißt Neuerfindung bei Keys, Klischees zu produzieren.

Die Sängerin liefert in 90 Minuten einen eigenartigen Gemischtwarenladen, in dem sie nicht wirklich weiß, was sie eigentlich will. Sitzen oder stehen? Party oder Predigt? Aber vielleicht kann sie auch nicht anders, nachdem sie mehr als 30 Millionen Alben verkauft hat und nun all die unterschiedlichen Zuhörer vereinen muss.

Andere R&B-Heldinnen brennen bei ihren Auftritten riesige Effektfeuerweke ab, Power-Shows, die nicht innehalten. Ganz ohne geht es heute nicht, auch Keys weiß das. Doch wer Donny Hathaway und Marvin Gaye zu seinen wichtigen musikalischen Einflüssen zählt, hat keine Lust, ständig über die Bühne zu tanzen. Dieses ganze Rampensau-Ding ist ohnehin nicht wirklich ihre Sache. "My way" will sie gefunden haben. Wohin der führen soll? Das Publikum spürt es nicht.

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