Ausstellung in der Pinakothek der Moderne:Ungerechtigkeit hinter Panzerglas

Ausstellung in der Pinakothek der Moderne: Sehnsuchtsort Deutschland: Alfredo Jaars Installation "One million German Passports" in der Rotunde der Pinakothek der Moderne.

Sehnsuchtsort Deutschland: Alfredo Jaars Installation "One million German Passports" in der Rotunde der Pinakothek der Moderne.

(Foto: Ulrike Myrzik/Architekturmuseum der TUM)

Die gesellschaftspolitische und zeitkritische Installation "One Million Passports" des Architekten und Künstlers Alfredo Jaar greift Flüchtlings- und Einwanderungsthemen auf. Das Architekturmuseum zeigt sie als Rotunden-Projekt in der Pinakothek der Moderne.

Von Evelyn Vogel

Der in Chile geborene, in New York lebende Architekt und Künstler Alfredo Jaar ist ein intellektuell wie emotional hoch politischer Mensch. Seine Arbeiten reflektieren aktuelle gesellschaftspolitische Zustände. In vielen seiner Installationen spielen Einwanderungsthemen eine Rolle, aber auch ethnische Konflikte wie den Völkermord in Ruanda hat er künstlerisch thematisiert.

Der verstorbene Kurator und ehemalige Direktor im Haus der Kunst in München, Okwui Enwezor, schrieb Jaars Werk als "eines der Engagiertesten eines zeitgenössischen Künstlers". Er greife "die strukturelle Verbindung zwischen Ethik und Ästhetik, Kunst und Politik" unverhohlen auf.

Dass Jaar, der weltweit an Ausstellungen beteiligt war, mehrfach an den Biennalen in Venedig, São Paulo sowie der Documenta in Kassel teilgenommen hat, ein politisch denkender wie fühlender Mensch ist, spürt man überdeutlich, wann immer er über seine Arbeiten spricht. So auch anlässlich seines aktuellen Rotunden-Projekts in der Pinakothek der Moderne, das auf Einladung des Architekturmuseums zustande kam. Wie die bisherigen wird es von den Pin-Freunden finanziert und ist kostenlos zugänglich.

Ausstellung in der Pinakothek der Moderne: Wie ein monolithischer, bordeauxroter Block wirkt die Installation "One Million German Passports" von Alfredo Jaar in der Rotunde der Pinakothek der Moderne von der Galerie aus betrachtet.

Wie ein monolithischer, bordeauxroter Block wirkt die Installation "One Million German Passports" von Alfredo Jaar in der Rotunde der Pinakothek der Moderne von der Galerie aus betrachtet.

(Foto: Ulrike Myrzik/Architekturmuseum der TUM)

Die Installation, die den Mittelbereich der Rotunde einnimmt, wirkt von oben betrachtet wie ein monolithischer, bordeauxroter Block mit hellem Rand. Erst beim Herangehen an den mehr als zwei Meter hohen, dickwandigen Glaskubus erkennt man den goldfarbenen Aufdruck und den Bundesadler auf den einzelnen Elementen des Blocks: eine riesige Menge deutscher Reisepässe. Natürlich sind es keine echten - auch wenn die Anmutung täuschend echt ist.

"One Million German Passports" heißt die Arbeit von Alfredo Jaar, die daran erinnern soll, dass 2015 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Million Flüchtlinge in Deutschland willkommen hieß. Jaar nennt es eine "großherzige Geste", die ihn zum Weinen gebracht habe. Eher wütend mache ihn jedoch die Tatsache, dass auch etwa eine Millionen Menschen in der darauffolgenden Bundestagswahl die AfD wählten.

Jaar benutzt in seinem Kunstprojekt viele Zahlen, die mitunter nicht ganz präzise sind, spitzt sie symbolisch zu. So wurden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2015 etwa 890 000 Schutzsuchende erstmals registriert. Knapp eine halbe Millionen Menschen stellten in diesem Jahr tatsächlich Asylanträge. Insgesamt sollen mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland Schutz gefunden haben.

Wie treffsicher Jaar mit seinen Arbeiten aktuelle gesellschaftliche Probleme aufgreift, zeigt die Entwicklung in Deutschland, in Europa, weltweit. Die Flüchtlingszahlen sind seit 2015 weiter gestiegen, die Hoffnung, willkommen geheißen zu werden, ist geschrumpft. Dabei brauchen viele Länder dieser Welt, ganz besonders auch Deutschland, Zuwanderung, um die sinkenden Geburtenzahlen und den Fachkräftemangel auszugleichen. Und auch die neuesten Zahlen zur Finanzierung des Rentensystems verheißen nichts Gutes für die Babyboomer, die sich in diesem Jahrzehnt vom Arbeitsmarkt verabschieden werden, wie auch für alle anderen, die von diesem Rentensystem abhängig sind.

Einen weiteren Aspekte will der Künstler mit seinem Projekt "One Million German Passports" angerissen wissen. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben sich die Zahlen der Geflüchteten vervielfacht. Auf die Tatsache, dass die ukrainischen Flüchtlinge "mit offenen Armen" in Europa empfangen werden, reagiert er zwiespältig.

Denn Tausende Flüchtlinge würden auf ihrer Flucht übers Mittelmeer sterben. Viele würden von Ländern - besonders von solchen mit rechtspopulistischen Regierungen - zurückgewiesen und müssten in Flüchtlingscamps in der Türkei, in Jordanien und anderen Ländern unter schlimmsten Bedingungen jahrelang ausharren. Da frage er sich schon manchmal: "Was denken diese Menschen?" Und meint die Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus der Ukraine und solchen aus anderen Ländern. Und er setzt nach: "Es tötet meine Seele." Spätestens hier wird deutlich, wie viel Ungerechtigkeit in dieser Welt durch diesen bordeauxroten Block hinter Panzerglas aufgezeigt wird.

Alfred Jaar: One Million German Passports, Rotunde der Pinakothek der Moderne, bis 27. August

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