Süddeutsche Zeitung

Akute Wohnungsnot:"Das ganze System ist verstopft"

  • Die Stadt München wächst täglich um 80 Einwohner. Weil die Stadt nicht genug Wohnungen für sie alle bauen kann, wächst die Zahl der akut Wohnungslosen stark. Derzeit sind es 4400 Menschen.
  • Für sie gibt es auf dem freien Markt so gut wie keine Wohnungen. Hier will die Stadt nach Lösungen suchen - gemeinsam mit dem Münchner Umland.
  • Am 18. März findet eine regionale Wohnungsbaukonferenz statt.

Von Thomas Anlauf

Der 18. März 2015 könnte ein bedeutsames Datum für München und das Umland werden. Dann bittet Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu einer regionalen Wohnungsbaukonferenz ins Alte Rathaus, um mit Bürgermeistern, Landräten sowie Vertretern von Verbänden, Initiativen und der Privatwirtschaft Pläne zu entwickeln, wie die Region gemeinsam schnell bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Infrastruktur verbessern kann. Die Betonung liegt auf "gemeinsam": Denn die Landeshauptstadt kann dem Druck durch den starken Zuzug nicht mehr lange standhalten. "Wir brauchen die Region", sagt Rudolf Stummvoll, der in München das Amt für Wohnen und Migration leitet. Sollte die Konferenz im März zu keinen konkreten Schritten führen, den regionalen Wohnungsmarkt zu entlasten, "dann weiß ich nicht, wie es weiter gehen soll", sagt Stummvoll. "Die Stadt ist proppenvoll."

Täglich wächst München um 80 Menschen, das heißt: Statistisch gesehen müssten jeden Tag 40 neue Wohnungen entstehen. Doch die gibt es nicht. In der Folge steigen die Mieten dramatisch an. Für eine Neubauwohnung in der Landeshauptstadt müssen derzeit 18,65 Euro pro Quadratmeter gezahlt werden, eine 40-Quadratmeter-Wohnung kostet demnach durchschnittlich 746 Euro kalt, viele Münchner können sich das nicht leisten.

Die Folge: Die Zahl der akut Wohnungslosen in München steigt stark. 4400 Menschen haben keine Wohnung mehr und werden von der Stadt und Sozialverbänden in Pensionen, Notquartieren oder Clearinghäusern untergebracht. Vor fünf Jahren waren es noch weniger als 2700 Menschen. Zudem gibt es geschätzt zwischen 1000 und 2000 Menschen in München, "die sich irgendwo herumtreiben", wie Wohnungsamtsleiter Stummvoll sagt.

Das "Elendshaus" in Kirchtrudering ist geräumt

Zunehmend sind das auch Familien, wie etwa in dem Zweifamilienhaus in Kirchtrudering, das als "Elendshaus" Schlagzeilen machte. Zeitweise hausten dort bis zu 70 Menschen aus Bulgarien. Die Stadt ließ Teile des Gebäudes sperren, da Gefahr für Leib und Leben bestand. Mittlerweile sind die Bewohner, darunter auch viele Kinder, ganz aus dem Haus ausgezogen und teilweise abgetaucht. Eine Familie konnte in dem Gebäudekomplex an der Thalkirchner Straße 9 untergebracht werden, das seit Kurzem vom Evangelischen Hilfswerk betrieben wird und 240 wohnungslosen Menschen Platz bietet.

Vor allem obdachlose Familien leben dort vorübergehend in 95 kleinen Appartements. Sozialarbeiter versuchen, die Menschen wieder in den Wohnungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, die Kinder werden von Erziehern und Sozialpädagogen betreut. "Die Kinder liegen uns besonders am Herzen", sagt Andrea Betz, Bereichsleiterin beim Evangelischen Hilfswerk. "Sie sollen nicht die Obdachlosen von morgen werden."

Dennoch: Das neue Haus an der Thalkirchner Straße bietet nur eine kurzfristige Entlastung. "Alle verfügbaren Plätze in der Stadt sind dicht", sagt Stummvoll, "das ganze System ist verstopft." Ob das Männerwohnheim an der Pilgersheimer Straße in Untergiesing, das Frauenwohnheim Karla 51 oder andere Einrichtungen: Für sozial Schwache oder Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, gibt es keine Unterschlupfmöglichkeiten mehr.

Das Sozialreferat will dem Stadtrat deshalb in den kommenden Wochen ein Maßnahmenpaket vorlegen, wie die akute Wohnungsnot in München gelindert werden kann. So sollen zusätzlich 2500 Plätze für Flüchtlinge und Wohnungslose geschaffen werden. Außerdem wird Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) dem Stadtrat vorschlagen, dass die Betreuung von akut Wohnungslosen künftig auch stark von Verbänden übernommen wird.

Bislang betreut das Sozialreferat 95 Prozent aller Münchner Fälle. Wohnungsamtsleiter Stummvoll könnte sich vorstellen, dass etwa die Hälfte der Fälle von anderen sozialen Trägern übernommen wird. Damit würden die Mitarbeiter des Sozialreferats entlastet und könnten sich stärker um die betroffenen Menschen kümmern. Denn Stummvolls Ziel ist es, dass die wohnungslosen Menschen möglichst schnell wieder in eigenen vier Wänden leben können.

40 Quadratmeter

Ungefähr so viel Wohnraum belegt ein Münchner im Durchschnitt. Das ist im bayernweiten Vergleich wenig: Hier liegt der Schnitt bei knapp 48 Quadratmetern pro Person. Im Freistaat hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Wohnraum pro Kopf um ein Viertel vergrößert. In der Landeshauptstadt leben übrigens sehr viele Menschen allein. Vor genau einem Jahr waren 54,4 Prozent der Münchner Wohnungen Single-Haushalte, in 24,9 Prozent der Appartements lebten nach Angaben des Statistischen Amts zwei Personen, ein Viertel aller Münchner wohnen zu dritt, zu viert oder mit noch mehr Menschen zusammen.

Doch darin besteht meist das Problem: Auf dem freien Markt gibt es praktisch keine Wohnungen mehr für Menschen mit wenig Geld. Noch vor fünf Jahren wurden vom Amt für Wohnen und Migration jährlich etwa 1000 Menschen auf den freien Wohnungsmarkt vermittelt, heute ist das Angebot weggebrochen, weil die Immobilienbesitzer nicht mehr bereit sind, ihre Wohnungen sozial Schwachen zur Verfügung zu stellen.

"Wir werden künftig auch ganz kleine Wohnungen bauen"

Zugleich ist die Zahl der Menschen, die sich für eine sozial geförderte Wohnung vormerken lassen, in den vergangenen drei bis vier Jahren um ein Viertel gestiegen. 2014 gab es etwa 24 000 solche Anträge. Allerdings konnten nur etwa 4600 Menschen in einer Sozialwohnung untergebracht werden. Geradezu explodiert ist die Zahl der dringlichen Fälle, die möglichst sofort eine Wohnung brauchen: Vor drei Jahren waren es noch 5500, jetzt sind es 9000. Ein knappes Drittel davon sind Familien.

Doch es gibt auch andere Problemfälle. Im städtischen Unterkunftsheim an der Pilgersheimer Straße leben bis zu 176 wohnungslose Männer, im Ledigenheim auf der Schwanthalerhöhe sind es sogar fast 400 Männer, die dort günstig auf engstem Raum unterkommen. Darin sieht Wohnungsamtsleiter Stummvoll ein Konzept der Zukunft: "Wir werden künftig auch ganz kleine Wohnungen bauen", sagt er. In einer Art zweitem Ledigenheim könnten durch eine der städtischen Wohnungsgesellschaften frei finanzierte Ein-Zimmer-Appartements entstehen, die sich auch ärmere Menschen leisten könnten. Bei einer Größe von 20 Quadratmetern pro Wohnung wären das 250 bis 300 Euro Mietkosten.

Derartige Bauvorhaben könnten auch rasch in den Umlandgemeinden umgesetzt werden. Damit würden schlagartig Tausende Mini-Wohnungen geschaffen, der angespannte Mietmarkt zumindest etwas entlastet. "Was wir jetzt brauchen, sind konkrete gemeinsame Projekte", sagte Oberbürgermeister Reiter in der jüngsten Versammlung des Regionalen Planungsverbands. Am 18. März sollen sie beschlossen werden.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2015/tba
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