Aktion gegen Immobilien-Irrsinn:Schöner wohnen in der Badewanne

Lesezeit: 3 min

  • Der neuen Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, will mit der Kunstaktion "Shabbyshabby Apartments" auf die Wohnungsnot in München aufmerksam machen.
  • Aus 258 Entwürfen hat eine Jury nun die 23 Sieger bestimmt. Zwei weitere werden online prämiert.
  • Die Unterkünfte sollen über den Sommer gebaut werden - vom 12. September bis 12. Oktober sollen sie nächteweise zu mieten sein.

Von Christiane Lutz, München

Wer in München wohnen möchte, muss oft improvisieren. Für viele eine bittere Erfahrung, die von Mitte September an der ganzen Stadt vor Augen geführt werden soll - mit Apartments in einem Baumhaus oder in einem Schiff, das in einer Parklücke steht, mit Wohnungen im Fußgängertunnel oder notdürftigen Behausungen, gebaut aus Badewannen - alles platziert in bester Münchner Lage, zwischen Englischem Garten und Giesing. Der designierte Intendant der Kammerspiele, Matthias Lilienthal, will gemeinsam mit dem Architekturkollektiv "Raumlaborberlin" die Münchner mit der Aktion "Shabbyshabby Apartments" wachrütteln und Ideen zum Bau "temporärer Sozialwohnungen" entwickeln. Wie die Behausungen aussehen werden, steht jetzt fest.

SZ MagazinTheatermacher Matthias Lilienthal
:Der Mann aus Reihe drei

Im Herbst tritt Matthias Lilienthal als neuer Intendant der Münchner Kammerspiele an. Viele glauben, er werde das ehrwürdige Theater gehörig aufwirbeln - dabei tut er das längst. Ein Porträt.

Von Gabriela Herpell

Erschrocken sei er gewesen, sagt der gebürtige Berliner Lilienthal, wie prekär die Wohnsituation in dieser Stadt schon für Mitarbeiter der Kammerspiele sei. Es sei schlimm, dass die Menschen, die München lebenswert machten, sich die Stadt inzwischen kaum noch leisten können. Deshalb hatte er im Januar aufgerufen, Entwürfe für die Kunst- und Protestaktion einzureichen. "Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Worauf können wir verzichten?" lautete die Frage in der Ausschreibung. Bedingungen gab es wenige, maximal 250 Euro sollten die Baukosten für das "Apartment" betragen, sanitäre Einrichtungen waren nicht vorgesehen. Hauptsache, die Idee hinter dem Modell überzeugte - "shabby" heißt eigentlich "heruntergekommen", gilt aber im Design derzeit als schicke Stilrichtung. In der Spielhalle präsentierten Lilienthal und seine achtköpfige Jury am Sonntagabend 23 Gewinnerentwürfe, die im September tatsächlich gebaut werden. Über zwei weitere kann im Internet abgestimmt werden.

Nicht nur Architekten beteiligten sich

258 Entwürfe gingen bei der Jury ein, davon kamen knapp die Hälfte aus München, viele aus Weimar, Wien, Schottland, einer sogar aus den USA. Es hätten, so Axel Timm von "Raumlaborberlin", bei Weitem nicht nur Architekten mitgemacht, sondern auch "Zahnärzte, Philosophen, Schüler und ein Jurist". Entsprechend unterschiedlich sind die Ideen. Ein "Shabbyshabby Apartment" wird in einem der Schutztunnel, die bei Bauarbeiten für die Fußgänger errichtet werden, entstehen. Das Modell "A House of Simple Pleasures" kopiert im Englischen Garten ein Luxusapartment, als Kritik an der zunehmenden Privatisierung öffentlichen Raums, wie dem Starnberger See, der an vielen Stellen für Fußgänger überhaupt nicht zu erreichen ist.

1 / 6
(Foto: Kammerspiele)

Neue Architektur für München: Entwürfe für temporäres Wohnen in der Stadt. Für das Projekt "Shabbyshabby Appartments" reichten junge Architekten Ideen ein.

2 / 6
(Foto: Kammerspiele)

Am Sonntag wurden 23 Sieger-Entwürfe vorgestellt, die dann tatsächlich im Herbst gebaut werden sollen.

3 / 6
(Foto: Kammerspiele)

Der Stadt den Wohnraum abtrotzen: Wer hier wohnen will, darf nicht zimperlich sein.

4 / 6
(Foto: Kammerspiele/Theater der Welt)

So ähnlich könnte es bald an der Isar aussehen: "Shabbyshabby Apartments", hier eine Installation in Mannheim.

5 / 6
(Foto: Kammerspiele/Theater der Welt)

Auf die Beine gestellt hat das Projekt Matthias Lilienthal, der von dieser Spielzeit an die Kammerspiele leiten wird.

6 / 6
(Foto: Ingo Schmitt)

Hier geht es weniger um tatsächlichen Wohnraum als vielmehr um eine künstlerische Vision.

"Rhombi House" beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen im Alter leben könnten und ist ein fast ballförmiges Häuschen, das acht Personen Unterschlupf bietet. Außerdem: Hütten aus Badewannen, Zelte aus recycelten Klamotten als Mahnung gegen die Textilverschwendung. Oder eine "Cloud", die zwischen zwei Ampeln gebaut werden wird und die als einzige Internetanschluss haben wird, denn das sei alles, was man heute in einer Wohnung bräuchte. Etwas anders ist das Projekt "Schlafgänger", bei dem Performerinnen für die Dauer der Aktion jede Nacht an fremde Türen klopfen und prüfen wollen, wo man ihnen Einlass gewährt.

Apartments werden nächteweise vermietet

Die Apartments sollen an typischen, aber sehr unterschiedlichen Münchner Orten platziert werden, vom Englischen Garten über die Maximilianstraße und das Isartor zu den Isarauen, hinunter an die Kleiststraße bis zum Candidplatz. Die Entwürfe thematisieren die Rückeroberung urbanen Raums durch die Stadtbewohner, die Möglichkeit des Teilens, etliche prangern den Luxus der Maximilianstraße an. Zwischen 12. September und 12. Oktober werden die Apartments dann pro Nacht vermietet, sie können über die Kammerspiele von Mitte August an reserviert werden, für 35 Euro pro Person.

Aktion gegen Wohnungsnot
:Eine Kammer auf der Maximilianstraße

Kleine Hütten ohne Komfort - aber an prominenten Stellen: Matthias Lilienthal, künftiger Intendant des Schauspielhauses, will mit seiner Aktion "Shabbyshabby Apartments" auf die Wohnungsnot in München aufmerksam machen. Doch er braucht Hilfe.

Von Susanne Hermanski

Wer darin schlafen will, darf nicht zimperlich sein. Dass es im Oktober frisch werden kann, ist zu bedenken, ebenso die Tatsache, dass am 19. September die Wiesn beginnt und Betrunkene nachts am Hüttchen rütteln könnten. Doch es gehe bei der Kunstaktion nicht um Komfort, sondern um das Statement, die Sichtbarmachung des Wohnungs-Missstandes. Realistische Ideen zur langfristigen Entschärfung der Wohnungsnot in München sucht man bei "Shabbyshabby Apartmens" daher auch vergeblich. Matthias Lilienthal realisierte vergangenes Jahr in Mannheim eine ähnliche Aktion, die "Shabbyshabby Hotels", und erzählt, wie er in einem der temporären Hotelzimmer übernachtete und sich mit Fieber im Schlafsack wälzte, während ein Gewitter über dem schiefen Dächlein tobte. Er freue sich auf derartige Gute-Nacht-Geschichten aus München.

Wer alle Entwürfe sehen und darüber abstimmen will, kann das hier tun.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: