Süddeutsche Zeitung

Aiwangers Textileinkauf:Der Stoff, aus dem Publicity entsteht

Heldenfoto gab's sofort, doch die Stoffballen kommen spät zu den Näh-Freiwilligen für Schutzmasken

"Bayern macht sich ein bisschen locker" vom 18./19. April und das nunmehr geltende Gebot, Schutzmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie beim Einkaufen zu tragen:

Die allermeisten Nähhelfer-Willigen in Bayern werden es wohl nicht mal mitbekommen, wie Hubert Aiwanger sein politisches Geschäft versteht: Täglich ein Foto und eine scheinbar dynamische Meldung in den Zeitungen ist das Wichtigste! Ist das in Corona-Zeiten ausreichend für eine verantwortungsgerechte Amtsführung eines bayerischen Ministers?

Am 26. März 2020 schickte sein Pressesprecher die Pressemitteilung ins Land: Aiwanger hat persönlich Stoff für Schutzmasken beschafft, der doch allerorten fehlt.

Am 27. März in der Passauer Neuen Presse dazu Aiwanger, vor Stoffrollen knieend. Die gingen nun unverzüglich an alle Landkreise, wo die Verwaltungen Näherinnen und Näher kennen und besorgen.

Meine Frau fragt mich, wie sie an Stoff kommen könnte, um mitzuhelfen. Nachfrage am 7. April bei unserer Stadtverwaltung, die bereits öffentlich auf Näherinnen-/Näher-Suche war: Der Stoff sei seit einer Woche angekündigt, aber noch nicht da, "aber wir warten täglich". Es hätten sich bereits 90 Interessierte gemeldet und würden mitmachen.

Am 14. April Nachfrage dort: Der Stoff sei noch immer nicht da.

Am 17. April nun die Radiomeldung: Jetzt sei der Stoff bei Landratsämtern eingetroffen. Von dort wird der wann an die Städte und Gemeinden gehen, wie viele Rollen und wie bemessen?

Nehmen wir mal an, das dauert nun noch zwei bis drei Werktage, dann haben wir endlich circa am 22. April angeblich eine Rolle mit circa 400 Meter Vlies in Olching zur Verteilung an circa 90 Näherinnen oder Näher. Die Stadt will dann auf Länge zuschneiden und via Bauhof die Stoffstücke an die Näher/-innen verteilen.

So dürften wir circa einen Monat nach dem Bild "Hubert neben Stoffrollen rettet Bayern" die ersten Nähmaschinen rattern hören.

In der Zeit sind wie viele Menschen erkrankt, geheilt oder verstorben, wurden wie viele infiziert? Meine Beurteilung: Die Heißluft von Hubert Aiwanger, dem angeblichen Macher, lässt einem buchstäblich das Messer in der Tasche aufgehen, das jeder laut Hubert Aiwanger ja zur Eigensicherung in der Tasche bei sich tragen sollte.

Hätte irgendein Heißluftrotor in diesem unwürdigen Schauspiel eine Chance gegen unseren Wirtschaftsminister? Alfred Münch, Olching

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Quelle:
SZ vom 21.04.2020
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