Aggressionspotenzial:Tierische Resozialisierung

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Erst Training, dann ein Küsschen: Ace, ein weißer Riese mit schwarzem Fleck auf dem rechten Auge, hat Vertrauen zu seinem Coach. (Foto: Robert Haas)

Oliver Häusler trainiert im Tierheim Riem Hunde, die meist wegen Verhaltensauffälligkeiten hier gelandet sind

Von Karl Forster, München

Ace ist ganz aufgeregt. Er wedelt nicht nur mit dem Schwanz, der halbe hintere Hund wedelt mit, als Oliver Häusler ihn durch den Gittergang zum Trainingsplatz führt. Ist ja auch spannender, ein bisschen Menschenkontakt zu üben als im Zwinger zu sitzen und zu warten, bis der Tag zu Ende geht. Ace, ein sehr kräftiger Mischling aus (wahrscheinlich) American Bulldog und Dogo Argentino, hat ein "soziales Problem mit Artgenossen", wie man es als Tiertrainer formuliert, wenn ein Hund andere Hunde anfällt. Oliver Häusler soll das Ace abgewöhnen. Hier, auf dem neuen Trainingsplatz unweit des Rohbaus, aus dem gerade ein modernes Hundehaus auf dem Gelände des Tierschutzvereins München entsteht. Oliver Häusler, 50, freiluftgebräunt und mit viel Selbstsicherheit gesegnet, ist guter Dinge. Sowohl was das Verhalten von Ace betrifft als auch das neue Hundehaus. "Ist ja auch mehr als notwendig. Wir sind voll bis Unterkante Oberlippe." Das ist mehr als Oberkante Unterlippe.

Sechs Hundetrainer beschäftigt der Tierschutzverein München hier in seinem Gelände an der Riemer Straße. Die meisten arbeiten auch in eigenen, privaten Hundeschulen; die von Häusler zum Beispiel heißt "Dog-n-Roll-School" und ist in Neuperlach zu Gange. Doch als Hundetrainer im Tierheim zu arbeiten, ist was ganz anderes, als mit einer Gruppe aus zehn Herrchen/Frauchen und ihren Lieblingen Welpenspielstunde zu halten oder beiden Seiten beizubringen, wie man einem Hund klar macht, dass er auf "Hierher!" auch hierher kommt. "Zwar muss grundsätzlich jeder Hund individuell betrachtet werden", sagt Häusler. Doch haben er und seine Kollegen vor allem die Aufgabe, Tierheimhunden jenes Verhalten abzugewöhnen, weswegen viele von ihnen hier gelandet sind. Und im besten Falle ihnen ein neues, besseres anzuerziehen.

"Wir trainieren hier Hunde, die meist wegen Verhaltensauffälligkeiten hier gelandet sind", sagt Trainer Häusler. Er soll also Hunde resozialisieren, ihr Aggressionspotenzial umlenken, im extremen Falle ihnen "Verletzungsabsichten" abgewöhnen. Aber wie und wann weiß man, dass das gelungen ist? "Man kann so etwas wegtrainieren. Es kommt darauf an, wie lange sich solches Verhalten im Hund schon manifestiert hat. Man spürt das im Training."

Häusler zeigt das mit Ace, dem weißen Riesen mit schwarzem Fleck auf dem rechten Auge. Und es sieht wirklich so aus, als habe Ace gelernt, dass Menschen nett sein können und vor allem so selbstsicher, dass sich diese Sicherheit auch auf den Hund überträgt. Häusler lockt den Hund mit der neonfarbenen Trainingsleine auf ein kleines Agility-Podest. Als Lob ein Leckerchen. Und dann gibt es auch noch ein zaghaftes Küsschen von Ace. Als Häusler dann zum Gespräch zum Trainingshäuschen kommt, bindet er Ace ein paar Meter entfernt an den Zaun. Ace sieht sehr zufrieden aus. Aber er ist eben noch nicht ganz austrainiert, was sein soziales Verhalten angeht. Doch Häusler ist zuversichtlich. "Der wird."

Sollte Ace in München vermittelt werden, wird sein Halter wahrscheinlich statt 100 Euro deren 800 an Hundesteuer berappen müssen. Weil diese Mischung unter den in der hiesigen Bürokratie gebräuchlichen (sonst aber umstrittenen) Begriff Kampfhund fällt. Um die 35 500 Hunde gibt es in der Stadt, pro Jahr wächst die Zahl um circa tausend. Für die Halter hat die Stadt extra eine "Zamperl App" entwickelt, in der die wichtigsten Regeln zusammengefasst sind. Dass das Tierheim Riem mit fast 300 Hunden dennoch total überbucht ist, liegt vor allem an den vielen Fundhunden - und an einem wachsenden Trend, Hunde aus prekären und wenig tierfreundlichen europäischen Ländern wie Ungarn, Rumänien und Spanien einzuführen und aus den Tierheimen weiter zu vermitteln.

Ein nicht unumstrittenes Engagement in Sachen Tierschutz, denn auch Häusler hat seine Erfahrungen gemacht. "Solche Hunde haben oft eine Geschichte, die nicht in ein Großstadtleben passt." Er nennt, nur ein Beispiel, einen Kangal aus dem hintersten Anatolien, einen Herdenschutzhund, der sein Leben lang in einsamster Gegend, ohne Autolärm und Großstadtgedränge gelebt hat. Wird so ein Tier mit dem Hundeverkehr im Englischen Garten konfrontiert, sollte sich niemand wundern, wenn der ausrastet. "Das brauchte viel Arbeit, im Grunde ist das kompliziert", sagt er.

Um solche Probleme abzufedern, wächst das Tierheim des Tierschutzvereins München immer weiter. Jetzt steht also der Rohbau für das neue Hundehaus auf knapp 10 000 Quadratmetern Grund, mit 1600 Quadratmetern Geschoßfläche, für etwa 60 Hunde, geschätzte Kosten 2,9 Millionen Euro. Mit Welpenstation, Krankenabteilung und Fundhundezone. Alles mit Ausläufen ausgestattet und nach neuesten kynologischen Erkenntnissen eingerichtet. Zu viel der Investitionen? Angesichts des Trends, dass gerade in der Großstadt in den vergangenen Jahrzehnten dem Hund dank der Versingelung der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle zukommt, wohl kaum. Dass in dieser Zeit die Zahl der Hundeschulen in der Stadt auf weit mehr als 30 gestiegen ist, zeigt zum einen, dass Hundehalter mittlerweile kapiert haben, wie wichtig die Sozialisierung ihrer Tiere ist. Zum anderen aber auch, dass mit diesem Bewusstsein gutes Geld zu machen ist - wenn man seinen Job als Hundetrainer beherrscht.

Oliver Häusler hat erst recht spät gespürt, dass er "mit Hunden kann". Und ist aus dem Business rund um Vermarktung von Musik ausgestiegen, um Hunden zu zeigen, wie gut es ist, wenn sie wissen, was sie dürfen und was nicht. Seine Devise? "Der Mensch macht den Hund zu dem, was er ist." Ace wedelt mit dem Schwanz. Er scheint zuzustimmen.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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